Nach, wie es schien, Monaten der relativen Ruhe in puncto Abtreibungsreform kommt nun der Endspurt. Am Donnerstag präsentierte die Menschenrechtskommission ihr Gutachten zu dem Kompromiss, auf den sich die schwarz-rote Koalition Ende 2011 nach heftiger Debatte geeinigt hatte. Es ist bereits ihr zweites Gutachten zum umstrittenen Reformprojekt von CSV und LSAP, nachdem der erste Vorschlag der Koalition für Empörung nicht nur bei Frauenorganisationen gesorgt hatte.
Zunächst erteilt die Kommission der Regierung einen Rüffel: Sie bedauere „le manque de transparence dans le processus de l’élaboration des amendements“, die es nicht erlaubt hätten, sich innerhalb einer angemessenen Zeit zu den Änderungen zu äußern, heißt es in der Einleitung.
Der Kompromiss von CSV und LSAP war den Abgeordneten am 15. März elektronisch zugestellt worden, ist aber auf der Parlamentsseite nicht in der Originalversion, sondern nur als Zusammenfassung einzusehen. Im Sitzungsbericht des Justizausschusses vom 28. März, jenem Tag, an dem die Parlamentarier über die Änderungsvorschläge beraten hatten, steht nicht der genaue Wortlaut. In der Version, die dem Land vorliegt, gibt es keine umwälzenden Neuerungen. Die bis zur zwölften Woche straffreie Abtreibung wird weiter im Code pénal geregelt, die Koalition hält an der umstrittenen, zweiten Pflichtberatung fest, vorgesehen nun an jenem Ort, an dem auch der Eingriff stattfinden soll, um betroffenen Frauen unnötige Wege zu ersparen. Wie politische Beobachter im Vorfeld vermutet hatten, wurde der Passus, wonach nur Frauen, die seit mindestens drei Monaten in Luxemburg leben, abtreiben dürfen, nach den Nachverhandlungen ersatzlos gestrichen.
Wenig überraschend, dass die Menschenrechtskommission die Empfehlungen wiederholt, die sie dem Gesetzgeber bereits zum ersten Entwurf mit auf den Weg gegeben hatte: Begrüßt wird, dass die Regierung darauf verzichten will, die „Notsituation“ einer Frau genau zu definieren. Die Souveränität einer ungewollt schwangeren Frau, sich für eine Abtreibung zu entscheiden, bezeichnet die Kommission jedoch als „souveraineté conditionnée“, da die zweite Pflichtberatung riskiere, „de rester sans effet réel car la constrainte qu’elle génère peut être perçue comme un obstacle supplémentaire à l’intervention plutôt qu’une aide et un soutien“. Zudem bedauert das Gremium, dass die Regierung daran festhalte, den Abbruch strafjuristisch regeln zu wollen und bemängelt, dass sexuelle Aufklärung und Prävention nicht gestärkt würden.
Ärzte gegen Pflichtberatung
Unterstützung dürften die Menschenrechtler bei der Gesellschaft der Gynäkologie und Geburtshilfe finden. Diese hatte in einer inoffiziellen Stellungnahme zur Reform auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt respektive Ärtztin und Patientin gepocht, das ihrer Meinung nach eine zweite Pflichtberatung durch einen Dritten unnötig mache. Vertreter der Gesellschaft hatten, auf ausdrückliches Betreiben der DP, den Parlamentariern Mitte April ihre Position noch einmal erläutert.
Für Lydie Polfer, die für die DP im Justizausschuss sitzt, „ein neuer Moment“, der in den Änderungsvorschlägen des Berichterstatters Niederschlag finden müsse. Die Liberalen lehnen, wie die Grünen, den Reformvorschlag ab. Ein obligatorischer Charakter einer zweiten Beratung sei „absolut inakzeptabel. Das ist eine Bevormundung der Frau, die mit uns nicht zu machen ist“, sagte Polfer dem Land und zeigte sich überzeugt davon, dass nach den Expertenerörterungen bei vielen „eine ganz neue Welt aufgegangen“ sei.
Dass mit dem Besuch der Gynäkologen vor allem Abgeordnete der Koalition ihre Haltung überdenken werden, ist aber ausgeschlossen. Die Opposition lässt zwar keine Gelegenheit aus, gegen das schlechte Klima innerhalb der Regierung zu sticheln. Weibliche Ausschussmitglieder schilderten nach den Anhörungen von Gynäkologen, Initiativ Liewensufank und Planning Familial übereinstimmend, ein Großteil des männlich dominierten Justizausschusses hätte sich zuvor kaum ein Bild davon gemacht, wie eine Schwangerschaft heutzutage abgebrochen wird, und dieses später auch unter vier Augen zugegeben: nämlich immer seltener mit Zange, Ausschaber oder Absaugschlauch, wie das gerne in Antiabtreibungsfilmen der 80-er Jahren von radikalen Christenorganisationen propagiert wird, sondern medikamentös. Im Planning familial, das ein Großteil der insgesamt auf rund 1 200 geschätzten Abbrüche in Luxemburg vornimmt und das als einzige Einrichtung sowohl Beratung als auch den Eingriff selbst anbietet, bekommen abtreibungswillige Frauen die Pille, bevor sie in engen, notdürftig zum Ruheraum umgewandelten Beratungszimmern (mit nur einer Toilette ausgestattet!) unter ärztlicher Beobachtung dann deren Wirkung abwarten.
In der Koalition nichts Neues
Der LSAP-Abgeordnete Alex Bodry will von einer Neubewertung trotzdem nichts wissen. Bei den Unterredungen im Ausschuss sei „nichts Überraschendes herausgekommen“, so der Parteichef. Auch dass die Ärzte die Pflichtberatung einhellig ablehnen, stimmt den Sozialist nicht um: „Als Partei wollen wir die Fristenlösung.“ Dass die Pflichtberatung beibehalten werde, gehöre zu den „Konzessionen, die man in einer Koalition machen muss, um Verbesserungen in anderen Punkten zu erreichen“, betonte Bodry. Was er unter Verbesserung versteht, sagte er auch: Mit dem Entwurf gehe man „in Richtung einer Fristenlösung“ – allerdings mit einer obligatorischen Zweitberatung durch einen psycho-sozialen Dienst, der nach Land-Informationen „sur des alternatives à la décision de pratiquer une interruption volontaire de grossesse“ aufklären sowie Informationen über „les droits et aides (...) aux familles et aux enfants“ liefern muss. Von „ergebnisoffener“ und „wertneutraler“ Beratung, womit die LSAP-Spitze den Kompromiss gerne verteidigt, ist im Text, bei dem übrigens das Exposé de motifs fehlt, nicht die Rede. Nicht einmal da konnten sich die Sozialisten durchsetzen. So dass am kommenden Mittwoch, wenn Berichterstatter Lucien Weiler (CSV) den Mitglieder seinen abschließenden Vorschlag präsentieren wird, keinerlei Überraschungen zu erwarten sind.
Lediglich bei der Frage, ob der medikamentöse Abbruch nur innerhalb einer von Gesundheitsministerium zugelassener Spezialeinrichtung oder auch ambulant vorgenommen werden darf, dürfte es eine Annäherung geben. Entsprechend reserviert ist die Stimmung bei Déi Gréng: „Unsere Haltung war von Anfang an klar. Wir wollen eine richtige Fristenregelung“, sagt die Grüne Viviane Loschetter, die die Vorschläge des Berichterstatters abwarten und dann Gegenvorschläge einbringen will. Viel Hoffnung, dass die Koalition der Opposition entgegenkommt, hat Loschetter nicht. Gilles Roth bringt es auf den Punkt: „Das wird kein Text, den wir einstimmig beschließen werden“. Als Präsident des Justizausschusses sei ihm daran gelegen, die Reform „mit der nötigen Pragmatik“ zu verabschieden, so der CSV-Politiker.
Dass die Koalition das heiße Eisen vor der Sommerpause evakuieren kann, ist unwahrscheinlich. Zum einen fehlt das zweite Gutachten des Staatsrates, dessen erstes recht kritisch ausgefallen war, gerade im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Außerdem haben beide Koalitionsparteien größte Schwierigkeiten, den mühsam errungenen Kompromiss nach innen zu verkaufen: Die CSV, weil der rechtskatholische Flügel sich kategorisch gegen jede Teilweise-Legalisierung der „Tötung ungeborenen Lebens“ stemmt. Nicht leichter wird es für die LSAP, die sich im Wahlprogramm zur Fristenlösung bekennt und deren Frauenorganisation bei ihrem Treffen am Mittwoch ihr Nein zu einer zweiten Pflichtberatung bekräftigte. Dass Beratung und Abbruch an einem Ort und erstere durch einen psycho-sozialen Dienst angeboten werden sollen, stimmt die Sozialistinnen nicht viel milder: „Mit tendenziösen Beratungsgesprächen können wir jedenfalls gar nicht einverstanden sein“, betont Michèle Diederich von den Femmes socialistes. „Die Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung muss von der Frau selber kommen und darf von einer Organisation in keiner Weise ideologisch beeinflusst werden.“ Genau das hatte im Winter 2010 zum großen Krach in der Koalition geführt: Das – christlich-soziale geführte – Familienministerium hatte hinter verschlossenen Türen und offenbar ohne Abstimmung mit dem Koalitionspartner Ausführungsbestimmungen ausgearbeitet. Die dortigen Formulierungen weckten berehtigte Zweifel daran, ob es sich tatsächlich um eine wertneutrale, ergebnisoffene Beratung handeln soll, oder ob nicht die katholische Kirche über den Hebel der Pflichtberatung abtreibungswilligen Frauen doch noch ins (schlechte) Gewissen zu reden versuchen wird.
Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, zeigen, neben den Einlassungen im Entwurf, die Aussagen der Vereinigung Vie naissante. Deren Vorsitzender André Grosbousch machte im Gespräch mit dem Luxemburger Wort, Sprachrohr der Abtreibungs- und Euthanasiegegner, keinen Hehl daraus, der im Exposé de motifs angeblich enthaltene Grundsatz, die Beratung habe völlig neutral zu sein, sei „nicht in Ordnung“. Es müsse ein Beratungsmodell her mit „der Zielsetzung, Frauen konkret und umfassend zu helfen, ihr Kind zu bekommen“. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau auf ihren eigenen Körper behagt Grosbousch nicht, seine Vereinigung will die Rolle des Vaters stärker in Betracht ziehen.
Grosbousch wollte seine Position im Justizausschuss vortragen, was ihm aber verwehrt blieb. Berichterstatter Lucien Weiler traf sich unter vier Augen mit ihm. Sein Fazit: Das Treffen habe „keine neuen Erkenntnisse gebracht.“ Nichts anderes werden vermutlich politische Opposition und Frauenorganisationen sagen, wenn das Parlament seine Beratungen abgeschlossen und der Abschlussbericht vorliegt. Die Regierungsparteien aber werden den Kompromiss jeweils als ihren Erfolg verkaufen.