Klare verbindliche Regeln im Umgang mit verhaltensauffälligen Jugendlichen in staatlichen Erziehungsheimen, ein Sicherheits- und Rekrutierungskonzept für die Mitarbeiter der so genannten Sicherheitseinheit Unisec, die diesen Herbst eröffnet werden soll. Das sind, verkürzt dargestellt, die Ziele der drei Bestimmungen, die das Familienministerium Ende Juli endlich vorlegte. Endlich, weil die Entwürfe ursprünglich für das Frühjahr versprochen waren, der Regierungsrat hatte sie im Juni auf der Tagesordnung, die Minister hatten prinzipiell grünes Licht gegeben. Weil aber noch einige Unklarheiten ausgeräumt werden mussten, gab es die Texte also mit mehrwöchiger Verspätung (d’Land vom 28.06.2013).
Dass nun präzise Regeln auf dem Tisch liegen, beispielsweise, wie Körperkontrollen bei Jugendlichen durchzuführen sind – möglichst ohne Zwang, unter menschenwürdigen Bedingungen, durch das gleiche Geschlecht, unter Beobachtung, dokumentiert und protokolliert –, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. War es aber viele Jahre lang nicht. Obwohl das Mädchenheim in Schrassig und das Jungenheim in Dreiborn staatlich überwacht werden und das Ombudskomitee für Kinderrechte in der Vergangenheit wiederholt auf rechtlich bedenkliche Prozeduren hingewiesen hatte, ist es dem geharnischten Bericht vom Oktober 2012 der Inspekteure der unabhängigen Kontrollstelle zu verdanken, dass künftig Schluss ist mit den rechtlichen Grauzonen. Zuvor hatten Ombudsfrau Lydie Err und ihr Team den Jugendanstalten mehrere Besuche abgestattet und unklare Prozeduren sowie andere Missstände angeprangert.
Die Ombudsfrau hatte nicht nur an die 1950-er Jahre erinnernde Isolierhaftzimmer ohne Toiletten sowie undurchsichtige Disziplinarmaßnahmen kritisiert: Sie hatte auch gewagt, die Unisec grundsätzlich zu hinterfragen und stattdessen eine dezentrale Unterbringung in zeitgemäßen Wohngruppen und anderen Betreuungsformen entlang unterschiedlicher Profile – sexuell Auffällige, Straffällige, hartnäckige Schulschwänzer, etc. – angeregt. Anders als die Mängelliste fand dieser Teil ihres Berichts in den Medien und der Öffentlichkeit aber wenig Echo – auch nicht in der Fachöffentlichkeit. Das für die Überwachung zuständige Familienministerium zeigte sich pikiert über den öffentlichen Rüffel und moserte, die Mediateurin habe mit ihren weit reichenden Überlegungen ihren Kompetenzbereich überschritten.
Dabei ist, seitdem die Politik nach Lösungen insbesondere für verhaltensauffällige Minderjährige sucht, also seit Mitte der 90-er Jahre, ein gewisses Unbehagen feststellbar. Alljährlich wurde Luxemburg dafür getadelt, dass hierzulande Minderjährige ins Sicherheitsgefängnis für Erwachsene in Schrassig gesperrt werden. Von Kinderrechtlern im Inland und von Menschenrechtsorganisationen im Ausland hagelte es dafür regelmäßig Kritik. Es war der internationale Druck, der dazu führte, dass schließlich nach einer Alternative gesucht wurde. Gefunden wurde sie in der Unisec.
Doch auch als deren Standort bestimmt und der letzte Stein gesetzt war – das Unbehagen ist geblieben. Dass die besonders gesicherte Jugendanstalt auf demselben Gelände wie das Erziehungsheim Dreiborn steht, sorgte zu Beginn noch für Kritik. Der Heimdirektor wehrte sich anfangs noch vehement, weil er eine Stigmatisierung der nicht straffälligen Jugendlichen fürchtete. Doch die damalige Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) und ihr vor zwei Jahren verstorbener Regierungsberater Mill Majerus drückten das Projekt gegen alle Widerstände durch. Um Ruhe vor den internationalen Experten zu haben.
Dabei nahmen sie in Kauf, was für viele offensichtlich ist – sich aber mittlerweile kaum jemand offen zu sagen traut: dass die Unisec die Problematik der schwer verhaltensauffälligen Minderjährigen nicht oder allenfalls oberflächlich löst. Welche erzieherischen Erfolge lassen sich in drei bis sechs Monaten, so lange dürfen die Jugendlichen maximal per Richterbeschluss in der Unisec verbleiben, erzielen? Noch dazu bei so unterschiedlichen Lebensläufen und mit einem solchen Aufwand: Auf zwölf Jugendliche, die in der Unisec laut Gesetz maximal untergebracht werden dürfen, kommen etwa 50 Erzieher, Lehrer und Wärter. Nicht zu reden vom millionenschweren Bau mit Mauer und Zaun.
Dass der anthrazitfarbene Klotz eher wie ein Gefängnis anmutet als wie eine Erziehungsanstalt hatte auch die Menschenrechtskommission bei ihrem Besuch bemängelt. Kinderrechtsexperten aus Belgien, die die Unisec im September 2012 besuchten, waren geradezu geschockt. Gleichwohl galt die Kritik der Luxemburger in erster Linie der Tatsache, dass mit der Unisec die Internierung von Minderjährigen im Erwachsenenvollzug nicht beendet wäre: In ihrem Gutachten zur Jugendschutzreform forderte die Menschenrechtskommission, sich von dieser Praxis endgültig zu verabschieden. In seiner diese Woche veröffentlichten Wunschliste, was die Politik in Sachen Kinderrechte umsetzen müsse, nennt der Kinderbeauftragte René Schlechter ebenfalls die Reform des Jugendschutzgesetzes.
Jene Reform des ehemaligen Justizministers Luc Frieden (CSV) sieht vor, in Ausnahmefällen Minderjährige weiterhin im Erwachsenengefängnis einsperren zu können. Ausgerechnet die Jugendrichter hatten diese Klausel gefordert. Angeblich als ultima ratio für besonders schwere Fälle und weil sie davon ausgehen, dass die auf zwölf begrenzten Plätze in der Unisec rasch ausgelastet sein würden.
Was bislang weitgehend fehlt, ist eine grundsätzliche Reflexion über Sinn oder Unsinn der Unisec. Während in anderen Ländern die geschlossene Unterbringung kontrovers diskutiert wird, scheint man sich in Luxemburg damit abgefunden zu haben. Nicht zuletzt die Kinderrechtler und die Erzieher selbst. Außer vereinzelten Kommentaren von besonders Engagierten ist die geschlossene Unterbringung öffentlich kein Aufreger – gerade so wenig wie die, für die sie geschaffen wurde: die schwer erziehbaren Jugendlichen. So ist bis heute unklar, welche Profile eigentlich in der Unisec einsitzen werden: straffällig gewordene Minderjährige, Sexualtäter oder auch schutzbedürftige Prostituierte und hartnäckige Schulschwänzer? Der Direktor, zuständig für die Leitung und das erzieherische Konzept der Unisec, weist seit Monaten diesbezügliche Presseanfragen ab. Die politischen Parteien sind auf Tauchstation, selbst die Grünen, die sich sonst lautstark für die Jugend einsetzen. Lediglich auf die Veröffentlichung der jüngsten Polizeistatistiken zur Jugendgewalt und -kriminalität folgen die übliche Empörung und Versprechen seitens der Politik.
Dabei ist niemand mit dem knastähnlichen Bau zufrieden. Weil er weder das Problem der Inhaftierung Minderjähriger endgültig regelt, noch die Problematik der schweren Erziehungsfälle löst. Eher schafft er neue Probleme: Künftig wird mit Dreiborn auch der Jugendknast assoziiert werden. Aber wenn es sich bei der Unisec um ein Gefängnis handelt, in dem „normale“ Wächter Wachfunktionen wahrnehmen, und in das Jugendliche von der Polizei eskortiert werden, warum untersteht es dann nicht der Justiz?
Es ist ein blinder Fleck: Obwohl vom Kinderrechtsbeauftragten über Ministerium, Jugendrichter und Staatsanwaltschaft bis zum Kinderanwalt alle betonen, sich für das Kindeswohl und den Jugendschutz einzusetzen, gibt es kaum eine kritische Reflexion der Unisec. Einzelheiten über das pädagogisch-therapeutische Konzept werden wenige Monate vor der Eröffnung gehütet, als handele es sich um ein Staatsgeheimnis. Die Mitglieder der staatlichen Kontrollkommission betonen zwar, dass Dreiborn und Schrassig auch Erfolge haben und dass viele Erzieher trotz miesem Personalschlüssel und schwiergem Klientel eine ausgezeichnete Arbeit machen. Auch der Bericht der Ombudsfrau lobt das Engagement der Erzieher. Ansonsten aber dringen kaum Informationen über den Tagesablauf und die Qualität der Erziehungsarbeit aus den Heimen nach außen. Das gilt nicht nur für Dreiborn.
Es gibt keine unabhängigen Studien oder Evaluation der erzieherischen Arbeit. Sie fehlen im gesamten Heimsektor, ebenso wenig wie es unabgängige Erhebungen zu den Betroffenen, ihren Bedürfnissen und ihrem Werdegang gibt. Das Familienministerium soll eine Befragung durch externe Experten in Auftrag gegeben haben, doch der Abschlussbericht erblickte nie das Tageslicht.
Eine Erklärung für diese Geheimniskrämerei ist sicherlich, dass in Luxemburg das Verständnis von Jugendschutz ziemlich widersprüchlich ist. Einerseits wird der Schutz der Jugendlichen so sehr betont, dass wichtige Gerichtsprozesse stets hinter verschlossenen Türen verhandelt werden und sogar richtungsweisende Präzedenzfälle und Urteile nicht einmal in anonymisierter Form zugänglich sind. Damit ist die Arbeit der Gerichte für Außenstehende kaum zu bewerten. Jugendrichter und Staatsanwälte pochen gerne auf den besonderen Jugendschutz hierzulande, ignorieren aber beharrlich, dass Luxemburg das einzige EU-Land ist, das noch immer Minderjährige im Erwachsenengefängnis einsperrt, obwohl diese Praktik seit Jahren schon gegen internationale Rechtsnormen verstößt.
Diese Ignoranz erklärt sich womöglich dadurch, dass Heimjugendliche keine Lobby haben. Und dass eine kritische Fachdiskussion in der Jugendsozialarbeit Mangelware ist. Eine Ausnahme bildet die Ances, eine Plattform von und mit Experten der Sozialarbeit, die in den vergangenen Jahren die Heimunterbringung und -erziehung von Jugendlichen in Form von Tagungen und Konferenzen thematisiert hat. Soeben ist ihr Buch über eine Konferenz vom Oktober 2009 mit internationalen Kinderrechts- und Erziehungsexperten erschienen.
Aber die Ances steht oft verloren da. Auf ihren Fachtagungen bleiben die Akademiker weitgehend unter sich. Zur letzten Konferenz erschienen neben internationalen Kinderrechtsexperten zwar auch hochrangige Vertreter aus Justiz, Sozialarbeit und Familienministerium. Doch die Zeit war für kontroverse Grundsatzdiskussionen zu kurz und ausgerechnet die Verantwortlichen aus Dreiborn glänzten durch Abwesenheit. Wenn aber nicht einmal sie sich öffentlich für diese Jugendliche einsetzen, wer soll es dann tun?