Am 23. Juli berichteten die Einwohner von Fels von nie da gewesenen Szenen. Am Abend zuvor hatte es binnen kürzester Zeit dermaßen viel geregnet, dass sich die Wassermassen in den Straßen zu reißenden Strömen entwickelten. Keller wurden überflutet, Autos weggeschwemmt. Zwischen 25 und 35 Liter Regen pro Quadratmeter sollen am Vorabend gefallen sein. Wie vieles genau war, weiß man nicht, erklärt der Hydrologe Laurent Pfister vom Luxembourg Institute of Science and Technology (List) weil es in der Gegend, in dem die starke Regenzelle am 22. Juli herunterging, keine Messstation gibt und andere Instrumente bisher fehlen.
Solche Überschwemmungen in Zukunft zuverlässig vorherzusagen zu können, ist eines der übergeordneten Ziele, das die Forscher am List verfolgen. Der nationale Forschungsfonds FNR hat dem List 2,5 Millionen Euro zugesichert, mit denen über die kommenden sechs Jahre eine Einheit zur Ausbildung von 14 Doktoranden in Zusammenarbeit mit der Luxemburger Uni, der Technischen Universität Wien, der Universität Wageningen und dem Karlsruher Institut für Technologie finanziert werden soll.
Ihre Arbeiten sollen helfen, neue Modelle zu entwickeln, welche die Prozesse berücksichtigen, die in den Einzugsgebieten von Wasserläufen stattfinden, deshalb robuster sind und zuverlässige Vorhersagen im Hinblick auf Überschwemmungen, aber auch zukünftige Entwicklung von Wasserläufen überhaupt erlauben. Denn die alten, stationären Modelle, erklärt Laurent Pfister, tun das nicht. Sie berücksichtigen nur minimal, wie sich die fortschreitende Urbanisierng, eine veränderte Landnutzung oder der Klimawandel auf die Einzugsgebiete auswirken. „Die Welt ist aber nicht stationär, auch das Klima war niemals stationär“, sagt Pfister. Dass die alten Modelle, die mechanisch den Überlauf von einem Wasserreservoir also beispielsweise dem Grundwasserreservoir ins nächste berechnen, deshalb nicht besonders zuverlässig sind, diese Einsicht hat sich unter Experten schon vor Jahren durchgesetzt. Doch bessere Modelle zu entwickeln, die den vielen unterschiedlichen Faktoren Rechnung tragen, die bei der Entstehung von Hochwasser mitspielen, und wie diese Prozesse sich gegenseitig beeinflussen, ist schwierig.
Zurück zur Überschwemmung in Fels und Umgegend. Der Starkregen war so schnell und intensiv, dass der Niederschlag nicht vom Boden aufgenommen werden konnte. Der Hydrologe spricht von Oberflächenablauf. „Der Grundwasserspiegel hat dabei überhaupt keine Rolle gespielt“, so Pfister. Was nicht ausschließt, dass er unter anderen Bedingungen, bei der Entstehung von Hochwasser wichtig sein kann. Beispielsweise wenn nach lang Regenfällen, der Boden kein Wasser mehr aufnehmen kann, das Grundwasserreservoir voll ist, und das Wasser von unten an die Oberfläche drückt. Solche Überschwemmungen bedeckten zudem meist größere Landstreiche. Ein lehmiger Boden kann weniger Wasser aufnehmen als ein Sandsteinuntergrund. Ist der Boden gefroren, zieht ebenfalls nichts ein. Liegt Schnee und es regnet darauf, ist die doppelte Wassermenge zu evakuieren, zählt Pfister mögliche Szenarien auf. Dass die Gegebenheiten an jedem Wasserlauf unterschiedlich sind, macht es umso schwieriger, allgemein gültige Modelle zu entwickeln.
Die 14 Doktoranden, die das List gerade rekrutiert, werden in vier Clustern forschen. Eine erste Gruppe soll neue Messinstrumente entwicklen, die es erlauben, auch lokale Klimaereignisse, wie die von vergangenem Juli akkurat zu messen. Eine Möglichkeit ist beispielsweise die Nutzung der Richtfunkstrecken. Grob vereinfacht erklärt, wird dabei beobachtet, wie der Niederschlag das Signal zwischen den Mobilfunkantennen beeinflusst, ein Projekt, an dem das List seit Jahren arbeitet. Eine zweite Gruppe beschäftigt sich mit innovativen Tracern, die bei der Bestimmung des Alters des Wassers helfen sollen. Mit dem Alter des Wassers meinen die Experten die Zeitspanne, die zwischen dem Zeitpunkt vergeht, wenn die Wassertropfen als Niederschlag vom Himmel kommen und dem, wenn es im Wasserlauf ankommt. Je nach Bodenbeschaffenheit, kann das eine Frage von wenigen Stunden oder mehreren Jahrzehnten sein.
Dabei spielt unter anderem das Gewicht der Wassermoleküle eine Rolle. Die Forscher wiegen das Wasser zwar nicht, können aber im Labor die Isotope isolieren, aus denen das Wasser besteht: dem leichteren Sauerstof 16O und Wasserstoff H oder dem schwereren 18O und Wasserstoff. Im Meer, erklärt Pfister, sei das Verhältnis zwischen leichten und schweren Wassermolekülen relativ ausgewogen. Wenn das Wasser darüber im Sommer verdunstet, steigt im Regen der dabei entsteht, die Konzentration der schweren Isotope. Im „Winterregen“, der über den Meeren entsteht, wenn die Sonne nicht stark drückt, ist hingegen die Konzentration der leichten Isotope höher. Vergleichen die Forschen die Konzentrationskurven der Isotope im Niederschlag mit denen im Bach oder im Fluss, können sie feststellen, wie lange das Wasser unterwegs war, so Pfister.
Da diese Methode allerdings nur für drei Jahre altes Wasser funktioniert, ziehen die Forscher zur Altersbestimmung auch die Tritiumkonzentration heran. Weil Tritium radioaktiv ist, sich also abbaut, gibt sein Gehalt im Wasser ebenfalls Aufschluss über das Wasseralter und gibt beispielsweise Aufschluss darüber, wie lange Kontaminierungen im Wasserkreislauf unterwegs sind. Bioindikatoren, wie Kieselalgen, werden schon länger als zuverlässiger Indikator für die Wasserqualität genutzt. Den Forschern vom List, erklärt Pfister, sei es aber auch gelungen, Kieselalgen als Hinweis dafür zu nutzen, wie Wasser in einen Wasserlauf gelangt, indem sie untersuchen, wie terrestrische Algen, die entlang des Wasserlaufs angesiedelt sind, durch Niederschläge ins Wasser gespült werden.
Ein drittes Cluster beschäftigt sich mit der Fernerkundung. Die Forscher vom List seien eines der ersten Teams weltweit gewesen, das Infrarotkameras, die an Dronen, Flugzeugen oder auch Satelliten befestigt sind, eingesetzt habe, um mittels großflächiger Aufnahmen zu beobachten, wie sich gesättigte Zonen ausbreiten und zurückbilden, so Pfister. Dem vierten Cluster obliegt es, die von den drei anderen Teams ermittelten Informationen in ein neues Modell einzufügen, das zuverlässigere Vorhersagen erlauben soll.