„Ich bin für die Presse kein guter Kunde diese Woche“, sagt Henri Wagener, Generalsekretär des Groupement pétrolier luxembourgeois (GPL). Der Verband der Tankstellenbetreiber und Petrolprodukte-Importeure äußere sich zu dem vergangenen Freitag vorgestellten Bericht über den Treibstoffexport „vielleicht nächste Woche“. Dann fügt Wagener an: „Vielleicht sagen wir dazu überhaupt nichts.“
Auch sonst blieb es erstaunlich ruhig, seit der Bericht publik ist. Während der Sitzung des parlamentarischen Umweltausschusses gab es dem Vernehmen nach keine Gegenrede, als Umweltministerin Carole Dieschbourg und Staatssekretär Camille Gira (Déi Gréng) dort mit dem Kölner Finanzwissenschaftler Dieter Ewringmann den Bericht vorstellten. Dieschbourgs Vorgänger, der CSV-Abgeordnete Marco Schank, wollte Tage später lediglich wissen, welches „politische Programm“ die Regierung denn habe. Der DP-Abgeordnete Max Hahn twitterte nach der Ausschusssitzung zwar öffentlichkeitswirksam, dem „Weltklima“ sei es „egal, wo die Leute tanken, unserem Budget aber nicht“, will aber nur so verstanden werden, dass die Regierung nicht etwa die vielen Einnahmen für die Staatskasse aus dem Tankstellengeschäft in Frage stelle. Die DP-Fraktion bildet sich ihre Meinung dazu erst kommende Woche.
Die Frage, welche Politik aus dem Ewringmann-Bericht folge, ist ganz berechtigt. Denn er ist keine Anleitung zum „Ausstieg aus dem Tanktourismus“, wie man das hätte annehmen können, weil im Regierungsprogramm festgehalten wurde, die „Machbarkeit“ eines „virtuellen Ausstiegs aus dem Tanktourismus prüfen“ zu lassen. Ziemlich spektakulär sind Ewringmanns Befunde trotzdem. Vor allem der, dass die „Kosten“ aus dem Treibstoffverkauf höher seien als der „Nutzen“. Noch vor einer Woche hatte GPL-Generalsekretär Wagener dem Luxemburger Wort erklärt, „die Steuereinnahmen überwiegen bei weitem die ökologischen Kosten“. Wie die Dinge liegen, ist die gesamte Regierung mit Ewringmann der Meinung, das Gegenteil sei der Fall.
Politisch bedeutet das allerdings nicht, dass Luxemburg demnächst völlig Abschied nimmt vom einträglichen Tankstellengeschäft, das 2012, wie Ewringmann aufgeschlüsselt hat, insgesamt 2,1 Milliarden Euro in die Staatskasse spülte, was rund einem Sechstel der Einnahmen entsprach. Die beeindruckende Summe setzt sich zusammen aus einer Milliarde Euro an Akzisen auf die in jenem Jahr verkauften 2,1 Millionen Tonnen Benzin und Diesel, plus – weil man das Tankstellengeschäft im Paket sehen muss – 670 Millionen Euro aus Tabak- und 31 Millionen aus Alkoholakzisen. Hinzu kommen noch die Mehrwertsteuereinnahmen und die direkten Steuereinnahmen auf den Gehältern der mehr als 2 600 in der Branche Beschäftigten und auf den Gewinnen der Firmen.
Dem gegenüber gestanden hätten in jenem Jahr Umwelt- und Gesundheitskosten von 3,5 Milliarden, von denen jedoch nur 800 Millionen zulasten Luxemburgs gingen, der Rest zulasten jener Länder, wo der Sprit verfahren wurde. Das hat Dieter Ewringmann anhand von deutschen und Schweizer Modellen errechnet und bemerkt, in „anderen“ Publikationen lägen die Kosten „noch höher“.
Man kann das als eine Frage der Steuergerechtigkeit ansehen. Denn weder Ewringmann noch die Regierung sind so verwegen zu behaupten, gäbe es keine ausländischen Tankkunden mehr in Luxemburg, würden diese aufhören Auto zu fahren. Doch schon vor 15 Jahren wurde Luxemburg EU-ratsintern vorgehalten, mit seiner Niedrigakzisen-Politik ein „Parasit“ zu sein. Als 2003 eine EU-Energiesteuerrichtlinie verabschiedet wurde und Luxemburg nach und nach zumindest die Minimal-Akzise auf Diesel erhob, ebbten die Vorwürfe ab. Doch vor einem Jahr veröffentlichte der Internationale Währungsfonds einen Bericht über „Subventionen“ fossiler Brennstoffe und behauptete, die hierzulande nach wie vor niedrigen Akzisen auf Diesel kämen der EU-weit höchsten Subventionierung gleich. Als NGOs daraufhin erklärten, Luxemburg „bereichere“ sich ungerechtfertigt, hatte die Umweltministerin einige Mühe zu versichern, wie ernst das Großherzogtum diese Fragen nehme – wegen Luxleaks war der Ruf des Landes schon ramponiert genug.
Auch der Klimaschutz wird komplizierter. Wegen des „Territorialprinzips“ bei den Verkäufen fossiler Brennstoffe wird der nationalen CO2-Bilanz auch jeder Liter Benzin und Diesel angerechnet, der hierzulande zwar verkauft, aber im Ausland verfahren wird. Drei Viertel der Verkäufe werden exportiert. Vor zwei Jahren sah es noch so aus, als müsse die Regierung die jedes Jahr in den „Kyoto-Fonds“ zurückgestellten 20 Millionen Euro anreißen, um, wie schon bis 2012, Emis-sionsrechte zuzukaufen, damit Luxemburg bis 2020 auf eine gegenüber 2005 um 20 Prozent verbesserte CO2-Bilanz kommt. Aber das war bisher noch nicht nötig. Die Spritverkäufe sind zwischen 2012 und 2015 um zwölf Prozent gesunken; vor allem deshalb ist Luxemburg „on track“ mit seinen Klimaschutzverpflichtungen bis 2020. Doch wenn zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens bis 2030 die Emissionen um 40 Prozent gesenkt werden sollen, dann stellt die Frage, was aus dem Spritexport wird, sich erst recht.
Die rückläufigen Spritverkäufe haben aber auch gezeigt, wie volatil die Akziseneinnahmen sein können und wie riskant es ist, einen großen Teil der Staatseinnahmen auf das Tankstellengeschäft zu gründen: Der Ewringmann-Bericht kann zwar nicht genau klären, worauf die Rückgänge im Benzinverkauf um 18 Prozent seit 2012 und um 10,7 Prozent im Dieselverkauf zurückzuführen sind. Doch weil noch immer fünf Mal mehr Diesel als Benzin verkauft wird und das Dieselgeschäft schon immer besonders einträglich war, liegt es nahe, den Grund im Absatz an Fernfahrer zu suchen: In Frankreich und Belgien erhalten Speditionsfirmen den Akzisenanteil am Endpreis vom Fiskus rückerstattet; Belgien ist dadurch ähnlich preiswert wie Luxemburg. Weil in den Niederlanden und in Frankreich die Dieselakzisen erhöht wurden, bietet auf der Route zwischen Rotterdam und Antwerpen Richtung Schweiz und Italien das Tanken in Belgien sich schon dadurch an, dass das Land größer ist und mehr Tankstellen zu bieten hat als Luxemburg.
Neu ist all das nicht. Seit gut 15 Jahren heißt es immer wieder, die Akzisen seien als Einnahmequelle „nicht nachhaltig“. Anträge aus dem Parlament, diese Zusammenhänge untersuchen zu lassen, wurden jedoch immer wieder abgewiesen. 2005 brachte der damalige DP-Frak-tionspräsident Charles Goerens, nachdem er als Umweltminister mit der CO2-Bilanz des Landes zu kämpfen hatte, die Idee vom „virtuellen Ausstieg“ auf: Ein Teil der Einnahmen sollte in einem Spezialfonds geparkt werden. Doch kein Finanzminister wollte etwas davon wissen, wie die DP anscheinend auch heute nicht weiß, wie viel Geld man wie lange festlegen könnte. Als CSV-Finanzminister Luc Frieden 2010 während der Finanzkrise einen Spuerpak vorlegte, zeitgleich in der EU diskutiert wurde, Diesel generell höher besteuern zu lassen, und gefürchtet wurde, das könnte das Ende des Tankstellengeschäfts bedeuten, vertraute Frieden lieber darauf, dass der Preisunterschied zum Ausland schon irgendwie bestehen bleiben werde, und kümmerte sich um die Akziseneinnahmen ebenso wenig wie um den absehbaren Wegfall der Mehrwertsteuer auf den elektronischen Handel.
Was die DP-LSAP-Grüne-Regierung unternehmen will, nachdem sie immerhin den Treibstoffexport untersuchen ließ und die Ergebnisse publik machte, ist noch nicht klar. Klar ist: Auch sie stellt die vielen Einnahmen aus dem Tankstellengeschäft nicht von einem Tag auf den anderen infrage. Wer eine Steuerreform verabschieden lassen will, die in den nächsten Jahren jeweils mehr als eine halbe Milliarde Euro kosten wird, und wer das mittelfristige Haushaltsziel von einem 0,5 BIP-Prozent Überschuss in ein 0,5-Prozent-Defizit verwandelt hat und dabei auf eine anhaltend gute Konjunktur wettet, kann nicht noch auf ein paar hundert Millionen aus Akzisen verzichten. Das zeigt auch ein Blick ins Mehrjahresbudget: Bis 2020 sollen die Mineralölsteuereinnahmen stabil bleiben. Die Tabakakziseneinnahmen sollen leicht wachsen. Wer das Tankstellengeschäft abwürgen wollte, müsste anders planen.
Doch wie Carole Dieschbourg und Camille Gira erklärt haben, möchte die Regierung dafür sorgen, dass die Treibstoffeinnahmen nicht wieder wachsen. Das ist durchaus ein Bekenntnis. Was daraus wird, wenn die Regierung noch für ihre Nachfolgerin einen Aktionsplan zur Erfüllung des sehr ehrgeizgen CO2-Ziels bis 2030 schreibt, bleibt abzuwarten.
Ziel ist jedoch schon jetzt, den einheimischen PKW-Bestand, der zu europarekordverdächtigen 80 Prozent aus Dieselautos besteht, nach und nach zu „entdieseln“. Das käme einer Minderung der 800 Millionen Euro Umwelt- und Gesundheitskosten in Luxemburg selbst gleich, die Dieter Ewringmann geschätzt hat; nach den von ihm zitierten Modellen sind diese Kosten für Diesel besonders hoch. Was sich auch an den gesundheitsschädlichen NO2-Emissionen festmacht, von denen unter anderem beim „VW-Skandal“ die Rede war (siehe „Das Diesel-Problem“).
Im Raum steht, die Dieselakzisensätze aufzutrennen und die auf Privat-Diesel zu erhöhen. Das könnte die Attraktivität von Diesel-PKW natürlich senken. Dass nur ein kleiner Teil der LKW-Fernfahrer Umwege zum Tanken über Luxemburg nimmt, die meisten ohnehin im Transit unterwegs sind, könnte die Begründung dafür liefern, eine höhere LKW-Dieselbesteuerung sei sinnlos und müsse unterbleiben, um die Staatskasse nicht zu ruinieren. Doch so weit will die Regierung noch nicht gehen. Höhere Privat-Dieselakzisen sähen sicher nicht gut aus im Zusammenhang mit der Steuerreform, und es wird gehofft, ein Anreiz wie die steuerliche Begünstigung von elektrischen und Plug-in-Hybrid-Autos werde nicht nur schnell viele saubere Neuwagen auf die Straße bringen, sondern mit ihnen nach ein paar Jahren der Nutzung auch den Second-Hand-Markt zu „entdieseln“.
Politisches Programm ist dabei tatsächlich der im Rifkin-Bericht erwähnte Vorsatz, ab 2025 sollten Neuzulassungen möglichst nur noch für Elektro-PKW vergeben werden. Zumindest bis zu den nächsten Wahlen ist das Regierungskonsens und es gilt ein Kabinettsbeschluss von vor zwei Wochen. Letzten Endes ist es das, womit die Petrolfirmen werden leben müssen, bis vielleicht die nächste Regierung es anders sieht. In der Zwischenzeit ist das Geschäftsmodell Tankstelle, wie man es kannte, ein Auslaufmodell, wenn auch auf längere Sicht. Den Finanzminister hat offenbar überzeugt, dass der bisher entstandene Verlust an Akziseneinnahmen von 90 Millionen Euro zwischen 2012 und 2015 kompensiert wurden durch die nicht genutzten Rückstellungen für CO2-Emissionen (20 Millionen im Jahr) und zusätzliche zehn Millionen aus höheren Konzessionsgebühren der Autobahntankstellenbetreiber. Aber auch eine Elektro-Zukunft, falls sie eintritt, wird eines Tages die Steuer-Frage stellen. Bislang ist in Luxemburg Strom sehr billig im EU-Vergleich. Das ist ein Standortfaktor, so wie derzeit noch die Spritakzisen einer sind.