„Dem Streik entgegen?“ fragten die Lehrergewerkschaften SEW und Apess mit drohendem Unterton in ihrer gemeinsamen Pressemitteilung vergangene Woche, die sie nach dem letzten Vermittlungstreffen mit Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) an Journalisten verschickten. Für die beiden Gewerkschaften stand da fest: Der letzte Versuch, sich beim Streit um die Reform des öffentlichen Diensts doch noch zu einigen, war gescheitert.
So sehen es jedenfalls das SEW und die Apess. Weil die schwarz-rote Koalition nicht auf ihre Forderung eingegangen war, die Lehrer von wesentlichen Teilen der Staatsbeamtenreform auszunehmen, kündigten die Gewerkschaften an, die Vorbereitungen für einen Streik zu beginnen. Sie berufen sich dabei auf ein Manifest, das bis Ende Februar 2012 rund 4 500 Lehrer unterschrieben hatten und das die Ablehnung eines „persönlichen Bewertungssystems“ für Lehrer sowie neuer Hierarchiestufen forderte.
Doch obwohl sie sogar über Schüler versuchten, Eltern für ihre Sache zu gewinnen, in dem sie ihnen Einladungen mit in den Schultornister gaben, kamen zur ersten Informationsveranstaltung auf dem Limpertsberg nur rund 30 Leute, und auch bei den folgenden Treffen war es nicht viel mehr. Haben die beiden Gewerkschaften mit ihrem Konfrontationskurs zu hoch gepokert?
Denn die beiden größten Lehrervertretungen, das SNE und die Feduse, die zur CGFP zählen, machen nicht mit. Sie haben den Kompromiss mit der Regierung unterschrieben. „Das heißt aber nicht, dass wir damit zufrieden sind“, betont SNE-Sekretär Gilles Glesener auf Land-Nachfrage. „Wir haben diese Reform nicht gewollt.“ Aber nun steht die Unterschrift unter dem Abkommen, den das SNE als „bestmöglichen Kompromiss“ bezeichnet, dessen Details aber noch nicht alle geklärt sind. Fest steht nach monatelangen Verhandlungen: Die Posten „besonderer Verantwortung“ wird es geben, wenngleich ohne hierarchische Aufwertung. Auch werden sich die Lehrer in Zukunft bewerten lassen müssen. Grundschullehrer wie gehabt durch das Inspektorat, Sekundarschullehrer durch die Schulleitung. Die umstrittenen Mitarbeitergespräche entfallen. Das Raster, das zuvor als Bemessungsgrundlage im Gespräch war, wird in der Form ebenfalls nicht zum Einsatz kommen. Aber die dreimaligen Bewertungen, nach dem Stage, nach zwölf und nach 20 Jahren hat die Regierung gleichwohl durchgesetzt. „Immerhin bekommen wir aber die Möglichkeit, die Bewertung anzufechten“, betont Glesener. Nach dem aktuellen System werden Lehrer, die versetzt werden, vom jeweiligen Inspektor begutachtet. Im Gegensatz zur geplanten neuen Regelung kann sich ein Lehrer bislang aber nicht gegen ein negatives Urteil wehren.
Ihren Mitgliedern versuchen Feduse und SNE das Ergebnis als Erfolg zu verkaufen, nach dem Motto: Hätten wir nicht so zäh gerungen, wäre alles noch schlimmer gekommen. So liest es sich in der gewerkschaftseigenen Zeitschrift, in der behauptet wird, andernfalls hätte das Beamtenstatut auf dem Spiel gestanden. Im Land-Gespräch präzisiert SNE-Sekretär Gilles Glesener: Eine konkrete Drohung seitens der Regierung habe es nicht gegeben, der Verlust des Beamtenstatuts habe „angeklungen“. Die CSV/LSAP-Regierung hat mit den gleichzeitig veranlassten Reformen von Sekundarschule und öffentlichen Dienst wenig Fingerspitzengefühl bewiesen. So dumm, in einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Regierung neue Tiefstände erreichen, mit der Wegnahme des Beamtenstatuts zu drohen, dürfte sie dann doch nicht sein.
Entscheidend dafür, dass die beiden großen Gewerkschaften unterschrieben haben, ist ein anderer Grund: Zum einen hatte die Muttergewerkschaft CGFP nach kontroversen Verhandlungen mit ihrer Unterschrift zum Rahmenabkommen 2012 die Marschrichtung bereits vorgegeben. Danach war klar, dass allenfalls Details verhandelt würden. Die Unterrichtsministerin hatte früh versprochen, die Lehrerbewertung nicht in derselben Form wie bei den anderen Staatsbeamten zu gestalten, sondern an die Lehrerwirklichkeit anzupassen. Dass es eine Extrawurst geben würde und etwa die Lehrer gar nicht bewertet würden, war allerdings von vornherein keine Option. François Biltgen (CSV) als Minister des öffentlichen Dienstes für die Beamtenreform zuständig, hatte sehr deutlich gemacht, dass er keineswegs hinter das Rahmenabkommen mit der CGFP zurückgehen würde.
Während SNE und Feduse also den Dialog suchten, suchten Apess und SEW die Konfrontation. Mit ihrer Forderung, die Lehrer ganz aus der Bewertung herauszunehmen, von neuen Hierarchiestufen abzusehen, die Lohnsenkungen bei den Einstiegsgehältern zurückzunehmen, setzten sie die CGFP unter Druck, ließen sie schwach und verzagt aussehen, zumal SEW und Apress das Recht beanspruchten, selbst mit der Regierung über den Inhalt der Beamtenreform verhandeln zu wollen. Nicht nur Biltgen hatte dieses Recht stets bestritten. Auch der Ministerrat hatte darauf bestanden, dass nur die CGFP die Lehrer vertrete und nur sie die Streikprozedur einleiten könne. Allen voran aber wetterte die CGFP scharf gegen die lästige Konkurrenz.
So dass Apess und SEW ihrer Weg fortan alleine gingen. Allerdings: Mit rund 4 500 Lehrerstimmen im Rücken hatten sie einiges Verhandlungsgewicht. Weshalb die Unterrichtsministerin sich weiteren Gesprächen auch nicht verwehrte, schon um nicht erneut mit dem Vorwurf konfrontiert zu sein, sie sei nicht gesprächsbereit. Hinter die Position der Regierung konnte aber auch sie nicht zurück. Nun also sind die Gespräche gescheitert, der Bruch zwischen SEW/Apess und SNE ist da, auch wenn Gilles Glesener nach wie vor betont, es speche „nichts dagegen, auch in Zukunft zusammenzuarbeiten“. In einem offenen Brief klingt das Syndicat deutlich vergrätzter. SEw und Apess „nous exhorte à la solidarité et entend par là un ralliement inconditionnel et complet, aveugle et obéissant à la seule juste cause, qu’ils jugent détenir en exclusivité“. Man habe stets darauf bestanden, „Beamtenstatut und Schulreformen voneinander zu trennen“, so Glesener weiter.
Und jetzt? Wie geht es weiter? Während der Ferien blieb es still um die Gewerkschaften. Aber die gemeinsamen Informationsveranstaltungen zeigen: SEW und Apess meinen es ernst. Die Gretchenfrage ist dabei, ob sie für ihren rigiden Kurs genügend Unterstützer finden werden. Wohl nicht ohne Hintergedanken hat das Unterrichtsministerium auf anfrage des grünen Abgeordneten Claude Adam neue Zahlen zur Grundschule veröffentlicht: Demnach sind die Ausgaben für die Grundschule von 2008 bis 2012 um rund 62 Prozent gestiegen. Kostete ein Grundschüler dem Staat vor fünf Jahren noch rund 12 856 Euro, so sind es heute 20 821. 66 Prozent der Mehrausgaben gehen auf gestiegene Personalkosten zurück: Weil mehr Lehrer eingestellt wurden, aber vor allem weil die Regierung den Lehrern die Grundschulreform mit einer saftigen Lohnerhöhung schmackhaft machen wollte. So wie auch die Reform des Beamtenstatuts.
Doch das scheint längst vergessen, vom besseren Lohn spricht niemand, schon gar nicht die Gewerkschaften. Die Leserbriefe in den Tageszeitungen sind weniger geworden, und auch nach der Veröffentlichung der Zwischenbilanz der Grundschulreform blieb der öffentliche Proteststurm aus. Die Ministerin hat die Uni eingeschaltet, um eine Lösung des Dauerstreits um die Grundschulzeugnisse zu finden – und dennoch muss sie Ungemach fürchten: Nach den Osterferien will die Sekundarschullehrervertretung DNL ihre Vorschläge zur Sekundarschulreform vorstellen. Spätestens dann dürfte sich die Stimmung wieder deutlich aufheizen. Insider gehen davon aus, dass der Gegenvorschlag keine allzu großen Zugeständnisse beinhalten wird. Trifft das zu, könnten nicht zuletzt die Apess und das SEW davon profitieren: Deren unnachgiebige Haltung könnte im Wahrsten Sinne des Wortes Schule machen. Auf Facebook und Twitter finden sich zwar auch kritische Töne über den oft polemischen Stil der beiden Gewerkschaften. Aber nimmt man die Demonstration im März 2012 mit rund 6 000 Lehrern als Gradmesser für die Stimmung, könnten Apess und SEW am Ende noch als Gewinner da stehen und ist die Streikoption vielleicht gar nicht so unrealistisch.