Als Premierminister Xavier Bettel (DP) in seiner Erklärung zur Lage der Nation Anfang April den von der Regierung versprochenen „Staatshaushalt der neuen Generation“ erklärte, machten sich viele Zuhörer Hoffnung: Endlich hält der gesunde Menschenverstand Einkehr in die staatliche Finanzpolitik! Denn Arbeitsgruppen der Ministerien sollten „ein vollständiges Screening der Ausgaben“ machen, eine „Röntgenaufnahme der öffentlichen Finanzen“, und „Wege suchen, um die Ausgaben zu senken und gleichzeitig die verschiedenen Aufgaben zu stärken: Mehr mit weniger – und zwar in allen Bereichen“. Es gehe, so der Regierungschef, einfach darum, „mit weniger Geld effizienter umzugehen“. Bevor der Staat Geld ausgibt, soll er prüfen: „Welches Ziel will die Politik mit der fraglichen Ausgabe erreichen? Was ist der Nutzen für den Bürger? Wie viel Spielraum gibt es bei den Ausgaben? Welchen Nutzen könnte eine private Mitfinanzierung haben?“
Haushaltsminister Pierre Gramegna (DP) hatte im Juli dem Parlament erklärt, dass man am besten jedes Jahr „die Ausgaben in einer Budget Review hinterfragen“ solle. „Wir wollen die Missionen des Staats in den Vordergrund stellen, indem wir sie alle definieren und uns Programme geben, die wir erreichen wollen und die wir messen wollen.“
Das einleuchtende Prinzip, mit weniger Geld effizienter umzugehen, scheint aber nicht für alle Haushaltsbereiche zu gelten. Denn nach seiner Rückkehr vom Nato-Gipfel Anfang September erklärte Armeeminister Etienne Schneider (LSAP) dem parlamentarischen Ausschuss der äußeren Angelegenheiten und der öffentlichen Macht, dass die Regierung versprochen habe, die Militärausgaben von 0,4 auf 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Sie wolle die jährlichen Ausgaben von rund 200 auf 300 Millionen Euro erhöhen. Dies entspricht immerhin einer Steigerung um 50 Prozent, die im deutlichen Gegensatz zu Ausgabenkürzungen in den meisten anderen Bereichen des Zentralstaats steht.
In der Schlusserklärung des Nato-Gipfels hieß es dagegen bescheiden: „Nous convenons d’inverser la tendance à la baisse que connaissent les budgets de défense [...] Les Alliés dont la part du PIB consacrée à la défense est actuellement inférieure au niveau précité : cesseront toute diminution des dépenses de défense ; chercheront à augmenter leurs dépenses de défense en termes réels à mesure que croîtra leur PIB ; chercheront à se rapprocher dans les dix années à venir des 2 % recommandés, en vue d’atteindre leurs objectifs capacitaires Otan et de combler les insuffisances capacitaires de l’Otan.“ Das heißt, man einigte sich in Zeiten der schwachen Konjunktur vor allem darauf, die Militärausgaben nicht weiter zu senken.
Dass dagegen die Luxemburger Militärausgaben drastisch erhöht werden sollen, verträgt sich nicht nur schlecht mit Regierungsparteien wie der eine pazifistische Tradition beanspruchenden LSAP und den auch aus der Friedensbewegung der Achtzigerjahre hervorgegangenen Grünen. Die Ankündigung steht auch im Widerspruch zu der Aussage von Premier Xavier Bettel fünf Monate zuvor in der Erklärung zur Lage der Nation: „Doch auch unsere Verteidigung muss ihren Beitrag leisten, um einen ausgeglichen Haushalt des Luxemburger Staats zu gewährleisten. [...] Um die Verteidigungsanstrengung an internationale Standards anzupassen, ist der Fonds für Militärausrüstung kontinuierlich gewachsen. Jetzt ist es an der Zeit, diese Anstrengung auf eine nachhaltigere und dauerhaftere Grundlage zu stellen. [...] Nach Jahren der Investition und Expansion in immer mehr militärische Fähigkeiten, muss jetzt eine notwendige Phase der Konsolidierung kommen.“
Eine 50-prozentige Erhöhung der Ausgaben kann man allerdings schwer als nachhaltig, als Konsolidierung und als Beitrag zu einem ausgeglichen Haushalt bezeichnen. Dies gilt um so mehr, wenn man die Militärausgaben den vier von Xavier Bettel in seiner Erklärung zur Lage der Nation aufgezählten Screening-Kriterien des „Haushalts der neuen Generation“ unterwirft. Mit ihnen sollen der ökonomische Sinn und die Effizienz der Ausgaben überprüft werden, um „mehr mit weniger“ zu machen.
„Welches Ziel will die Politik mit der fraglichen Ausgabe erreichen?“, lautet das erste dieser Kriterien. Grundlage der Militärausgaben ist Verfassungsartikel 96, laut dem alles, was die bewaffnete Macht anbelangt, durch Gesetz geregelt wird, und das Armeegesetz vom 21. Dezember 2007, das in Artikel zwei als erste Aufgaben der Armee aufzählt: „de participer, en cas de conflit armé, à la défense du territoire du Grand-Duché“ – von der Verteidigung der Bevölkerung geht keine Rede. Daneben soll die Armee strategische Punkte im Land sichern, Katastrophenhilfe leisten, ihre Freiwilligen auf das spätere Berufsleben vorbereiten, im Rahmen internationaler Bündnisse an der kollektiven Verteidigung teilnehmen, humanitäre und friedenssichernde Aufgaben erfüllen sowie die Einhaltung internationaler Abkommen überwachen. Die Politik müsste demnach mit den Militärausgaben vorrangig das Ziel der bewaffneten Landesverteidigung verfolgen. Doch seit der Reform von 2007 werden zunehmend Ressourcen für rein symbolische Auslandseinsätze abgeleitet, was zu anhaltenden Konflikten in der Armee führt.
„Was ist der Nutzen für den Bürger?“ Der Bürger gewänne in der Logik eines „Haushalts der neuen Generation“ sicher einen Nutzen aus den Militärausgaben, wenn die dazu dienten, die Bevölkerung und das Staatsgebiet vor bewaffneten Überfällen zu schützen. Die Erfahrung lehrt aber das Gegenteil. Denn seit der Aufstellung einer eigenständigen Truppe 1881, des Gendarmerie- und Freiwilligenkorps, wurde Luxemburg zweimal überfallen, doch die Armee leistete keine Gegenwehr, weil sie zu schwach war und Regierung oder Parlament sich erst einmal aus politischen und ökonomischen Gründen mit den Besatzern zu arrangieren versuchte. Bei dem deutschen Überfall am 2. August 1918 blieb das Freiwilligenkorps in der Kaserne, als ob nichts geschehen wäre. Beim deutschen Überfall am 10. Mai 1940 wurden die Grenzposten gefangen genommen, das Freiwilligenkorps blieb ohne Anweisungen zurück und wurde einige Monate später nach Weimar deportiert.
In der Screening-Logik eines „Haushalts der neuen Generation“ gibt der Staat Hunderte Millionen Euro an Personal-, Unterhalts- und Materialkosten für eine Armee aus, die noch nie in der Lage war, das Staatsgebiet zu verteidigen, und es strukturell mit konventionellen Waffen auch nie sein wird. Weil die Regierung keine Politik mit dem Militär, sondern mit den Militärausgaben macht, das 3D-Prinzip der Außenpolitik „diplomatie, développement, dépenses“ statt „défense“ heißen müsste.
„Wie viel Spielraum gibt es bei den Ausgaben?“ Während die Regierung versprach, staatliche Ausgaben nur noch nach ihrem Zweck und nicht mehr nach den bereitgestellten Krediten vorzunehmen, beschloss sie nun das Gegenteil, nämlich zuerst die Militärausgaben um 50 Prozent zu erhöhen, und anschließend – neben einigen buchhalterischen Tricks – nach Möglickeiten zu suchen, diese Millionen zu „verbraten“. Gemessen an ihrer ökonomischen Effizienz, könnte Luxemburg sich aber, wie alle Zwergstaaten, die Ausgaben zur militärischen Verteidigung ganz einfach sparen. Glaubt man trotzdem daran, dass die Militärausgaben das strategische Kräfteverhältnis zugunsten des Großherzogtums beeinflussen können, wären sie sicher effizienter angelegt, wenn man das Geld einem Verbündeten oder einem Militärbündnis überweisen beziehungsweise im Krisenfall die Bevölkerung bewaffnen würde. Doch selbst zum Nulltarif würde die Nato sicher nicht zulassen, dass Nordkorea 2 500 Quadratkilometer zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland samt Namsa, WSA und Findel besetzt.
„Welchen Nutzen könnte eine private Mitfinanzierung haben?“ Bereits heute ist ein Teil der im Armeegesetz vorgesehenen Aufgaben der Armee privatisiert. Die Sicherung strategischer Punkte geschieht nach öffentlichen Ausschreibungen teilweise durch private Wach- und Schließgesellschaften. Humanitäre Aufgaben werden zum Teil von konventionierten Nicht-Regierungsorganisationen erfüllt. 2009 begann der Staat, bei einer einheimischen Firma Aufklärungsflugzeuge zu mieten, die vor Ostafrika eingesetzt werden. Die Erfahrung lehrt aber, dass eine Privatisierung unter dem Strich nicht unbedingt billiger wird.
Doch eine öffentliche Diskussion über die Effizienz von Militärausgaben ist weitgehend ein Tabu, das noch aus der Zeit des Kalten Kriegs fortlebt: Wer über Militärausgaben reden will, steht gleich im Verdacht, als Landesverräter das Spiel des Ennemi zu betreiben und sich der Wehrkraftzersetzung schuldig zu machen. Trotzdem hatte die Handelskammer in ihrem Haushaltsgutachten für 2007 kurz den Konsens aufgekündigt und vorgeschlagen: „Le projet de budget 2007 prévoit une alimentation du fonds d’équipement militaire d’un montant de 33 millions EUR [...]. Dans un souci d’économies budgétaires, la Chambre de Commerce propose de reporter une partie de l’acquisition de nouveaux équipements de reconnaissance à une date ultérieure. [...] La Chambre de Commerce propose de reconsidérer le montant des crédits alloués et un échelonnement du renouvellement des équipements militaires.“ Aber vielleicht war das ein Ausrutscher. Denn seither sucht die Handelskammer keine Einsparungsmöglichkeiten mehr im Militärbudget.
Der ehemalige LSAP-Wirtschaftsminister Robert Goebbels hatte vor 14 Tagen für Aufregung gesorgt, als er einem Interview bei RTL vorschlug, die Entwicklungshilfe zu kürzen. Aber bisher ging niemand darauf ein, dass er auch überlegt hatte: „Ich sehe nicht ein, weshalb wir uns so kuriose Sachen leisten müssen wie ein Militärflugzeug. Wir haben das jetzt praktisch bezahlt, aber hören wir doch auf, auf dem Gebiet weiterzumachen, sogar wenn die Nato uns einen bösen Finger macht. Ich bin der Meinung, dass die Regierung da nein sagen kann, dass sie sagen kann: Wir müssen uns nach unserer Decke strecken. Das wird auch wahrschein beim Shape [dem Nato-Hauptquartier für Europa; rh.] verstanden. Ich bin eben der Meinung, dass wir uns da zurückhalten sollten. Unsere Armee ist sowieso nicht in einem Krieg einsetzbar, mit all den Gadgets, die sie besitzt. Wenn ich sehe, dass heute darüber diskutiert wird, 20 oder 30 Leute in ein Manöver zu schicken – die anderen lachen doch, wenn sie die Luxemburger kommen sehen.“