Die Waldorfschule gibt es seit über 25 Jahren. Beliebt bei Schülern und Eltern, kommt sie aus dem Provisorium dennoch nicht heraus

Containerkinder

d'Lëtzebuerger Land du 07.06.2013

Ein Parkplatz mit acht oder neun Stellplätzen hilft der Waldorfschule aus der größten Not. Klingt bizarr, ist aber wahr. Die Schule auf dem Limpertsberg platzt aus allen Nähten. Eigentlich ist es in dem Gebäude mit den pastellfarbenen Wänden seit einigen Jahren zu eng. Aber seitdem die drei Container auf Cents, in der die Spillschoul untergebracht war, im vergangenen Jahr schließen mussten, rücken Kinder und Erwachsene auf dem Limpertsberg noch enger zusammen. „Die Asbestwerte liegen unterhalb dem legalen Grenzwert. Aber wegen des allgemeinen Zustands hat der technische Dienst empfohlen, das Gebäude nicht längerfristig zu nutzen“, erklärt die hauptstädtische Schulschöffin Colette Mart dem Land. Mit allgemeinem Zustand ist wohl Schimmel gemeint: Ein Container war aus gesundheitlichen Gründen nur noch zur Lagerung von Materialien zu benutzen.

Als Ausweichmöglichkeit bekam die Schule zwei Klassensäle im zweiten Stock in der Grundschule Henri VII auf dem Limpertsberg angeboten. Keine ideale Lösung fanden allerdings die Waldörfler. Denn die Rudolf-Steiner-Pädagogik spielt sich zu einem nicht unwesentlichen Teil draußen im Freien ab. Weil die Stadt keinen anderen Raum übrig hatte – „Wir sind als Stadt nicht verpflichtet, Ersatzräume zu finden“, betont Schulschöffin Mart –, sind die Kinder in das Mutterhaus auf dem Limpertsberg gezogen. Wo sie nun gemeinsam mit anderen auf (noch engerem Raum) essen und malen – wenn sie nicht gerade draußen herumtollen.

„Wir sind Meister im Improvisieren. Das ist eine Stärke, aber vielleicht auch eine Schwäche“, sagt Dominique Schlechter vom Elternbeirat der Schule. Eine Stärke ist es in dem Sinne, dass auf dem etwa ein Hektar umfassenden hügeligen Gelände kein Flecken Erde ungenutzt ist. Hier ein selbstgezimmertes Baumhaus, dort eine Holzhütte, hier ein paar selbst angelegte Hochbeete, auf der gegenüberliegenden Straßenseite neuerdings ein Bolzplatz.

In der einzigen Luxemburger Waldorfschule sind vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe alle Altersgruppen vertreten. Wir versuchen, jeder Gruppe ihre Ecke zu geben“, erklärt Schlechter. Die Spillschoul ist im rechten Flügel des Hauptgebäudes untergebracht, das vom Ministerium für öffentliche Bauten 1991 zur Verfügung gestellt wurde. Auf der anderen Seite sind die Grundschulklassen. 179 Sekundarschüler wiederum teilen sich die orange-rot-blauen Container hinter dem Hauptgebäude. Sie sind zwar ebenfalls eng, aber in besserem Zustand als das Hauptgebäude: Dort zieht es im Winter, im Sommer herrschen bisweilen Temperaturen von über 35 Grad. „Wir haben das Gebäude von einem Experten untersuchen lassen, an vielen Stellen gibt es Kältebrücken“, sagt Dominique Schlechter.

Das Gebäude sei, erinnert sie sich, von Anfang an als vorübergehende Lösung konstruiert worden. Mehr als 20 Jahre später, ist die zwar um Sekundarschule und eine gymnasiale Oberstufe erweitert, aber das Hauptgebäude ist noch das alte. Container kamen hinzu, die Elektrik wurde für 50 000 Euro neu verlegt, schon um die gesetzlich vorgeschriebenen Normen einzuhalten. Insgesamt hat das Bautenministerium eine halbe Million Euro in die Renovierung der Sporthalle, Duschen und Umkleideräume investiert.

Inzwischen ist das Problem vielmehr, ob die Gesamtfläche für die insgesamt 380 Kinder ausreicht, zumal das Gesetz mindestens zwei Quadratmeter pro Schüler pro Klassenraum vorschreibt. Einen Festsaal gibt es nicht. Wird Theater aufgeführt, muss oft der Sportunterricht weichen. Für rund 50 Lehrbeauftragte steht offiziell ein Lehrerzimmer von rund vier mal acht Quadratmeter und mit drei Computerplätzen zur Verfügung. Elterngespräche finden aus Platzmangel in einem schlauchförmigen Raum statt, den auch Erzieher nutzen und der nicht viel größer ist als ein Abstellraum.

Wird der Parkplatz bebaut, wird das die größte Raumnot lindern, hofft Dominique Schlechter. Sie ist froh und dankbar, dass der Gemeinderat der Stadt Luxemburg grundsätzlich grünes Licht für die Erweiterung gegeben hat. Das sei nicht selbstverständlich, betont die DP-Politikerin Mart. „Anwohner könnten sich beschweren.“ Dennoch habe man entschieden, die Waldorfschule zu unterstützen: „Weil wir politisch Verständnis für die Schule haben und als Hauptstadt offen für alternative Schulangebote sind.“ Das ist ehrenwert, aber das bauliche Provisorium ist damit nicht behoben, schließlich kann derzeit niemand sagen, wie lange die Stadt auf den Parkplatz verzichten wird.

Mit dem Schöffenrat hat die Waldorfschule noch einen zweiten Accord de principe abgeschlossen. Die Stadt ist dabei, jene kleinen Schulen, in denen oft nicht mehr als zwei bis vier Klassen untergebracht sind, zu größeren Einheiten zusammenzulegen. „So können wir das Personalkontingent besser einsetzen“, erklärt Mart. Sollte ein Gebäude in den nächsten Jahren frei werden, hat sich die Stadt bereit erklärt, es der Waldorfschule zu vermieten, so dass diese eine „Antenne“ in der Hauptstadt behielte.

Es sieht nämlich ganz danach aus, als müsste die Waldorfschule früher oder später aus der Hauptstadt fortziehen. Seit über sieben Jahren suchen Pierre Elvinger, Verwaltungsratspräsident und Rechtsanwalt, Dominique Schlechter und andere engagierte Eltern nach einer dauerhaften Raumlösung. „Am liebsten wäre uns ein Ort, der gut erreichbar ist und an dem wir alle Kinder zusammen behalten können“, wünscht sich Schlechter.

Doch die Bauplatzsuche gestaltet sich schwierig. Ein Grundstück in Waldhaff schien ideal, aber dann meldete trotz positiver Vorstudien und einem prinzipiellen Okay aus dem Umweltministerium der Mouvement écologique Bedenken an. Das Projekt wurde gestoppt. Ein Angebot der Stadt für einen Standort in Hamm wurde ebenfalls geprüft, doch das Grundstück lag mitten in der Einflugschneise des Flughafen Findel. Der Fluglärm sei mit den pädagogischen Grundsätzen der Waldorfpädagogik nicht vereinbar, so der Einwand des Verwaltungsrats. „Ich kann das verstehen, aber die englischsprachige Schule Saint George hatte diese Bedenken nicht“, kommentiert Schulschöffin Mart die Absage. Alternativen gebe es nicht: „Wenn nichts da ist, ist nichts da“, so Mart, die mehrfach betont, weder Staat noch Stadt seien verpflichtet, privaten Schulträgern Bauplätze zu suchen. In der Tat regelt das Privatschulgesetz von 2003 zwar, dass der Staat beim Neubau einer Privatschule 80 Prozent der Kosten trägt. Aber den Bauplatz finden, müssen die Schulträger selber. Das ist in der Hauptstadt, wo der Preis für eine Wohnung bei über 4 000 Euro pro Quadratmeter liegt, ein schwieriges Unterfangen.

Zumal der Förderverein der Waldorfschule allen Vorurteilen zum Trotz nicht in Geld zu schwimmen scheint, selbst wenn die Schule als Hort für Kinder besser betuchter Eltern gilt. 380 Euro beträgt die monatliche Schulgebühr pro Kind, für das erste Kind zahlen Eltern in der Regel 120 Prozent, also rund 500 Euro, für das zweite 100 und das dritte 80 Prozent. Eine Art freiwilliger Sozialfonds soll auch Eltern mit geringerem Einkommen die Einschreibung ermöglichen. „Seit der Wirtschaftskrise 2008 ist die Zahl der Anträge gestiegen, inzwischen prüfen wir die Einkommenssituation genau“, sagt Dominique Schlechter.

Mehr Sorgen als die Finanzen macht vielen Eltern aber der Platzmangel. Sie fühlen sich vom Staat übersehen. „Wir sind die Letzten auf der Liste“, sagt Pierre Elvinger. Das Gefühl, vom Staat vernachlässigt zu werden, wird auch genährt durch taktloses Verhalten der politischen Verantwortlichen: Als die Waldorfschule 2009 ihr 25-jähriges Jubiläum feierte, erschien die Unterrichtsministerin trotz Zusage nicht. Als Entschuldigung ließ sie ausrichten, sie habe einen anderen Termin gehabt. Manche Eltern haben das bis heute nicht vergessen. Statt dessen richtete Arbeitsminister Nicolas Schmit einige Worte an die vergeblich wartende Festgemeinde.

Für den Standort Luxemburg ist die Schule nur ein kleines, aber doch feines Detail im Schulangebot. An Nachfrage mangelt es nicht, es gibt eine Warteliste und derzeit arbeitet eine Elterngruppe daran, eine zweite Waldorfschule im Süden zu eröffnen. Auch ein intergenerationelles Projekt sowie eine Kinderkrippe sind in Planung. Die Nutzer sind keineswegs immer Anhänger der Rudolf-Steiner-Pädagogik. Immer öfters melden Eltern ihre Kinder in der Schule an, weil diese in der Regelschule Probleme haben. „Unsere Tochter wollte nicht mehr in die Regelschule gehen, so viel Angst hatte sie. Hier ist sie wieder aufgeblüht“, erzählt ein Vater. Die gute Atomsphäre, die gelebte Gemeinschaft – das ist es, was Eltern und Schüler an der Schule schätzen.

Kinder und Erwachsene sind in der Rudolf-Steiner-Schule stärker involviert als anderswo. Nicht nur bei Schulfesten ist ihr Einsatz gefragt, sie entscheiden über größere Anschaffungen, es gibt regelmäßige Besprechungen im Verein. Seien es Schulhofgestaltung oder Anstreichaktionen ­– Waldorf-Eltern packen mit an, wenn es darum geht, die Schule zu verbessern. Das ist ein weiterer Grund, warum die Standortsuche sich so hinzieht: „Vielleicht machen wir nicht genügend Druck und verfolgen die falsche Strategie“, fragt eine Mutter nachdenklich.

Verwaltungsratspräsident Pierre Elvinger akzeptiert die Kritik, entgegnet aber: „Wenn jemand eine bessere Strategie weiß, kann er sich gerne einbringen.“ Aber dafür finden die Kritiker offenbar nicht die Zeit. Bisher hat sich die Schule mit Öffentlichkeitsaktionen zurückgehalten. Dabei brauchen die Waldörfler einen Vergleich mit anderen Schulen nicht zu fürchten. Nicht nur, dass viele Elemente ihrer Pädagogik mittlerweile den Weg in die Regelschulen gefunden haben, etwa das regelmäßige Theaterspiel. Beim französischen Bac international trumpfte die Schule mit traumhaften Erfolgsquoten von 100 Prozent auf, inzwischen ist sie bei über 80 Prozent und liegt damit im internationalen Durchschnitt. Die Zurückhaltung mag auch an einem mitunter schwierigen Verhältnis zur Presse liegen: In der Vergangenheit hatten Medien durchaus kritisch über den esoterischen Hintergrund der Rudolf-Steiner-Pädagogik berichtet.

Vielleicht braucht die Schule eine solche erhöhte Aufmerksamkeit aber auch gar nicht: Derzeit verhandelt die Schulleitung mit der Strassener Gemeinde über einen möglichen Bauplatz. Derzeit sind die Aussichten für eine Einigung ziemlich gut.

Ines Kurschat
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