Es ist ein kleiner Satz im Gesetzentwurf von Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) zur Sekundarschulreform, aber hinter ihm verbirgt sich Zündstoff. Die Rede ist von den Mindestsockeln in der Grundschule. „La voie préparatoire accueille les élèves n’ayant pas acquis ce socle.“
Das ist nur folgerichtig. Wer die Mindestsockel erreicht, wird in den Enseignement sécondaire technique versetzt, der künftig Général heißen soll. Schüler, deren Leistungen über den Erwartungen liegen, kommen in den Classique – alle anderen in den Modulaire. Dafür waren die Sockel gedacht: Richtwerte zu setzen, was ein Schüler können muss, um versetzt zu werden. Doch eben diese Versetzung ist für immer mehr Kinder gefährdet. Laut einer Studie der Universität Luxemburg erreichen 45 Prozent aller Jungen und Mädchen der dritten Grundschulklasse die Sockel im deutschen Leseverständnis nicht. Damit nicht genug: Bei 46 Prozent Schüler der 9e und 5e waren die Lese- und Verstehensleistungen immer noch ungenügend.
Obwohl es sich nicht um eine Langzeitstudie handelt, spricht vieles dafür, dass Schüler, haben sie einmal Sprachdefizite angehäuft, diese nur schwer aufholen. Das ist umso besorgniserregender, wenn man bedenkt, dass der Anteil der Kinder, die zuhause kein Luxemburgisch sprechen, zunimmt.
Rein rechnerisch müsste demnach die Zahl derjenigen Kinder, die schon in jungen Jahren schulisch straucheln und denen bestenfalls der Préparatoire bleibt, drastisch zunehmen. Weil sie nicht genug Deutsch oder Französisch können und sie es deshalb schwerer haben, auch in anderen Fächern zu punkten – selbst wenn sie die intellektuellen Voraussetzungen dafür haben. Die Mehrheit fällt nicht wegen eines Fachs, sondern in zwei und mehr Fächern durch. Vielleicht haben sie Glück. Nicht selten passen Lehrer ihre Bewertung dem Niveau ihrer Klasse an. Werden ganze Jahrgänge schwächer, werden die Leistungen entsprechend besser bewerten. Das gefürchtete Nivellement vers le bas erklärt sich nicht nur durch sinkende Leistungen. Es wird durch die Benotung strukturell.
Die Luxemburger Schule versagt demnach doppelt: Immer mehr Kinder verpassen durch überzogene Sprachanforderungen den schulischen Anschluss. Gleichzeitig verlieren ihre Noten an Wert. Lehrer können für die zunehmende Heterogenität im Klassenzimmer nichts. In ihrer Ausbildung lernen sie kaum Strategien für den Umgang damit, zumal wenn die Leistungsanforderungen und Lehrpläne so bleiben. Wenn aber Lehrer verschärfte Zugangs- und Versetzungskriterien fordern, muss man fragen: Wo sollen all die Schüler hin, die dem Unterricht nicht mehr folgen können? Sie zu unterstützen, versteht sich von selbst. Ja, die besten Lehrer sollten den Schwächsten helfen. Es steht aber zu befürchten, dass das nicht reicht, um die Zahl der Abgehängten deutlich zu reduzieren. Und auch die Starken haben ein Recht auf Förderung.
Nicht weniger, sondern mehr Reformen braucht die Luxemburger Schule. Angesichts des Bevölkerungswandels gehört der Sprachenunterricht radikal in Frage gestellt. Und zwar mit den Zugewanderten gemeinsam. Wahrscheinlich gäbe es dann die zweigleisige Alphabetisierung längst, zumindest im Test, sowie mehr (Berufs-)Ausbildungen auf Französisch. Die Reformen der CSV-LSAP-Regierung sind schon jetzt nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Die geplanten Maßnahmen im Sekundarunterricht greifen, sollten sie kommen, frühestens in ein paar Jahren. Für diejenigen, die heute trotz Klassenwiederholung Gefahr laufen, den schulischen Anschluss zu verlieren, ist das zu spät. Mit einer Ausbildung unter ihren Möglichkeiten bezahlen sie – und wir – den Preis.