Tagsüber ist er Deutschlehrer in einem Lyzeum, von mittlerem Alter mit Frau und Kind. Abends schlüpft er in Rock und Bluse und erlebt die Welt als Frau. Das geht so lange gut, bis ihn sein Kollege, ein Sportlehrer, bei seinen heimlichen Ausflügen ertappt – und ihn bei der Schulleitung verpfeift. Es beginnt ein Alptraum für den transidentitären Lehrer, der nicht aus seiner Haut kann. So lautet, in groben Zügen, das Skript zu einem Theaterstück, das Regisseur, Schauspieler und Autor Jean-Paul Maes im November nächsten Jahres in seinem Theater in Tetingen auf die Bühne bringen will. Das Stück solle die Besucher für das Tabu Transsexualität und Transvestismus „sensibilisieren“, sagt Maes im Land-Gespräch. Er kennt zahlreiche transidentäre Menschen: „Es gibt sie auch hier. Viele trauen sich nur nicht, dazu zu stehen, weil sie Ablehnung und Stigmatisierung fürchten.“
Das zu ändern, hat sich der Verein Transgender Luxemburg (TGL) zur Aufgabe gemacht. Vorsitzender der Vereinigung ist Erik Schneider. Transvestiten und Transsexuelle sind nicht dasselbe: Während die einen sich damit begnügen, von Zeit zu Zeit in die Kleidung und den Habitus des anderen Geschlechts zu schlüpfen, hadern der transsexuelle Mann oder die transsexuelle Frau grundsätzlich mit Geschlechterrolle und biologischem Körper. „Aber nicht jeder Transsexuelle will sich operieren lassen“, betont Schneider. Es sind Menschen, die sich im falschen Körper geboren fühlen. Das kann eine Frau sein, die sich von Kindesbeinen an als Junge respektive Mann fühlt, aber in einem weiblichen Körper steckt, so Schneider. Oder umgekehrt ein Mann, der als Frau leben will. Die Psychologie definiert Transsexualität als „Leiden am falschen Körper“.
Doch eben diese Definition ist umstritten, nicht zuletzt bei den Betroffenen selbst. „Transsexualität ist keine Krankheit“, betont Erik Schneider, der seit mehreren Jahren in Luxemburg lebt, einen Doktorgrad der Psychiatrie hat und ehrenamtlich für TGL arbeitet. Seine Vereinigung kämpft gegen die Pathologisierung von Transsexualität. Jeder Mensch, der sich nicht mit der ihm zugewiesenen Geschlechtsrolle im Reinem fühlt, solle das von ihm gewünschte Geschlecht annehmen können, „ohne zwangsläufig Hormone zu schlucken oder sich unters Messer legen zu müssen“, unterstreicht Schneider, der sich selbst gegen eine Operation entschieden hat.
Ein ambivalentes Anliegen, denn die psychiatrische Diagnose einer gestörten Geschlechtsidentität ist Voraussetzung dafür, dass ein Transsexueller sich hormonell behandeln oder chirurgisch sein Geschlecht angleichen kann – und die Krankenkasse dies erstattet. Die Behandlung, bei der mittels Hormontherapie und operativen Eingriffen der „falsche“ Körper an die „richtige“ Identität angepasst wird, wird auch in Luxemburg von der Kasse bezahlt, aber im Ausland, meist in Frankreich oder Deutschland, durchgeführt. Auf Land-Nachfrage tut sich die Pressestelle der Krankenkasse schwer, die Bedingungen zu nennen. Es gebe „keine schriftliche Prozedur“. Die operative Angleichung wiederum ist Voraussetzung dafür, dass transsexuelle Menschen auch offiziell den Namen ihres gewünschten Geschlechts annehmen dürfen. „Das ist zumindest zwiespältig, denn es bestätigt die herrschende Auffassung, wonach ein Mann nur ein Mann oder eine Frau eine Frau ist, wenn die Geschlechterrolle und äußere Geschlechtsmerkmale übereinstimmen“, so Erik Schneider. Er plädiert für mehr Freiheit zwischen den Geschlechtern.
Luxemburg hat, anders als beispielsweise Deutschland, kein Transsexuellengesetz. Über diesbezügliche Streitfragen entscheiden die Gerichte im Einzelfall. So entschieden die Richter 2009 im Falle einer Mann-zu-Frau-Transsexuellen, die vor der Geschlechtsumwandlung verheiratet war, dass sie sich nicht scheiden lassen müsse, weil sie ihr Geschlecht geändert habe. Eine richtungweisende Entscheidung, denn es gibt noch immer keine Homoehe in Luxemburg. Von einer anderen Transsexuellen hatten die Ämter zuvor gefordert, sich vor der OP scheiden zu lassen. „Es wäre interessant gewesen, was geschehen wäre, wenn diese Person geklagt hätte“, sagt Nadine Morgenthaler vom Centre pour un traitement de l’égalité (CET).
Trotz der Jurisprudenz: Abweichungen zwischen Rolle und Geschlecht, auch wenn bewusst gewählt, sind gesellschaftlich gleichwohl nicht akzeptiert. Diskriminierung erleben Transsexuelle auch in Luxemburg. Wie sehr, soll eine im Frühjahr begonnene EU-Studie über sexuelle Minoritäten herausfinden. Allerdings ist die Luxemburger Beteiligung eher gering. Das CET war bisher mit einer Beschwerde wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz konfrontiert: Weil sein Name nicht mit seinem Geschlecht übereinstimme, finde er keinen Job, hatte ein Transsexueller geklagt.
Das deutsche Transsexuellengesetz von 1981 unterscheidet bei der Namensänderung zwischen kleiner und großer Lösung – die eigentlich keine Lösungen sind: Die „kleine Lösung“ erlaubt eine Namensänderung unter bestimmten Umständen, bei der das biologische Geschlecht in Geburtsurkunde und im Pass unverändert bleibt (aus Ingrid wird Ingo, weiblich). Die „große Lösung“, bei der Namen und Geschlecht angeglichen werden, setzte bislang eine operative Anpassung der äußeren Geschlechtsmerkmale voraus.
Es war das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das diese Regelung Anfang 2011 in einem richtungweisenden Urteil für unvereinbar mit der Menschenwürde und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit erklärte. Das Urteil der hohen Richter bestätigte eine Entscheidung von 2005, dass nämlich „nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass das Vorliegen ernsthaft und unumstößlich empfundener Transsexualität allein daran festgestellt werden kann, dass der Betroffene mit allen Mitteln bestrebt ist, seine Geschlechtsorgane und -merkmale als Irrtum der Natur durch operative Geschlechtsumwandlung zu korrigieren“. Nun muss der deutsche Gesetzgeber das Gesetz überarbeiten. Frankreich ist weltweit das erste Land gewesen, das Transsexualität von der Liste der psychischen Krankheiten gestrichen hat – und damit den Druck von Transsexuellen genommen hat, sich operieren lassen zu müssen, um im gewünschten Geschlecht leben zu können. Unumstritten ist die Entscheidung aber nicht, einige sehen die Finanzierung der Operation durch die Krankenkasse dadurch in Frage gestellt.
Transsexuellen- und Menschenrechtsorganisationen blicken nach Argentinien. Dort hat der Senat kürzlich ein bahnbrechendes Gesetz verabschiedet, das als Vorreiter in puncto Rechte für sexuelle Minderheiten gilt: Transidentitäre Menschen können in Argentinien ihren Personenstand und ihre Ausweispapiere ändern lassen, ohne zuvor ihre Transsexualität von Psychiatern oder Ärzten bescheinigt bekommen zu haben. Dem neuen Gesetz zufolge darf jede volljährige Person von allen Ämtern die Korrektur ihres Namens, ihres Geschlechts und ihres Bildes verlangen. Geburtsurkunden können fünf Jahre nach der Vornahme der Änderungen vernichtet werden. Das Gesetz hält zudem fest, dass die Änderungen der Ausweispapiere keiner „Bestätigung“ bedürfen, dass sich die betreffende Person einer Geschlechtsumwandlung, Hormon- oder Psychotherapie unterzogen hat. Diejenigen, die sich für einen operativen Eingriff oder eine Therapie entschließen, haben überdies einen verbrieften Anspruch, an öffentlichen und privaten Einrichtungen behandelt zu werden.
„Davon ist Luxemburg meilenweit entfernt“, bedauert Roby Antony von Cigale. Der Luxemburger Sozialarbeiter berät Schwule, Lesben und Interessierte – und manchmal auch Transsexuelle, sofern sie denn in die schwullesbischen Beratungsstelle in Bonneweg kommen. Viele sind es nicht. 19 Anfragen in zehn Jahren hat Antony gezählt. Die meisten wollen Informationen zur Rechtslage von Transsexuellen, medizinische Informationen oder Adressen, an die sie sich wenden können. Antony verweist sie dann in der Regel weiter an Transgender Luxemburg. Das Cigale ist auf die sozio-pädagogische Beratung von Homosexuellen spezialisiert. So steht es in der Konvention, die der Verein mit dem Staat unterschrieben hat, und auch in den Statuten. Cigale, wie auch der schwullesbische Interessenverein Rosa Lëtzebuerg unterstützen aber die Forderungen von TGL (im September organisiert TGL eine internationale Konferenz zum Thema) – es war Rosa Lëtzeburg, die das Tabu Transsexualität in Luxemburg in Form von Rundtischgesprächen, Filmen und bunten Aktionen wie dem alljährlich statt findenden und für diesen Samstag geplanten Gay mat an die Öffentlichkeit trugen. Eine gewisse Distanz gibt es dennoch: „Transsexuelle Menschen haben oft kein Problem der sexuellen Orientierung“, erklärt Roby Antony. Bei seinen Besuchen in Schulklassen, in denen der offen schwul lebende Luxemburger Schüler über Homosexualität aufklärt und sich gegen Diskriminierung und Homophobie einsetzt, hat Antony Sprüche gehört wie: „Schwule, das sind doch die, die in Frauenkleidern herumlaufen und lieber eine Frau wären.“ Um falschen Bildern vorzubeugen, plädiert Antony dafür, „nicht alles zu vermischen“ und jede Minorität für sich zu betrachten.
Genau damit aber tut sich die schwarz-rote Regierung schwer. Hatten schon Luxemburgs Schwule und Lesben jahrzehntelang warten müssen, bis sich die Regierung endlich des Themas annahm, so ist die Haltung in Sachen Transsexualität ähnlich zurückhaltend. „Erst war der Kampf der Homosexuellen, jetzt ist es an den Transsexuellen“, sagte der ebenfalls offen schwul lebende sozialistische Abgeordnete Marc Angel bei einem Rundtischgespräch im Mai über Diskriminierung von Transsexuellen und Aufklärungsarbeit an Luxemburger Schulen. Mit dem CSV-Abgeordneten und Sexualforscher Mill Majerus starb vergangenes Frühjahr ein prominenter Unterstützer eines Transsexuellengesetzes für Luxemburg.
Justizminister Francois Biltgen (CSV) hatte sich zwar recht früh mit Vertretern von TGL getroffen, nach der Unterredung jedoch keinen Handlungsbedarf gesehen. Marie-Anne Ketter, Juristin im Justizministerium schreibt auf Land-Nachfrage: Die bisherigen Fälle würden „von den Gerichten seit Jahren gut geregelt“. Die Frage verheirateter Transsexueller werde sich durch den 2010 hinterlegten Gesetzentwurf zur Homoehe „definitiv erübrigt“ haben, so Ketter weiter, die auch schreibt, dass Transsexualität „sich ja aber im Prinzip durch eine Geschlechterumwandlung auszeichne, die „en fait“ stattfindet“. Die neuesten Entwicklungen in puncto Medizin und Recht sind offenbar im Justizministerium noch nicht angekommen. Lieber reicht der Justizminister das heiße Eisen weiter: Der nationale Ethikrat soll nun ein Gutachten zum Thema Transsexualität und Transgender erstellen.