Rüstungsindustrie

Ein rot-weiß-blauer Militärsatellit

d'Lëtzebuerger Land du 15.08.2014

Nunmehr im Oktober will die Regierung ihren Haushaltsentwurf für das kommende Jahr vorstellen und ankündigen, wo sie, neben Mehrwertsteuererhöhung und Kindergeldsteuer, zusätzlich 200 Millionen Euro sparen will. Da kommt es politisch etwas ungelegen, dass sie zum gleichen Zeitpunkt darüber entscheiden will, 50 Millionen Euro in den von der Mehrheit ihrer Wähler wohl als extravagant angesehenen Erwerb eines Militärsatelliten zu investieren.

Auf eine parlamentarische Anfrage des DP-Abgeordneten Gusty Graas hin erklärte Verteidigungsminister Etienne Schneider (LSAP) vergangene Woche, dass die Betzdorfer Satellitenfirma Société européenne des satellites gegenüber der Regierung „ein deutliches Interesse bekundet hat, die Nachfrage institutioneller Kunden (Regierungen, internationale Organisationen) nach Kommunikationen zu befriedigen, die Militärfrequenzen benutzen“. Damit will die SES einen ihrer tradi­tionellen Geschäftszweige ausbauen.

Denn die in der Nobelsiedlung McLean, Nord-Virginia, unweit der CIA-Zentrale angesiedelte Firma SES Government Solutions ist seit über einem Jahrzehnt der militärische Arm der SES. Die ehemalige Americom Govenment Services war eine Abteilung des Elektronikkonzerns RCA und arbeitete seit 1973 für die US-Luftwaffe und anschließend andere Waffengattungen. Americom wurde 1986 von General Electric übernommen und gehört seit 2001 zu 100 Prozent der SES.

Präsident und CEO von SES Government Solutions ist der pensionierte Brigadegeneral der US-Luftwaffe, Tip Osterthaler. Der Vizepräsident für Entwicklung, Peter Hoene, ist ebenfalls ein pensionierter Brigadegeneral der US-Luftwaffe; die Vizepräsidentin für Kommunikation und Regierungsbeziehungen, Nicole Robinson, arbeitete zuvor im ständigen Hauptquartier der vereinten Waffengattungen der US-Armee; der Vizepräsident für Programmentwicklung, Bill Flynn, arbeitete im Nachrichtendient der US-Flotte für Unterseebootkrieg; und der Vizepräsident für die Entwicklung der Gesellschaft, Tim Deaver, war Obertsleutnant der Luftwaffe. Der für die Finanzen zuständige Vizepräsident Skip Strand ist der einzige Zivilist im Vorstand von SES Government Solutions.

SES Government Solutions beliefert sämtliche Waffengattungen der USA. Die Gesellschaft hält 55 Satelliten parat, um weltweit unbemannte Angriffe von Predator- und Reaper-Dronen und im Nahen Osten und in Afrika von Gray-Eagle-Dronen zu steuern. Außerdem ist sie an den Programmen der Global-Hawk-Dronen beteiligt. Für die kostengünstige Lenkung ohnehin mobiler Drohnen empfiehlt SES Government Solutions ältere Satelliten, deren Umlaufbahn sich gegenüber dem Äquator verschiebt und nicht mehr korrigiert wird, um Treibstoff zu sparen und so die Betriebszeit zu verlängern.

Der Marine und der Armee liefert SES Government Solutions Breitbandkommunikation zwischen den Kriegsschiffen beziehungsweise Bodentruppen rund um die Erde und ihren Einsatzzentralen. Das Pentagon führt mit hohen Kosten immer neue Kommunikationssysteme für seine weltweit stationierten Truppen ein. Auf diese Weise kam die SES Government Solutions zu ihrem bisher größten Auftrag, um für 286 Millio­nen Dollar Breitbanddienste für das Trojan-Programm zu liefern.

Der einzige Kunde von SES Government Solutions ist derzeit die US-Regierung. Doch obwohl US-Truppen offen oder verdeckt an mehreren Fronten weiter kämpfen und Satelliten für die Kommunikation und den zunehmenden Einsatz ferngesteuerter Dronen von wachsender Bedeutung sind, gingen im ersten Halbjahr 2014 durch die Sparpolitik der US-Regierung die Einnahmen der SES in Nordamerika um 13,5 Prozent zurück. Manche bestehenden Aufträge verlängerte das Pentagon nicht mehr.

Um trotzdem weiter zu expandieren, will die Gesellschaft zwei Wege einschlagen: Schon Anfang vergangenen Jahres taten sich laut Washington Post Tip Osterthaler, Philip Harlow von Xtar, Kay Sears von Intelsat general und andere Verantwortliche konkurrierender US-Satellitenfirmen für einmal zusammen, um einen Brief an das US-Verteidigungsministerium zu schicken. Darin forderten sie das Pentagon auf, weitere Teile der Satellitenkommunikation der US-Streitkräfte zu privatisieren. Ein Kostenvergleich staatlicher Militärsatelliten mit den Kosten privater Anbieter zeige, dass der Staat Geld sparen würde, wenn er sich auf gewerbliche Anbieter verlasse, heißt es in dem Schreiben. Am liebsten sähen die Firmen es, wenn die US-Regierung ihre militärische und zivile Satellitenkommunikation von einer einzigen Behörde verwalten und für Privatfirmen ausschreiben ließe.

Der zweite Weg zur Expansion von SES Government Solutions ist die Suche nach neuen Märkten neben der US-Regierung, das heißt vor allem in anderen Nato-Staaten, aber auch in Schwellenländern und Erdölmonarchien mit militärischen Ambitionen. Aus diesem Grund zeigte die SES sich interessiert, eine gemeinsame Gesellschaft mit dem Luxemburger Staat zu gründen, die Militärsatelliten für andere Regierungen und internationale Agenturen betreibt oder freie Kapazitäten an Bord von SES-Satelliten durch Armeeaufträge in Krisenzeiten auslastet.

Der Staat will sich nun mit 50 Millionen Euro an der gemeinsamen Gesellschaft beteiligen, die SES soll ebenfalls 50 Millionen zulegen, geplant ist auch ein Darlehen in gleicher Höhe, so Minister Schneider gegenüber dem Radio 100,7. Diese Gesellschaft soll dann den Bau eines Militärsatelliten in Auftrag geben, ihn von einem politisch nicht allzu suspekten Raketenbetreiber auf seine Umlaufbahn setzen lassen und ihn gewerblich ausbeuten.

Die SES ist dank ihrer hohen Rücklagen sicher nicht auf das staatliche Kapital eines Public-­Private-Partnership angewiesen. Doch die staatliche Beteiligung könnte von Vorteil sein, um den Zugang zu Militärfrequenzen zu vereinfachen und verbündete Staaten oder internationale Organisationen als Kunden zu gewinnen. Zudem erwägt die Regierung, Satellitenkapazitäten als Luxemburger Verteidigungsbeitrag zu kaufen und der Nato zur Verfügung zu stellen, so dass schon dadurch eine Einnahmegarantie für die neue Gesellschaft entstünde.

Problematisch ist vor allem der innenpolitische Teil des Unterfangens. Um ihre Wählerschaft in Zeiten von Steuererhöhungen und Einsparungen von der Notwendigkeit eines rot-weiß-blauen Militärsatelliten zu überzeugen, bedarf es der Rechtfertigung. Verteidigungsminister Etienne Schneider versuchte gegenüber Radio 100,7 zu erklären, dass in der Nato der „Druck auf Luxemburg enorm“ sei, damit es seine Militärausgaben erhöhe. Denn die Luxemburger Militärausgaben machten derzeit 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, die Nato wünsche aber zwei Prozent.

Im Zuge einer resoluten Remilitarisierung und Erhöhung der Militärausgaben hatte die CSV/DP-Regierung bereits 2001 bei Airbus ein Kriegsflugzeug gekauft und mit Belgien den Kauf eines Kriegsschiffs beschlossen, des Navire de transport belgo-luxembourgeois (NTBL). Das Flugzeug, für das derzeit Piloten ausgebildet werden, soll 2017 geliefert und dann um die 200 Millionen Euro kosten. Das Schiff, das 2006 in Auftrag gegeben und zu einem Viertel von Luxemburg bezahlt werden sollte, fiel schließlich den Budgetkürzungen in Belgien zum Opfer. Luxemburg sparte dadurch 47 Millionen Euro.

Da die LSAP inzwischen vergessen hat, dass sie 2005 für den Kauf des A400M gestimmt hatte, und die Grünen das Gesetz rundweg abgelehnt hatten, fällt es ihnen nicht so leicht, dem Millionen teuren Kauf eines Militärsatelliten jenen Sinn zu bescheinigen, den sie dem Militärflugzeug absprechen. Deshalb betonte Etienne Schneider gegenüber 100,7, dass beim Kauf eines Satelliten die geplante SES-Tochter nicht nur hierzulande Steuern bezahlen werde, sondern „ein solches Projekt einen Ertrag für die Luxemburger Wirtschaft darstellt“.

Den DP-Abgeordneten Gusty Graas versuchte Etienne Schneider zu überzeugen, dass aus dem Unternehmen „andere industrielle Anbieter der Raumfahrt und der Informations- und Kommunikationsbranche Nutzen ziehen können, die bei der Installierung der Infrastruktur oder der Lieferung von Dienstleistungen teilnehmen können“. Denn nach Namsa, WSA und Awacs musste vielleicht erst eine furchtlose Koalition von DP, LSAP und Grünen an die Macht, um in weiser Voraussicht die Wirtschafts- und Verteidigungsressorts in eine Hand zu legen und so den Grundstein einer zukunftsfähigen Rüstungsindustrie hierzulande zu legen.

Auf jeden Fall soll alles nun ganz schnell gehen. Am 4. und 5. September werde laut Schneider auf dem Nato-Gipfel im walisischen Cardiff „eine Aussage erwartet“, wie Luxemburg seine Militärausgaben zu erhöhen gedenke. Außerdem müsse die SES schnell Bescheid bekommen, weil sie Orbitalpositionen reserviert habe und ihr durch eine Verschleppung der Entscheidung hohe Unkosten entstünden. Deshalb will die Regierung bis zum Herbst die „komplexen rechtlichen, finanziellen und kommerziellen Fragen“ klären. Was für die Regierung auch den Vorteil hat, dass wenig Zeit für eine öffentliche Debatte über die Notwendigkeit eines Militärsatelliten bleibt.

Romain Hilgert
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