Die Militärschule soll reformiert werden und nach Ettelbrück kommen. Gut sieben Jahre wurde zwischen Verteidigungs- und Unterrichtsministerium verhandelt, jetzt sind die Pläne spruchreif. Eine der wichtigsten Neuerungen: Die Schule, die sich weiterhin in erster Linie an Soldaten adressiert, soll sich, sofern Platz übrig ist, auch für majeurs non-militaire, Regelschüler über 18 Jahre, öffnen. So steht es im Vorentwurf, den der schwarz-rote Regierungsrat in seiner letzten Sitzung am 18. Oktober verabschiedet hat und der dem Land vorliegt.
Dabei will die Schule mehr sein als ein Ort, an dem Soldaten auf das zivile Berufsleben nach ihrem dreijährigen Militärdienst vorbereitet werden. Die Vision des verantwortlichen Koordinators im Unterrichtsministeriums Joseph Britz, der das Projekt als „sein Baby“ bezeichnet, reicht weit darüber hinaus: „Ich finde die Kohabitation von Soldaten und Zivilpersonen wertvoll.“ So könnten zivile nicht-unifomierte Schüler, die sich beispielsweise „für Soziales interessieren“, und Uniformierte sich gegenseitig „bereichern“. „Mittelfristig wollen wir den sozialwissenschaftlichen Zweig des Technique anbieten, so wie ihn die geplante Lyzeums-Reform vorsieht“, sagt Britz. „Das wird auch für Außenstehende interessant sein.“
Den genau darum geht es: die Attraktivität der militärischen Ausbildung zu erhöhen, die unter akutem Nachwuchsmangel leidet. Traditionell war die freiwillige Verpflichtung am Härebierg für viele junge Männer und Frauen die einzige Möglichkeit, die ihnen blieb, um es in den begehrten Staatsdienst zu schaffen. In Vorbereitungskursen wurden sie in der Kaserne neben ihrem Militärdienst von (Grundschul-)Pädagogen gezielt in Crashkursen auf die Examen vorbereitet, die sie bestehen mussten, um beim Zoll, der Post, der Polizei oder im Gefängnis arbeiten zu können.
Lange Zeit funktionierte das ganz gut. Zumal Soldaten, die beim ersten Anlauf keine Stelle beim Staat oder bei der Gemeinde fanden, in der Armee bleiben und nebenbei lernen konnten. Seit der Reform der Armee 2007 besteht diese Möglichkeit jedoch nicht mehr. Grundsätzlich beträgt der freiwillige Dienst an der Waffe drei Jahre, an den sich ein Jahr anschließt, das sie gezielt auf das anschließende aktive Leben vorbereiten soll. Das Vorbereitungsjahr besteht aus zwei Schulsemestern mit Wochen à 36 Unterrichtsstunden. Die Soldaten haben also zwölf Monate Zeit, um das begehrte Eintrittsticket in den Staatsdienst zu lösen. Oder sich auf einen Beruf in der Privatwirtschaft vorzubereiten. Lagen gute Gründe vor, konnte diese Vorbereitungszeit um weitere sechs Monate verlängert werden. Bislang werden außer 8e und 9e, auch die 10e und die 11e technicien commerce angeboten. Dies in Intensivkursen mit rund zehn Klassenkameraden. Ihr Gehalt bekommen die Militärschüler währenddessen weiter. Doch zum einen tun sich viele Soldaten mit dem Büffeln nicht unbedingt leicht. Auf rund 75 Prozent schätzt das Unterrichtsministerium den Anteil der Schulabbrecher unter den Rekruten, wobei die Zahl stark schwanke. Lernschwache Schüler, die es künftig noch schwerer haben werden, eine Karriere beim Staat einzuschlagen.
Denn andererseits bestehen seit Längerem Bemühungen, die Zugangskriterien zum Staatsdienst zu verschärfen. „Früher hat noch eine 9e oder 10e gereicht, um beim Staat angestellt zu werden. Inzwischen geht der Trend in Richtung 11e und höher“, erklärt Britz. Die Polizei, die Post und nicht zuletzt die Armee selber setzen verstärkt auf höher qualifiziertes Personal. Auch für Auslandseinsätze steigen die Ausbildungsanforderungen, Luxemburg geht jedes Jahr neue internationale Verpflichtungen ein. Sollte zudem die lang angekündigte Reform des Strafvollzugs eines Tages kommen, wird es auch den typischen Gefängniswärter in der Form nicht mehr geben. Schon jetzt wird das Wachpersonal pädagogisch und psychologisch weitergebildet und zunehmend aus der Zivilgesellschaft rekrutiert. Aber das waren alles Laufbahnen, bei denen Soldaten bisher immer Vorrang genossen haben.
Was seit Längerem ein Trend in Europa ist, dem Luxemburg allmählich folgt, bedeutet, dass Bastionen aufbrechen, die zuvor der Armee vorbehalten waren. Nun also auch die Militärschule, wo sich die Soldaten damit abfinden müssen, eher für die Privatwirtschaft ausgebildet zu werden. Der alte Tausch, freiwilliger Militärdienst und Auslandseinsatz gegen eine gesicherte Anstellung beim Staat, funktioniert so nicht mehr.
„Der Vorteil ist definitiv weg“, sagt Britz. Damit aber verliert die Freiwilligenarmee einen wesentlichen Anreiz – der nun durch ein verbessertes schulisches Angebot ersetzt werden soll. Neben den so genannten „Rekonversionskursen“ soll das Schulangebot erweitert werden. Allerdings nicht um den Technicien-Abschluss, den seit der Reform der Berufsausbildung nur jene über Zusatzmodulem die zuvor erfolgreich eine DAP-Berufsausbildung abgeschlossen haben. Eine 10e und 11e technique générale soll kommen. Mittelfristig soll sogar der Besuch der gymnasialen Oberstufe (cycle supérieur classique) an der Militärschule möglich sein. „Wir wollen damit der Tatsache Rechnung tragen, dass wir Kandidaten haben, die vom Secondaire kommen“, sagt Britz. Erste Verbindungen bestehen bereits zum Lycée classique in Diekrich, wo die Soldaten Chemie- und Biologiekurse besuchen, und zum Lycée technique in Ettelbrück, woher einige der Lehrer stammen. Die Militär-Kurse sind bei Lehrern beliebt: Die uniformierten Schüler gelten als disziplinierter und zielstrebiger als ihre zivilen Pendants.
In Ettelbrück soll auch die neue Schule gebaut werden. Oder zumindest ein Provisorium. Die Infrastrukturen auf dem Härebierg aus den 1950-er Jahren müssen generalüberholt werden. Der alte Pavillon des Ettelbrücker Lyzeums soll weichen und eine neue provisorische, aber voll funktionstüchtige Struktur entstehen, ähnlich wie beim Athenäum. Verläuft alles nach Plan, soll die Schule ab September 2015 die Tore öffnen.
Ob die Rechnung aufgeht, bleibt allerdings abzuwarten. Nicht nur, dass die Entscheidung der neuen Regierung und dem frisch gewählten Parlament obliegt, auch wenn der CSV-LSAP-Regierungsrat den Vorentwurf vor nur zwei Wochen noch eilig bewilligte. Optimistisch scheint vor allem das der Schule zugrunde liegende Szenario einer wachsenden Zahl geeignter Schüler. Fakt ist, dass sich immer weniger Frauen und Männer für den Militärdienst entscheiden. Pro Jahrgang melden sich offiziell um die hundert Freiwillige, doch die Zahl schrumpft in den ersten Wochen oft auf rund 60 Rekruten zusammen, die dann tatsächlich ihre militärische Ausbildung antreten. Davon finden sich nicht wenige in den so genannten MAN-Klassen (mise à niveau) wieder. Für eine hochwertige Militärakademie, wie in der Schweiz existiert, fehlt Luxemburg nicht nur die Tradition, sondern vor allem die Masse. Wer soll in die neue Schule gehen – und was wird das alles kosten?
Joseph Britz betont, die Kosten des neuen Gebäudes lägen unterhalb des „kritischen Sockels von 40 Millionen Euro“, ab wann ein neues Schulgebäude per Gesetz geregelt werden muss. Die geplante Größenordnung der Militärschule verwundert gleichwohl. Der Vorentwurf sieht einen Direktorposten vor (für den Britz als Kandidat gilt), einen Vizedirektor sowie mögliche chargés de direction. Auch Sozialpädagogen, Psychologen, Erzieher und ein Bibliothekar sollen in der Schule zum Einsatz kommen. Derzeit sind aber gerade einmal sieben Lehrer auf dem Härebierg beschäftigt, die rund 50 Rekruten unterrichten. Da scheint die geplante Infrastruktur etwas überdimensioniert, zumal in Zeiten klammer Staatskassen. Joseph Britz rechtfertigt die Kosten durch „Synergien“, die entstünden, da das Ettelbrücker Lycee technique die neue Infrastruktur mitnutzen soll. Um die 500 Schüler werde die Schule mittelfristig bis langfristig aufnehmen, so Britz, der überzeugt ist, dass das Ziel realistisch ist. „Die anderen Lyzeen im Norden sind schon jetzt überfüllt.“ Die Straßen in Ettelbrück sind es auch.
Unterstützung erhält Britz aus der Generalkoordination des Unterrichtsministeriums. Dort geben die vielen Schulabbrecher in Luxemburgs weiterhin Anlass zur Sorge. „Ich bin sicher, dass wir keine Schwierigkeiten haben werden, die Schule zu füllen. Zumal auch Erwachsene von außerhalb das Angebot nutzen können sollen“, bekräftigt Marc Barthelemy, einer der Generalkoordinatoren im Ministerium. Ist die Militärschule als in Wirklichkeit eine Art École de la 2e chance bis? Das Original in Luxemburg-Hollerich hatte die scheidende LSAP-Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres erst vor zwei Wochen offiziell eingeweiht. Es bestehen Pläne, das 200 Schüler fassende Projekt in Hollerich, das sich dezidiert Schulabbrechern widmet, weiter auszubauen.
Aber nicht nur weil sie eine zweite „Schule der zweiten Chance“ befürchten, ist nicht sicher, ob die neue Schule unter den Lehrern Zustimmung finden wird. In einem Brief von 2012 an den damaligen General Gaston Reinig zeigte sich das Lehrpersonal besorgt, wie die Reform des Militärunterrichts und vor allem die Integration der Zivilpersonen vonstatten gehen solle. Britz betont zwar, es sei ihm wichtig, die Lehrer „bei den Inhalten“ einzubinden. Land-Informationen nach aber hatten die beim Verteidigungsministerium angestellten Lehrer bei der konzeptuellen Ausarbeitung der Militärschule nichts zu sagen. Und als sich einige von ihnen im Winter 2012 an den parlamentarischen Verteidigungsausschuss wandten, wurden sie von einem erbosten Minister Jean-Marie Halsdorf später dafür zurecht gewiesen.
Laut Vorentwurf steht dem Lehrpersonal frei, an die neue Schule zu wechseln, oder sich woanders eine Arbeit zu suchen. Lange war es so, dass die instituteurs spéciaux quasi das Gros des Unterrichts bestritten haben. Künftig sollen sie die Vorbereitungskurse leiten und ihr Einsatz ansonsten auf die Klassen der 8e und 9e beschränkt bleiben. Die höheren Klassen zu unterrichten, bleibt Sekundarschullehrern vorbehalten. Noch ein weiterer Kompromiss wurde gefunden: Damit die Soldaten nicht den Kontakt zur Armee verlieren, soll ein Büro der Armee auf dem Schulgelände eingerichtet werden, in dem sich Soldaten beraten lassen können. Die zwölfmonatigen IntensivVorbereitungskurse werden zudem am Härebierg und (im Prinzip) den Uniformierten vorbehalten bleiben. Auch weil Kritiker befürchten, dass sonst das letzte Privileg der Soldaten, die besondere Vorbereitung für den Staatsdienst, verloren ginge. Zu viel Annäherung zwischen Zivil und Militär ist dann doch nicht erwünscht.