Wie gelingt es einer freischaffenden Architektin, in einer Elternvereinigung nicht nur mitzuarbeiten, sondern ihr sogar vorzustehen? Und obendrein nicht nur irgendeiner Elternvereinigung, sondern sogar dem Dachverband aller Vereinigungen, der Fédération des associations des parents d’élèves du Luxembourg (Fapel)?
„Ganz einfach: Ich arbeite nicht voll“, entgegnet Jutta Hennecke. Seit Mitte März ist sie Fapel-Vorsitzende, folgte Michèle Retter nach. Sie sagt: „Ich liebe meinen Beruf, keine Frage!“ Doch die Entscheidung, in ihrem Bartringer Architektenbüro kürzer zu treten als wahrscheinlich die meisten ihrer Kollegen das tun, traf sie schon ziemlich bald, nachdem sie 1987 aus Deutschland nach Luxemburg gezogen war und ein Jahr später ihr erstes Kind bekam: „Ich schränkte meine Karriere ein. Das habe ich bis heute nicht bereut.“
Für die Fapel muss das eine geradezu glückliche Konstellation gewesen sein, als am 18. März der neue Vorstand gewählt wurde. „Kandidatin für das Präsidentenamt war ich eigentlich nicht“, erzählt Hennecke. Doch die anderen Vorstandsmitglieder waren es ebenfalls nicht. Denn alle hätten gewusst, dass sich der Fapel-Vorsitz mit einem Vollzeit-Job schwer vereinbaren lässt: Wer angestellt ist, müsse Urlaub nehmen, um tagsüber einen Termin für die Fapel wahrnehmen zu können. „Das aber fällt umso schwerer, wenn man Kinder im Schulalter hat. Da hebt man Urlaubstage lieber auf“, weiß Hennecke. Und so war es wohl eine noch glücklichere Konstellation für die Fapel, deren Vorsitz so viel Arbeit mit sich bringt, dass Jutta Hennecke nicht nur ihre eigene Chefin ist, sondern das jüngste ihrer drei Kinder schon 2007 das Lyzeum verließ. Dessen Elternvereinigung hatte Hennecke bis 2008 geleitet; heute hat sie 13 Jahre Arbeit als Elternvertreterin hinter sich. Als Delegierte des Lyzeums war sie zur Fapel gekommen, hatte sich dort vor allem um die Belange der Europäischen Elternvertreter-Verbandes Epa gekümmert. „Zum Schluss war ich nur noch kooptiertes Fapel-Mitglied und hätte gar nicht gedacht, dass ich als solches Präsidentin werden könnte.“ Doch wenn der ehrenamtliche Präsidentinnenposten so viel Einsatz verlangt, ist auch das möglich, „und meine viele Erfahrung nicht zu nutzen, wäre schade gewesen“. Da sitzt Jutta Hennecke also mit ihrer Erfahrung und hat eine Menge vor – auch wenn sie längst keine Kinder im Schulalter mehr hat.
Was sie mit der Fapel vorhat? Natürlich die Schulreformen mitgestalten. „Ich habe schon Anne Brasseur als Ministerin erlebt. Bereits sie hatte erklärt, Reformen müssten her.“ Zwei Legislaturperioden später sei die Reform noch immer nicht abgeschlossen, „und das war für mich ein wichtiger Grund, in der Fapel aktiv zu bleiben, nachdem mein jüngster Sohn das Lyzeum abgeschlossen hatte“. Ein zweiter Grund ist prinzipieller Natur: Jutta Hennecke ist zutiefst davon überzeugt, dass jedes Kind das gleiche Recht auf eine hochwertige Bildung hat. „Ich wäre überhaupt nicht einverstanden, wenn an jeder Ecke eine Privatschule eröffnet würde, weil immer mehr Eltern der Ansicht sind, nur dort seien ihre Kinder gut aufgehoben.“ Das aber setze voraus, dass Eltern sich in den Schulen engagieren. Wohlgemerkt: dass sie sich nicht allein für ihr Kind einsetzen, sondern für die gesamte Schülerschaft des Hauses. In den Schulen müsse verstanden werden, dass Elternengagement auch den Schulen selber nütze und nicht gegen die Lehrer gerichtet sei. Sonst drohe dem System womöglich eine Spaltung in eine öffentliche Schule für Kinder aus sozial schwächeren Familien und einen privaten Zweig für die Mittelschicht.
In einem Land wie Luxemburg mit seiner ausgesprochen heterogenen Schülerschaft, für die „Migrationshintergrund“ nicht gleichzeitig sozial schwach heißen muss, scheint das ein besonders akutes Anliegen zu sein. „Es sind nicht etwa nur Luxemburger Eltern, die sich engagieren“, weiß Hennecke aus Erfahrung. Eher seien es Bessergestellte, ganz gleich ob Einwanderer oder Alteingesessene. „Bildungsferne Familien erreichen wir eher schlecht“, während so manche Migranten Ansprüche hätten, denen die öffentliche Schule nicht immer gerecht wird.
Was für die Fapel nicht nur ein Repräsentativitätsproblem mit sich bringt. Die vielleicht vordringlichste Aufgabe in ihrem Amt sieht die neue Präsidentin darin, allen Elternvertretungen näher zu kommen, die es gibt im Lande, und Spaltungen zu überwinden, die sich aufgebaut haben.
Denn entstanden war die Fapel aus einem Zusammenschluss von Elterngruppen, die sich in verschiedenen Schulen spontan gebildet hatten, um mit den Lehrern in Dialog zu treten. Das ist Jahre her. Mit der offiziellen Anerkennung der Fapel selbst durch die Schulgesetzreform von 2009 ging auch eine Anerkennung von „Elternvertretungen“ an den Grundschulen und an den Lyzeen einher. Doch: Vorher schon hatten sich Elterngruppen in Vereinen organisiert – im Primär- wie im Sekundarbereich. Die komplexe Realität ist seither die, dass nur die Elternvertretungen berechtigt sind, in den Conseils d’éducation der Lyzeen mitzuentscheiden beziehungsweise im Grundschulbereich als die offiziellen Ansprechpartner der die Schulen selbstverwaltenden Lehrerkomitees zu fungieren. Die seltsame Zweiteilung durch das Gesetz entstand, weil die Regierung der Ansicht war, Eltern, die sich für Schülerbelange einsetzen, könnten nicht verpflichtet werden, einem Verein beizutreten.
„Die Fapel hat damals versucht, den bestehenden Elternvereinigungen klar zu machen: Passt auf, ihr müsst unbedingt für die neuen Organe kandidieren.“ Doch längst nicht alle hätten das getan. Und während es in den meisten Lyzeen kein Problem gewesen sei, dass der Vorstand der Elternvereinigung sich zum Vorstand der Elternvertretung wählen ließ, sei das nicht in allen Grundschulen gern gesehen gewesen. Wie eng die Verbindung zwischen den Vereinigungen und den Vertretungen der Eltern ist, weiß Jutta Hennecke derzeit nicht zu sagen. „Den Überblick muss ich mir erst verschaffen.“ Sie vermutet aber, dass dieser Link in den meisten Schulen nicht existiert.
Politisch gesehen, sei die Fapel unabhängig und neutral, habe nur das Schülerwohl im Blick, welches das gemeinsame Ziel aller Beteiligten sein müsse, betont Hennecke. Aber damit meint sie parteipolitische Unabhängigkeit, denn ihrer Vorgängerin war deren Mitgliedschaft in der ADR von verschiedenen Seiten vorgehalten worden. Bildungspolitisch vertritt die Fapel Positionen, die sich klar einordnen lassen. Zum Beispiel die Forderung, auch in die Grundschulen gehöre eine Direktion, die zwar „in erster Linie koordinieren“ müsse, denn Dialog entstehe „von unten her“. Den Lehrern vorgesetzt sein müsse die Direktion aber auch.