Der Traum ist aus. Zumindest für diejenigen Lehrer und Gewerkschaftler, die auf einen Streik im Schulwesen gehofft haben. Nur rund 40 Prozent der Schulen, sagen SEW und Apess, haben den Aufruf der beiden Lehrergewerkschaften unterstützt, die Arbeit aus Protest niederzulegen und so die schwarz-rote Regierung zu Nachverhandlungen über die Beamtenstatutreform zu bewegen.
Wirklich überraschend ist das vorzeitige Streikaus nicht. Wer die Entwicklungen auf der Internetseite des OGBL-assoziierten Lehrersyndikats SEW die letzten Wochen verfolgt hat, weiß: Nachdem in den ersten Tagen die Befürworter die Nase vorn hatten, ließ die Streikbereitschaft mit der Zeit deutlich nach. So sehr, dass sich SEW und Apess genötigt sahen, die Einschreibfristen für die Streiklisten zu verlängern. Gewerkschaftler und Vertreter der nationalen Lehrerdelegation DNL zogen von Schule zu Schule, um Lehrerkomitees aufzuklären, warum der Dialog mit der Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres ein weiteres Mal gescheitert sei.
Doch es half alles nichts. Zwar beteuerten SEW und Apess auf ihrer Pressekonferenz am Freitag vor einer Woche, auf der sie das Ergebnis bekanntgaben, es hätten nur zehn Prozent Stimmen gefehlt. Nach ihrer Rechnung sind das rund 1 000 Unterschriften. Dass es statt der 9 000 Lehrer, die die Gewerkschaften zuvor noch als Rechengrundlage genommen hatten, plötzlich nur noch 7 600, also rund 1 500 weniger sind, liegt wohl daran, dass die Niederlage sonst noch bitterer ausgefallen wäre. Statistiken aus dem Unterrichtsministerium zufolge arbeiteten in Luxemburgs Schulen im Jahr 2011/2012 jedenfalls rund 9 700 Lehrer und Lehrbeauftragte. Offiziell begründeten die Gewerkschaften ihre Rechnenweise damit, Lehrbeauftragten mit befristeten Verträgen aus Rücksicht auf ihre prekäre Situation von vornherein vom Streiken abgeraten zu haben (was allerdings andere Lehrbeauftragte auf Facebook bestritten). Auch Mitglieder von Schulleitungen sowie Lehrer, die wegen Mutterschaftsurlaub oder Krankheit ausfallen, hat das Gewerkschaftsbündnis herausgerechnet.
Doch ganz gleich, welche Rechnung gemacht wird: Das selbst gesetzte Quorum von 50 Prozent wurde trotz verlängerter Frist nicht erreicht. Die Gründe dafür suchen SEW und Apess aber nicht bei sich. Die CGFP-Unterorganisationen Feduse und SNE und deren ablehnende Haltung zum Streik seien Schuld an der Niederlage. Mit „Desinformationen“ hätten sie versucht, Lehrer vom Streiken abzuhalten, so der Vorwurf von SEW und Apess. Zum Beispiel, indem Feduse und SNE behauptet hätten, wer streike, könne sein Beamtenstatut verlieren. Im Nordstad Lycée und im Lycée Belval sollen Streikgegner gar Listen im Lehrerzimmer abgerissen haben. Das sei Sabotage, ereiferte sich Apess-Präsident Daniel Reding vor Journalisten empört.
Damit machen es sich die beiden Lehrergewerkschaften jedoch zu einfach. Nicht nur, dass der SNE vehement abstreitet, Sabotage verübt oder Druck auf Mitglieder ausgeübt zu haben. Daraus, dass sie gegen einen Streik sind, hatten beide Gewerkschaften von Anfang an nie einen Hehl gemacht – und ihrerseits SEW und Apess vorgeworfen, mit ihrer Kompromisslosigkeit den Bogen zu überspannen.
In der Tat müssen sich Apess und SEW fragen, was aus der fulminanten Unterstützung von einst geworden ist – und inwieweit sie die Stimmung an der Basis richtig einschätzten. Von Journalisten gefragt, ob das Verknüpfen von Beamtenstatutreform und Sekundarschulreform vielleicht ein strategischer Fehler war, wiesen die Vertreter das vehement zurück. Man habe sich stets an die gesetzliche Prozedur gehalten, betonte SEW-Vorstandsmitglied und Sekundarschullehrer Guy Foetz, und die erlaube nur einen Streik gegen die Reform des öffentlichen Dienstes. Die Gewerkschaftler drehten den Spieß um und warfen ihrerseits den Medien vor, beide Reformen miteinander vermischt zu haben.
Das ist freilich nur die halbe Wahrheit. Bis zur letzten Minute haben SEW und Apess das Amalgam zwischen beiden Reformen gewollt und bewusst vorangetrieben. Etwa indem sie in Pressemitteilungen und auf ihrer Webseite gegen „die Umsetzung von Schulreformen“ aufriefen. SEW-Präsident Patrick Arendt begründete dies in Interviews damit, dass die Beamtenstatutreform Auswirkungen auf die Sekundar- und die Grundschulreform habe, etwa wegen der geplanten Einführung von Zwischenhierarchien. Obwohl sie für eben diese Vermischung wiederholt kritisiert worden war – von der Regierung, die Angst hatte, damit würden konstruktive Verhandlungen noch schwieriger, aber auch von der Elternvereinigung Fapel und Schülern, die sich wehrten, in den gewerkschaftlichen Konflikt um Arbeitsbedingungen hineingezogen zu werden –, hielten SEW und Apess an ihrer Generalattacke gegen Bildungsreformen fest.
Dabei haben die Gewerkschaften, wie sich nun zeigt, nicht nur die öffentliche Meinung unterschätzt, sondern insbesondere die Stimmung ihrer Lehrerkollegen. Darüber können auch die 75 Prozent Streikbereitschaft in den klassischen Lyzeen nicht hinwegtäuschen. Sie erklärt sich ohnehin weniger dadurch, dass Lehrer dort von der Reform besonders betroffen wären, – die Reform zielt vor allem auf den technischen Unterricht ab –, sondern eher weil die Lehrer dort leistungsstärkere Schüler haben und deshalb die Dringlichkeit von Reformen komplett anders einschätzen.
Wenn man bedenkt: Noch im März 2012 war es den Gewerkschaften vereint gelungen, eine wachsende Masse an empörten Lehrern hinter sich zu vereinen. Je nach Schätzungen zwischen 5 000 und 6 000 Lehrer demonstrierten damals gegen die Reformpläne der Regierung. Ein entsprechendes Manifest von Ende 2011 unterschrieben damals laut Gewerkschaftsführung 4 500 Lehrer. Die erfolgreiche Mobilisierung von SEW und Apess hat sicherlich dazu beigetragen, dass die Bedingungen der Beamtenstatutreform nachverhandelt wurden – und dass die Beratungen mit der Unterrichtsministerin in eine Extra-Runde gingen, in der Schüler und Lehrer stärker eingebunden wurden.
Doch während sich die führende Beamtengewerk-schaft CGFP und ihre Unterorganisationen dafür entschieden, dem mit dem damaligen Minister für den öffentlichen Dienst, François Biltgen (CSV), verhandelten Kompromissvorschlag zuzustimmen, gaben sich SEW und Apess damit nicht zufrieden und wollten mehr. Die Lehrer sollten von der externen Bewertung ausgenommen werden. Gleichzeitig verstärkten sie ihre Fundamentalkritik an der „neoliberalen“ Ausrichtung der Schulreformen der sozialistischen Ministerin.
Zu jenem Zeitpunkt mehrten sich bereits Stimmen, die der Forderung nach einer Extrawurst für Lehrer nicht folgen mochten, was aber von SEW und Apess ignoriert wurde. Es war der bedingungslose, mitunter sehr polemische Kurs gewesen, der dazu führte, dass sich immer mehr, auch reformkritische, Lehrer von den Gewerkschaften abwandten. Als die nationale Lehrerdelegation nach neun Monaten intensiver Beratungen mit dem Unterrichtsministerium, darin von SEW und Apess unterstützt, sich einmal mehr über den „gescheiterten Dialog“ erboste, schwand der Glaube daran weiter, dass es den Lehrervertretern wirklich um eine Lösung der Schulmisere gehe. Auf Facebook und in Foren häuften sich Beiträge, die Lehrer, respektive ihre Vertreter aufforderten, „doch Ruhe zu geben“.
SEW und Apess, aber auch die DNL, machten für die wachsende Kritik aus den eigenen Lehrer-Reihen wiederum die Feduse verantwortlich und das „Getöse“ in der Presse, die ihre Argumente nicht richtig oder verzerrt dargestellt hätte. Der gewerkschaftliche Konkurrenzkampf zwischen kompromisslosen Hardlinern und konsensorientierten Reformisten wurde bis auf die Leserbriefseiten großer Zeitungen getragen. Durch den öffentlichen Schlagabtausch schien gar der größte Erfolg der vergangenen zwei Jahre Schaden zu nehmen: nämlich dass es den Gewerkschaften, aber vor allem der DNL, in einer bisher beispiellosen Aktion gelungen war, Meinungen aus den Schulgebäuden zu bündeln und zu einem Positionspapier zusammenzuführen. Gerade bei den engagierten Lehreren, die sich monatelang, zum Teil in der Freizeit, durch Statistiken, Fragebögen und Analysen geackert haben, sitzen Frust und Enttäuschung jetzt tief. Sie fühlen sich missverstanden und allein gelassen.
Doch die Kommunikation der DNL war nicht immer geschickt. Die meisten Vertreter bemühten sich, sachlich ihre Argumente vorzubringen. Es gab aber Ausfälle. Manch ein DNL-Freund schrieb gar an Chefredaktionen, sie möge unliebsame Berichterstatter doch zurechtweisen oder besser gleich entfernen. Das kommt nicht nur bei Journalisten nicht gut an, sondern spricht sich in einem kleinen Land schnell herum. Zum Nachteil des Absenders.
Den Höhepunkt der Polemik und des Foulspiels bildete der Facebook-Auftritt Net mat mir! Opruff zum Streik. Guy Foetz betonte auf der Pressekonferenz erneut, die Facebook-Gruppe sei keine gewerkschaftliche Initiative gewesen und er habe keine Kritiker attackiert. Das ist richtig, gilt aber nicht für alle im Gewerkschaftsbündnis. Als RTL-Radio Namen und Bilder von Lehrern veröffentlichte, die zum Teil Journalisten und Streikgegner wüst persönlich verunglimpften, brach ein Sturm der Entrüstung los: bei den betroffenen Lehrern, die RTL einseitigen Journalismus vorwarfen, und bei entsetzten Lesern, die das Ausmaß der Attacken so erst richtig mitbekamen. Auf der Pressekonferenz am vergangenen Freitag spielten SEW und Apess dem Vorfall herunter. Im Parlament würden Politiker sich viel härter anfassen, redete sich Daniel Reding von der Apess, an den persönlichen Attacken beteiligt, heraus. Abgesehen davon, dass trotz aller Kritik ein Luc Frieden derart abfällige Kommentare nicht hören musste, zeigt die Reaktion, dass einige offenbar immer noch nicht verstehen, wie sehr der vergiftete Ton der Debatte dem Image der Lehrerschaft und damit ihrer Sache schadet.
Die Facebook-Aktion habe kaum eine Rolle gespielt, die meisten Streiklisten seien abgeschlossen gewesen, beharrte indes Reding. Das mag sein, aber den rauen Ton hatten viele Lehrer lange vor dem Streikaufruf bedauert. Spätestens nach dem Facebook-Eklat aber war der öffentliche Tenor klar: Die Reformgegner hatten eine rote Linie überschritten. Für SEW und Apess ist das Ergebnis fast noch schlimmer als das vorzeitige Streikaus. Was vor anderthalb Jahren noch wie eine aufblühende, sich emanzipierende Lehrerbewegung erschien – das Bündnis hielt immerhin bis ins Frühjahr –, liegt nun in Scherben vor ihnen. Zumindest geht ein großer Riss durch die Lehrerschaft. Ob das nun an dem Nein von Feduse und SNE, wie es SEW und Apess behaupten, oder an der Unnachgiebigkeit von SEW und Apess liegt, ist letztlich egal: Für die Öffentlichkeit zeigen sich die Lehrer und ihrer Vertretungen zerstritten und unversöhnlich.
Das schadet nicht nur ihrem eigenen Interesse, Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess zu nehmen. Die Beratungen im Parlament haben erst begonnen (siehe Seite 3). Es bestätigt das negative Bild, das viele Lehrer schon heute fürchten: dass sie nur fordern und mit ihnen keine Veränderungen zu machen sind. Die Unterrichtsministerin hat sich erleichtert über den abgeblasenen Streik gezeigt. Sie sollte sich aber nicht zu früh freuen: verwundete Löwen sind reizbar. Und 3 000 Streikwillige zeugen durchaus noch von einer gewissen Kraft.