Bei seiner Wahl zum Spitzenkandidaten der CSV im Oktober 2016 hatte Claude Wiseler an die am 20. Juli 2001 von CSV-Premier Jean-Claude Juncker in die Welt gesetzte Panik vor dem 700 000-Einwohnerstaat angeknüpft und so die in der rechten Ecke geschürten Überfremdungsängste als aktuelles Wahlkampfthema salonfähig gemacht. Unter dem Hüllwort „Wachstumsdebatte“ wird diese Überfremdungsdebatte regelmäßig veranstaltet, wenn ein Wahlkampf auf der Höhe eines Konjunkturzyklus stattfindet. So sollen beispielsweise mit dem „Rentenmauer“ genannten falschen Syllogismus „Weniger Rente statt mehr Auländer“ Ansprüche gegenüber dem Sozialstaat unterbunden werden.
Der Tenor dieser Debatte, dass die Ausländer, in diesem Fall die Grenzpendler, unser Unglück seien, wird in zwei Farbvarianten geliefert, einer bräunlich und einer grünlichen, die nicht nur zu einem unschönen Sud ineinanderverlaufen, sondern sich auch gegenseitig rechtfertigen: In der bräunlichen Variante bedrohen die Grenzpendler die heimische Kultur, weil man beim Bäcker ein Kruassang „Croissant“ nennen muss, in der grünlichen Variante bedrohen die Grenzpendler die heimische Natur, weil sie Verkehrsstaus verursachen.
Weil die Wirtschaft seit Jahren robust wächst, wird auch im aktuellen Wahlkampf eine Überfremdungsdebatte geführt. Nach dem Referendum von 2015 überbieten sich die Parteien von rechts bis weit in die Mitte mit Verständnis für jene Wähler, die im Fernsehen Nazis durch die Straßen fremder Städte ziehen sehen. Selbst am linken Rand wird ab und zu ein bescheidener Beitrag zur Spaltung der luxemburgisch-lothringischen Arbeiterklasse geliefert, weil die, die wenig haben, am liebsten jenen etwas wegnehmen möchten, die nichts haben.
Allerdings hat diese angebliche Wachstumsdebatte bei allen Parteien zwei sehr widersprüchliche Seiten. In der Propaganda auf Wahlversammlungen und Plakaten verteidigen die meisten Parteien das Vaterland, die Muttersprache und die Heimatscholle vehement gegen Frankofone und Kohlenmonoxid. Die CSV verspricht, das Wirtschaftswachstum zu „leiten und zu begleiten“, die DP verspricht eine „Zukunft op Lëtzebuergesch“, die Grünen haben „eist Land gär“ und die ADR leistet sich den Facebook-Nationalisten aus der Referendumskampagne. Gemeinsam beteuern sie, das Wirtschaftswachstum zu zügeln, die Liberaleren, indem sie Grenzpendler durch Roboter zu ersetzen versprechen.
Doch in den Programmen der Parteien sieht es ganz anders als auf ihren Plakaten aus: Kein einziges Programm macht Vorschläge, wie das Wirtschaftswachstum gebremst werden soll. Vielmehr überbieten sie sich mit Steuersenkungen für die Unternehmen, Investitionen in die Infrastrukturen, der Erhöhung der Kaufkraft und der Ansiedlung neuer Wirtschaftszweige, die allesamt das Wirtschaftswachstum nicht drosseln, sondern beschleunigen würden. So als dienten die geheuchelten Sorgen um das hohe Wirtschaftswachstum bloß der Beruhigung unbedarfter Wähler, herrschten in der „richtigen“ Politik ganz andere, entgegengesetzte Prioritäten – schließlich sieht auch der dümmste Wähler das Verzichtsdenken lieber beim Nachbarn angesiedelt.
Der bisher einzige nachvollziehbare Vorschlag zur Drosselung des Wirtschaftswachstums kommt ausgerechnet von einem vehementen Wachstumsverfechter, Wirtschaftsminister Etienne Schneider. Denn der einfachste Weg zum Abbremsen des Wirtschaftswachstums ist eine Verteuerung der Arbeitskraft, bis die Produktion in verschiedenen Branchen unrentabel wird. Allerdings sind die von dem LSAP-Spitzenkandidaten vorgeschlagene Arbeitszeitverkürzung und Mindestlohnerhöhung völlig unzureichend, um das Wirtschaftswachstum zu beeinträchtigen.