Es sind alle relevanten Organisationen, die sich am 18. November in Mondorf ein Stelldichein geben werden. Experten des Statistischen Amtes Statec, des Arbeitsamtes Adem, aber auch der Sozialversicherung IGSS und der Berufskammern werden in dem beschaulichen Badeort über Jugend und Arbeit – oder sollte es besser heißen Jugend und Arbeitslosigkeit? – beraten. Denn auch wenn Luxemburg von spanischen Verhältnissen nach wie vor weit entfernt ist, arbeitslose Jugendliche gibt es auch hierzulande genug. Je nach (nationaler oder europäischer) Statistik zwischen elf und 19 Prozent.
Das war auch der Grund, warum die schwarz-rote Regierung mit dem sozialistischen Noch-Arbeitsminister Nicolas Schmit die Eingliederungsmaßnahmen verlängert hatte, die gering qualifizierten, aber auch qualifizierten jungen Männern und Frauen helfen sollen, nach Schule und Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Bisher sind die Ergebnisse vor allem bei den gering Qualifizierten zwar nicht sehr viel versprechend. Und trotzdem hat die Abgeordnetenkammer diese Maßnahmen erst einmal verlängert.
Ursprünglich sollte die Garantie jeunes, die vorsieht, dass jeder arbeitslose Jugendliche umfassend beraten werden, sowie binnen vier Monaten einen Arbeitsplatz, ein Praktikum oder aber eine Weiterbildungsmaßnahme angeboten bekommen soll, ab diesen Herbst in Kraft treten. Aber der Termin wurde auf Juni 2014 verschoben und mit der Regierungskrise und den im Oktober anstehenden Neuwahlen ist ungewiss, ob die Nachfolgeregierung dieselben beschäftigungspolitischen Schwerpunkte setzen wird. Das hängt womöglich davon ab, was die Experten empfehlen werden.
Vielleicht wird das Treffen in Mondorf helfen, das Bild der Erwerbstätigen oder Erwerbsarbeit suchenden Jugend zu erhellen. Denn immer noch fehlen Informationen über die nachwachsende Generation. Zwar ist gewusst, dass das Gros der arbeitslos gemeldeten Jugendlichen mäßige Schulleistungen vorweist, über zwei Drittel sind gering qualifiziert. Viele haben keinen Abschluss, sondern die Schule vorzeitig abgebrochen. Sie tun sich besonders schwer, eine Arbeitsstelle zu finden. Eine abgeschlossene Ausbildung, werden nicht nur der Arbeitsminister, sondern auch die Verantwortlichen von Berufsberatung und Arbeitsagentur nicht müde zu betonen, ist im dienstleistungsdominierten Luxemburg mit seinem Fachkräftebedarf eine Grundvoraussetzung für eine Beschäftigung.
Die Herausforderung, die sich für viele junge Frauen und Männer heute stellt, lautet nicht nur, eine Erwerbsarbeit zu finden. Sondern was für eine? Die Festanstellung mit unbefristetem Arbeitsvertrag und gutem Auskommen ist in Luxemburg in den meisten Branchen zwar noch der Regelfall, aber wie lange noch? Dass Eingliederungsinitiativen noch keinen festen Job bedeuten, sondern für Unternehmen attraktiv sein können, um, staatlich bezuschusst, preiswerte junge Arbeitskräfte kurzfristig einzustellen – und diese dann bei Vertragsende und je nach Bedarf wieder „freizusetzen“, haben Gewerkschaften wie der OGBL und Studentenorganisationen wie die Unel immer wieder kritisiert. Vor zwei Jahren führte in Frankreich die Tatsache, dass jeder fünfte Heranwachsende unter 25 Jahren ohne Arbeit war, zu Protestaktionen im ganzen Land. Seitdem hat sich die Situation verschärft: Heute liegt die saisonbereinigte Arbeitslosenquote der unter 25-jährigen Franzosen laut Eurostat bei über 25 Prozent.
Viele haben es vergessen: Auch in Luxemburg war die Einführung der Beschäftigungsinitiativen für Berufseinsteiger Anlass für eine der größten Schülerdemonstrationen der vergangenen Jahre. Seitdem ist es ruhig, ohne das sich die Rahmenbedingungen verbessert hätten: 1 900 junge Heranwachsende waren im Juni bei der Adem arbeitslos gemeldet, die Arbeitslosenquote lag im selben Monat laut Arbeitsamt bei 11,5, laut Eurostat saisonbereinigt im Mai bei 19,4 Prozent.
Dass sich Luxemburgs Jugend um ihre Zukunft sorgt, lässt sich im von der Universität Luxemburg 2010 unter Leitung des Soziologen Helmut Willems veröffentlichten nationalen Jugendbericht sowie in zwei Erhebungen zum Jugendkommunalplan in der Stadt Luxemburg und der Südregion nachlesen: Sie sei stärker auf Sicherheit bedacht, lege mehr Wert darauf, unabhängig, ehrgeizig und durchsetzungsfähig zu sein.
Die Jugend gibt es in der homogenen Form sicher nicht. Dahinter verbergen sich unterschiedliche Lebenswelten und soziale und ökonomische Realitäten: von Töchtern und Söhnen aus besser gestellten Akademikerfamilien mit luxemburgischem Elternteil, Kinder von EU-Beamten und Bankpersonal über die portugiesische Arbeitertochter oder das Zuflucht suchende Flüchtlingskind. Um nur einige zu nennen.
Dass ihre Chancen, sich zu verwirklichen, trotz des politischen Versprechens von Bildungsgerechtigkeit, ungleich sind, betonten die Autoren des Jugendberichts. Und hat nun sogar der Erzbischof bemerkt, als er auf seiner Rundreise in Portugal gegenüber RTL anprangerte, dass Jungen und Mädchen portugiesischer Herkunft in Luxemburg schlechter in der Schule abschneiden und somit schlechtere Startbedingungen ins Erwerbsleben haben: Die Poolposition gehört weiterhin Kindern aus besser gestellten (Luxemburger) Familien. Das spiegelt sich in den Einstellungen der Jugendlichen wider: Tendenziell, so schreiben die Autoren des Jugendberichts, seien Jugendliche portugiesischer Herkunft mehr auf Sicherheit bedacht und legten mehr Wert darauf, sich anzupassen, als die Befragten mit luxemburgischer Nationalität, die eher ihre Selbstentfaltung betonten.
Das Gerechtigkeitsgefälle könnte zunehmen. Die Zahl derer, die zuhause kein Luxemburgisch sprechen, ist in den vergangenen Jahren beständig gestiegen und liegt in der Grundschule bei über zwei Drittel. Die Sekundarschulreform ist, ebenfalls wegen der Neuwahlen, auf die lange Bank geschoben. Ob sie viel an den ungleichen Startbedingungen geändert hätte, darf bezweifelt werden: Die Sprach-anforderungen zumindest für das klassische Gymnasium, an denen viele Schüler scheitern, sind immer noch extrem hoch, und die wenigen Lockerungen im Technique sind unter Lehrern, die ein sinkendes Niveau beklagen, heftig umstritten. Weil sie schon im Vorfeld für erhebliche Diskussionen und viel Widerstand sorgte, ist nicht davon auszugehen, dass ein zweiter Anlauf für eine Reform der Sekundarstufe einfacher wird. Die Probleme werden es aber auch nicht. Im Gegenteil.
Bisher mag für einen Teil der Jugendlichen, die in Luxemburg in besser betuchten Elternhäusern aufwachsen, die Zukunftsangst noch überschaubar sein. Es gibt in Luxemburg kaum Schätzungen über das Vermögen, das die Elterngeneration in den kommenden Jahrzehnten an ihre Kinder vererben wird. In Deutschland, errechnete eine Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge 2011, würden bis zum Jahre 2020 geschätzte 2,6 Billionen Euro an Vermögensstände vererbt. In Luxemburg fehlen derlei Daten, ebenso wie es keinen Überblick darüber gibt, wie eigentlich der Reichtum im EU-Land mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf verteilt ist. Lediglich das Luxembourg Household Finance and Consumption Survey der Zentralbank vom Mai 2012, eine der ersten Studien dieser Art für Luxemburg, nennt einige Richtwerte: Etwa dass das Netto-Reichtum für den Durchschnittshaushalt in Luxemburg bei rund 403 000 Euro liegt, im Vergleich zu Frankreich mit 229 300 und Deutschland 140 000 Euro ein extrem hoher Wert,
Dabei geht es nicht nur um monetäre Werte. Auch Häuser, Wertgegenstände und nicht zuletzt Grundbesitz müssen berücksichtigt werden, um ein realistisches Bild von den Vermögenswerten zu bekommen. Immerhin sind 67 Prozent der Luxemburger Haushalte Eigentümer ihres Hauptwohnsitzes, dessen durchschnittlicher Wert auf rund 640 000 Euro geschätzt wird.
Derweil wird Bauland immer knapper. Die Preise für Häuser und Wohnungen steigen weiter, laut einer Studie des Statec stieg der Preis für Apartments zwischen 2007 und 2011 um 9,4 Prozent. Auf Cents in der Hauptstadt lag die Durchschnittsmiete laut Volkszählung von 2011 bei 1 285 Euro, Nebenkosten wie Heizung und Warmwasser nicht eingerechnet. Immer mehr junge Luxemburger ziehen fort aus den Ballungsräumen und in die Großregion, weil sie sich die Wohnpreise hierzulande nicht mehr leisten können – und andererseits auf einen gewissen Komfort nicht verzichten wollen.
Für junge Menschen, die nicht von Mutter und Vater einen Bauplatz, respektive eine Wohnung geschenkt oder preiswert überlassen bekommen, dürfte der Traum vom Eigenheim indes genau das sein: ein Traum in weiter Ferne. Der allenfalls um den Preis einer enormen Verschuldung zu haben ist.
So war die Besetzung des Reihenhauses in der Route d’Arlon in Strassen durch eine Hand voll Frauen und Männer, die im Juni und Juli viel Zustimmung vor allem bei jungen Leuten in den sozialen Netzwerken fand, vielleicht Alarmsignal: dass es auch in Luxemburg Heranwachsende gibt, die nicht (länger) gewillt sind, ungleiche Lebenschancen hinzunehmen, sondern anfangen, ihre Bedürfnisse und Nöte zu äußern, mit Aktionen, die vielleicht nicht jedermann gefallen, die aber für einen gewissen öffentlichen Widerhall sorgen.
Vielleicht lässt sich derzeit noch etwas beobachten: dass das alte Versprechen vom sozialen Aufstieg auch in Luxemburg brüchig wird. Wer zur Schule geht, fleißig lernt und brav arbeiten geht, wird sich ein Auto, Haus und eine Familie leisten können – und es sogar besser haben als noch die Eltern vor ihm oder ihr.
Heute ist das nicht mehr sicher. Viele junge Erwachsene sind besser ausgebildet als es ihre Eltern je waren, sie haben im Ausland studiert, sind mehrsprachig, haben ein Praktikum nach dem anderen absolviert – und finden dennoch keine feste Anstellung. In Luxemburg ist die Generation Praktikum, auch Generation Prekrariat genannt, kaum Thema. Aber auch hier begegnet man vermehrt jungen Akademikern, die sich mit Ende 20, Anfang 30 von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln und, um Geld zu sparen, noch bei ihren Eltern wohnen. Von den vielen jungen Heranwachsenden ohne Hochschulausbildung gar nicht zu reden.