Würde der Tanktourismus einbrechen, wenn in Luxemburg die Spritakzisen erhöht werden? Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. 1995 brach das Auslandsgeschäft tatsächlich ein, als die damalige Regierung eine Akzisenerhöhung um 1,75 Franken (4,3 Cent) pro Liter verfügt hatte. Als 2004 eine Erhöhung um sieben Cent in Kraft trat, wuchsen die Mineralölsteuereinnahmen dagegen sogar um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr – weil in den Nachbarländern noch stärker an der Akzisenschraube gedreht worden war.
Aber wichtig ist, wovon man spricht: Mit „Tanktourismus“ ist nicht selten der gesamte Treibstoffexport aus Luxemburg gemeint. Manchmal werden ihm sogar die Tankstellenverkäufe von Tabak, Kaffee, Schokolade und Alkoholika an ausländische Kunden zugeschlagen. Dieter Ewringmann nahm den Begriff wörtlich: Tanktouristen sind im Ausland Wohnende, die nur zum Einkauf an Tankstellen nach Luxemburg reisen.
Interessanterweise wurde dieser Tanktourismus schon vor acht Jahren von der Universität Luxemburg untersucht und fand Eingang in den Atlas der Großregion, ohne dass davon öffentlich viel gesprochen wurde. Dazu wurden an Tankstellungen Zählungen vorgenommen und der Geograf Daniel Ullrich analysierte die Tankstellenbranche diesseits und jenseits der Landesgrenzen strukturell1.
Deutlich wurde dabei, wie groß einerseits das Tankstellenangebot in unmittelbarer Grenznähe in Luxemburg ist – und wie dünn andererseits das in den angrenzenden Regionen der Nachbarländer. Mitunter finde man bis zu 25 Kilometer von der Grenze zu Luxemburg entfernt kaum noch Tankstellen, oder allenfalls als Zusatzangebot von Autowerkstätten oder Supermärkten. In der 27 000-Einwohnerstadt Arlon etwa gibt es eine einzige Tankstelle mit vier Tankplätzen. Ein paar Kilometer weiter östlich bieten sich in der 420-Einwohnerortschaft Oberpallen vier mit insgesamt 30 Tankplätzen zur Auswahl an. In Bastogne (14 000 Einwohner) steht eine Tankstelle mit zehn Tankplätzen zur Verfügung, 54 Tankplätze dagegen in Pommerloch, die natürlich nicht nur für die 100 Seelen dort gedacht sind. Entlang der belgischen N4 sind auf Luxemburger Seite der Ortschaft Martelange zwölf Tankstellen mit 104 Tankplätzen aufgereiht.
Richtung Deutschland und Frankreich ist die Lage ähnlich. Elf Tankstellen befinden sich in Wasserbillig an der Hauptstraße Richtung Trier, sieben sind es in Schengen – im saarländischen Merzig mit 31 000 Einwohnern dagegen nur vier. In Frisingen gibt es sieben Tankstellen, in Rodingen elf, in der nächstgelegenen größeren französischen Stadt Thionville (42 000 Einwohner) vier.
Für den Tanktouristen ist die Reise nach Luxemburg auch ein Kostenfaktor. Beziehe man die Betriebskosten, den fahr- und zeitabhängigen Wertverlust und die Fixkosten für das Auto ein, dann koste, rechnet Dieter Ewringmann vor, ein Kilometer Fahrt rund 50 Cent. Sofern ein Tanktourist keine – verbotenen – Kanisterkäufe unternimmt, rechne sich der „reine Tanktourismus“ nur für Kunden, die höchstens zehn Kilometer entfernt von Luxemburger Grenztankstellen wohnen.
Allerdings kauft, wie PWC 2012 erhob, jeder Auslandskunde an Luxemburger Tankstellen auch „Zusatzprodukte“ im Wert von durchschnittlich 40 Euro ein. Für deutsche Kunden beispielsweise rentierte sich bei den damaligen Akzisenunterschieden auf Treibstoffe und auf Tabak mit jedem gekauften Päckchen Zigaretten eine um einen Kilometer längere Anfahrt. So dass, so Ewringmann, „durchaus nicht damit zu rechnen“ sei, dass „selbst bei einem Wegfall des Luxemburger Preisvorteils“ auf Treibstoffe „die ausländischen Tankkunden künftig die nächstbeste an ihrem Wohnort gelegene Tankstelle besuchen“. Umso mehr, wenn es in Wohnortnähe keine Tankstelle gibt.
An die 21 Prozent der Treibstoffkäufe in Luxemburg werden von Grenzpendlern getätigt. Das ermittelte die Zentralbank vor zwei Jahren. Da die Berufspendler täglich nach Luxemburg fahren, würde eine Verlagerung des Tankorts für sie erst attraktiv, wenn im Wohnsitzland sehr deutliche Preisvorteile nicht nur zum Tanken, sondern auch zum Einkauf anderer Produkte winken.
Inwiefern LKW-Fernfahrer im Transitverkehr Umwege zum Tanken über Luxemburg machen, ist nicht genau bekannt. Vor fünf Jahren hatte eine Umfrage ergeben, dass die Routenplanung der Trucker stark von Vorgaben ihres Betriebes bestimmt wird und Umwege nicht mehr als eine halbe Stunde dauern dürfen. Neueren Befragungen im Auftrag des Nachhaltigkeitsministeriums durch das Wiener Verkehrsplanungsbüro Komobile zufolge ist es keineswegs die Regel, dass Fernfahrer einen Umweg einlegen. 62 Prozent der Befragten gaben an, stets auf der kürzesten Route unterwegs zu sein. Und wenngleich ein Fünftel der Fahrer erklärte, „nur zum Tanken“ durch Luxemburg zu fahren, hat das laut Komobile nicht immer mit einem Umweg wegen der hierzulande günstigen Dieselpreise zu tun. Es handele sich auch um „Fahrten mit Be- und Entladung in Luxemburg“ oder um Fahrten zwischen Belgien und Italien, auf denen der Luxemburg-Transit die günstigste Route darstellt. Realistischerweise seien wohl zehn bis 15 Prozent der Transitfahrten solche mit Umweg zum Tanken.
Das Finanzwirtschaftliche Forschungszentrum der Universität Köln hatte schon für die beiden vorigen Regierungen untersucht, ob sich die Treibstoffakzisen so optimieren lassen, dass durch ausreichend kleine Akzisenerhöhungen Tanktourismus und Tank-Umwege abnehmen, das Steueraufkommen aber weiter wächst. Doch solche Überlegungen sind heikel. Einerseits, weil unklar ist, wie hoch die Akzisen in den Nachbarländern bleiben, andererseits, weil die Sprit-Endpreise auch von der Entwicklung der Rohölpreise bestimmt werden. Dieter Ewringmann geht davon aus, dass der Rückgang der Spritverkäufe in Luxemburg seit 2012 viel zu tun haben dürfte mit dem Rohölpreisverfall seitdem: Dadurch werden auch im Ausland die Endpreise niedrig wahrgenommen und das Tanken in Luxemburg wird weniger attraktiv.
Sehr vorsichtig und nur mit Blick auf Preisunterschiede, die im Herbst 2014 bestanden, deutet Ewringmann an, dass sogar Akzisenerhöhungen um zehn Cent auf Diesel und Benzin in Luxemburg für die meisten Privatkunden aus dem Ausland „verkraftbar“ sein könnten und zu keinen großen Änderungen im Tankverhalten von Tanktouristen und Grenzpendlern führen müssten. Ein 20-Cent-Aufschlag dagegen führte wahrscheinlich in den „Ausstieg aus dem Tanktourismus“. Weil für Trucker-Diesel wegen der Rückerstattungsmöglichkeiten in Frankreich und in Belgien, aber auch wegen der Rabatt-Absprachen, die Spediteure mit den Treibstofffirmen treffen, ganz andere Regeln gelten, legt Ewringmann der Regierung nahe, die Akzisen auf Privat- und auf Trucker-Diesel aufzutrennen und sie politisch unterschiedlich zu behandeln.