d’Lëtzebuerger Land: Herr Klump, kann die Universität Luxemburg als die einzige Universität des Landes Grundlagenforschung betreiben?
Rainer Klump: Das ist sogar unser Kerngeschäft. Wir sind ja eine Forschungsuniversität. Die Suche nach Erkenntnis, und das verstehe ich unter Grundlagenforschung, ist sozusagen in der DNA der Uni angelegt.
Trotzdem ist sie die einzige Universität hier. Sie soll Studenten ausbilden, sie soll für Weiterbildung sorgen, sie soll auch den Betrieben beim Innovieren helfen. Und dann auch noch Grundlagenforschung?
Was heißt auch noch? Alles, was Sie aufgezählt haben, baut auf der Grundlagenforschung auf. Oft ist das eng verzahnt mit ihr, und in der Person der Wissenschaftler lässt es sich auch nicht immer voneinander trennen. Vom Konzept her sehe ich die Uni aber in der Grundlagenforschung. Sie ist der Kern. Deshalb wird die Universität auch zum überwiegenden Teil aus staatlichen Mitteln finanziert. Weil Grundlagenforschung etwas Risikoreiches ist, für das es nicht unbedingt eine rasche Anwendung gibt, ist sie ein öffentliches Gut, das wir bereitstellen. Wenn ich immer wieder sage, dass ich den Pioniergeist der Universität Luxemburg so schätze und ich ihn auch bei den Forschern finde, dann meine ich damit das intrinsische Interesse an neuen Erkenntnissen. Das braucht man für eine gute Uni.
Spricht man mit Forschern, die schon lange im Wissenschaftsbetrieb tätig sind, kann man hören, dass vor zehn bis zwanzig Jahren in ganz Europa alles noch anders gewesen sei. Da hätten die Akteure umfangreiche Block Grants erhalten und damit weitgehend tun können, was sie wollten. Heute dagegen werde viel mehr Rechenschaft verlangt. Wie vielen Forschern können Sie eine regelrechte Blue Sky Research, die nur von Wissbegier getrieben wird, ermöglichen?
Der Persönlichkeitstyp des Forschers, der einen Wissensdrang hat, ist nach wie vor derselbe. Dass das System sich verändert hat und mehr Rechenschaft verlangt wird, ist okay. Das muss man akzeptieren. Es hängt auch damit zusammen, dass immer mehr in die Forschung investiert wird. Dann hat die Gesellschaft ein Anrecht, dass etwas an sie zurückgespielt wird.
Aber wenn die Forschung nur von Neugier getrieben und risikoreich ist, ein Forscher sich also auch irren kann: Was wird dann zurückgespielt?
Wir haben in unseren Vierjahresverträgen mit dem Staat Leistungsindikatoren festgehalten. Zum Beispiel die Zahl der Veröffentlichungen in Fachzeitschriften mit Impact factor. Damit bin ich einverstanden. Das ist keine ungebührliche Lenkung von Forschung, sondern zunächst ein Signal für Qualität. Es gibt natürlich neben der ganz freien Verwendung der Mittel auch bestimmte Prioritäten. Als Uni konzentriert man sich auf ausgewählte Disziplinen und Bereiche, in denen man die Forschung ausbaut. Das sind strategische Entscheidungen über langfristige Aktionsfelder. Verträge über die Anwendung von Forschungsergebnissen bestehen ebenfalls. Im Zentrum aber steht immer das Streben nach Wissen.
Wo steht Uni.lu in der Grundlagenforschung?
Sie steht sehr gut. Ich will nicht unbedingt auf die Gesamtplatzierung im letzten Times Higher Education Ranking verweisen. Das wir dort in einem Kriterium wie der Internationalität sehr gut abgeschnitten haben, ist nicht sonderlich verwunderlich. Aber mich selber hat überrascht, wie stark wir bei den Zitierungen zugelegt haben. Wir lagen in dem Punkt schon vor einem Jahr alles andere als schlecht für eine junge Uni, haben uns nun aber noch weiter verbessert. Was unsere Forscher veröffentlichen, wird demnach in der internationalen Wissenschaftler-Gemeinschaft immer mehr wahrgenommen. Wie stark, hängt ein wenig von den Gebieten ab. Im Ranking der Computerwissenschaften zum Beispiel, das Times Higher Education separat angestellt und im September veröffentlicht hat, belegen wir Rang 58 unter 200 Universitäten und haben bei den Zitierungen 87,4 von hundert Punkten erreicht. Man muss natürlich einräumen, dass diese Rankings vor allem Publikationen in den Natur- und Technikwissenschaften berücksichtigen. In den Geistes- und Sozialwissenschaften ist die Veröffentlichungskultur eine andere. Man kann aber sagen, dass wir in den Computerwissenschaften, den Life Sciences und der Physik bereits auf einem sehr hohen Niveau agieren. Luxemburg hat allen Grund, stolz auf die Universität zu sein.
Können Sie schon sagen, wie die jüngste Evaluation der Universität ausgefallen ist?
Da halte ich mich zurück. Die Evaluation dauert noch an, die endgültigen Ergebnisse liegen noch nicht vor. Ich rechne aber nicht damit, dass wir uns nach ihrer Bekanntgabe verstecken müssten. Natürlich werden wir uns die Evaluationsergebnisse mit Blick auf unsere Strategie und den nächsten Vierjahresplan anschauen, auch mit Blick auf die Forschungslandschaft im Land insgesamt.
Wie entscheidet die Universität über ihre Forschung strategisch? Sagt man vor allem, sie soll sich in diesen und jenen Gebieten besonders entwickeln? Gibt man sich vielleicht auch Wege, um Resultate, so grundlegend sie sein mögen, in die Praxis zu überführen?
Letzteres zu planen, fände ich verfehlt. Ich meine, das wichtigste ist, hochkarätige Forscher zu rekrutieren. Das tun wir. Deshalb dauern unsere Prozeduren so lange. Wir schauen auf die Fachkultur und auf die allgemeine Forschungskultur der Kandidaten. Und darauf, wie sie ihr Wissen in der Lehre einsetzen. In erster Linie geben wir diesen hochkarätigen Leuten die Möglichkeit, mit Hilfe von Mitteln der Uni und des nationalen Forschungsfonds FNR in neue Wissensbereiche vorzudringen. Ob sich das schnell auszahlt oder vielleicht erst in 30 Jahren, wird man sehen und es steht nicht an erster Stelle. An erster Stelle steht das Erkenntnisinteresse. Aber gegen anwendbare Forschungsresultate habe ich natürlich nichts. Wir sind zum Beispiel dabei, mit den öffentlichen Forschungszentren gemeinsame Professuren auszuschreiben. Diese Wissenschaftler erhalten dann die Möglichkeit, bei uns Grundlagenforschung zu betreiben, an den Instituten die Anwendung.
Wie ist an der Universität das Verhältnis Grundlagenforschung zu angewandter Forschung prozentual, lässt sich das angeben?
Dazu möchte ich keine Aussagen machen. Wir können die Enden beider Bereiche gut definieren, in Richtung Mitte gibt es Übergänge, die manchmal fließend sind. Manche Forscher machen manchmal das eine mehr, das andere weniger.
Es gibt Forschungsbereiche, die für die Uni prioritär sind, aber weder für die Regierung noch für den FNR, Mathematik und Jura zum Beispiel. Findet die Grundlagenforschung in diesen Bereichen anders statt, als etwa in der Computerwissenschaft oder den Life Sciences?
Vom Grundsatz her nicht. Es gibt noch immer eine strukturelle Lücke bei FNR-Stipendien für Postdoktoranden (sie werden seit 2014 nur noch für Public-Private Partnerships vergeben, d. Red.). Aber wir sind dabei, das mit dem FNR und dem Forschungsministerium zu diskutieren. Denn zum Beispiel die Mathematik ist derart grundlegend für IT, die Finanzwissenschaften oder die Ingenieurwissenschaften, dass es ein Fehler wäre, zu kleinteilig strukturierend wirken zu wollen.
Es betrifft aber nicht nur Mathematik oder Jura. Postdoc-Stipendien werden generell nur für PPP vergeben.
Ja, es gibt eine Lücke und ich versuche, da einzuwirken. Ich kann verstehen, dass der FNR seine Zuwendungen an Kriterien knüpft, aber ich fände es wichtig, das Geld nicht nur fachbezogen zu vergeben, sondern allgemeiner nach wissenschaftlicher Exzellenz. Es wäre ein gutes Signal, wenn man in die Breite der Grundlagenforschung investiert. Das müssen keine Riesensummen sein, aber wieso will man nicht einen Mathematiker fördern, wenn er sehr gut ist?
Die Regierung will „Research with an impact“. Der Wirtschaftsminister sagt das am lautesten und versteht darunter Unterstützung der Betriebe. Yves Elsen, der neue Vorsitzende des Aufsichtsrats der Universität, hat vor zwei Monaten in einem Radiointerview gesagt, als Ingenieur stehe er mit seinem Lebenslauf „exemplarisch“ für die Uni.
Yves Elsen hat aber auch ein Plädoyer für die Grundlagenforschung und für die Geisteswissenschaften gehalten, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Ich meine, er weiß, wie umfangreich das Portfolio der Universität ist. Wenn das Ziel lautet, dass die Uni das Zentrum des Wissenschaftssystems sein soll und als der Motor des Wissens-Lebens fungieren soll, und das ist das Ziel aller Unis in der EU, dann schafft sie ein Milieu, ein wissenschaftliches Milieu, von dem alle profitieren.
Das ist noch nicht richtig verstanden?
Mit ihren 13 Jahren ist die Universität noch jung, das muss sich noch entwickeln. Aber das war die Vision bei der Gründung der Uni, und diese Vi-sion ist noch immer gut. Von dem innovativen Milieu sollen, wie gesagt, alle profitieren, die Betriebe selbstverständlich auch. Die Basis aber muss die Grundlagenforschung sein. Das kann nicht nur anwendungsorientierte Forschung sein, das wäre nicht nachhaltig.
Bemerkenswerterweise hat 2015 auch die OECD in ihrem Bericht über Forschung und Innovation geschrieben, in Luxemburg müsse der „Spill-over effect“ bedacht werden: Eine Universität bilde nicht zuletzt schlaue Leute aus.
Deshalb sind alle Studien über gesamtwirtschaftliche Kosten-Nutzen-Effekte der Grundlagenforschung positiv. Wo auch immer man hinschaut, ist das so. Und je länger man schaut, desto positiver sind diese Effekte, denn sie breiten sich wellenartig aus. Deshalb ist auf der ganzen Welt das Interesse groß, Universitäten zu gründen, Forschungsuniversitäten zu gründen.
Wie gelangt hochkarätige Forschung in die Lehre?
Über verschiedene Kanäle. Erstens über Personen: Man braucht forschungsbegeisterte Lehrer, die demonstrieren, dass es Freude macht, bis an die Grenzen des Wissens zu gehen. Diese Vorbildfunktion ist wichtig. Deshalb plädiere ich ganz stark dafür, dass unsere Top-Leute auch in der Lehre präsent sind. Ich verstehe, dass manche meinen, sie hätten besseres zu tun, aber wenn man jungen Leuten beibringt, dass es etwas Positives ist, Wissen zu erwerben, dann hat man eine Wirkung erzielt, die 40 Jahre lang anhält.
Der zweite Kanal heißt Expertise. Professoren sollten nicht nur Wissen vermitteln, das sowieso in den Lehrbüchern fortgeschrieben wird, sondern auch das Neueste. Und drittens gelangt die hochkarätige Forschung über den Austausch an der Uni in die Köpfe, über die konkrete Lernumgebung. Indem man hört oder liest, was der Geisteswissenschaftler macht, was der Naturwissenschaftler macht, und so fort.
Begegnen auch die Bachelor-Studenten den Top-Wissenschaftlern oder studieren sie dieses Top-Wissen noch gar nicht?
Ich bin dafür, dass die Top-Forscher auch Bachelor-Studenten begegnen, denn es geht um die Begeisterung für die Wissenschaft. Demnächst vergibt der FNR wieder Stipendien für das Lindau-Treffen der Nobelpreisträger in den Naturwissenschaften. Als Student war auch ich einmal dort. Von dem, was da erzählt wurde, verstand ich nur wenig. Aber solch ein Treffen schafft eine Freude an der Wissenschaft. Ein guter Universitätsprofessor sollte seine Begeisterung für sein Fach an die Studenten weitergeben, um bei ihnen Wissensbegeisterung zu wecken.
Wie ist das in den Human- und Sozialwissenschaften: Werden die in Luxemburg nur für das Land betrieben, sind sie also nur Anwendungsforschung, oder können sie nur Grundlagenforschung sein?
Ich sehe da unterschiedliche Ebenen. Es gibt grundlegende Erkenntnisfragen in der Philosophie, der Psychologie oder bei der Analyse von Sprachstrukturen, denen man auch in Luxemburg nachgehen kann. Luxemburg kann mit seinem besonderen sozialen, kulturellen und sprachlichen Umfeld sogar vorteilhaft sein, um Forschungsfragen weiterzuentwickeln. Das kann im Rahmen eines Auftrags geschehen, über einen Jugendbericht etwa, es kann aber auch rein erkenntnisgetrieben sein. Das hat mir immer eingeleuchtet. Es gibt in den Human- und Sozialwissenschaften einen relativ großen Anteil von Aufträgen, aber auch rein erkenntnisgetriebene Forschung.
Ist die Trennung zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung in den Human- und Sozialwissenschaften überhaupt so möglich und sinnvoll wie in den Naturwissenschaften?
Das läuft auf den Verdacht hinaus, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse sich leichter in kommerzielle Anwendungen überführen lassen würden, während die Geisteswissenschaften eher für die schönen Geister sind und nicht so verwertbar.
Oder die Geister dürfen nicht alles denken und vor allem publizieren, sonst setzen sie sich womöglich dem Verdacht aus, nicht mehr wissenschaftlich zu sein und politisch Partei zu ergreifen.
Das wäre zu diskutieren. Bei uns, finde ich, ist die Anwendbarkeit gegeben. Zur multilingualen Erziehung zum Beispiel kann man gemeinsam mit Verlagen Materialien entwickeln, die sich dann auch verkaufen lassen sollten. Wie viel man damit verdienen kann, wäre zu klären, aber Möglichkeiten, die Grundlagenforschung zu verwerten, bestehen offenbar. Vermutlich wird das mit der Digitalisierung noch zunehmen. In Israel zum Beispiel erzählte man mir, dass an der Hebrew University in Jerusalem die meisten Spin-offs derzeit aus den Geisteswissenschaften entstehen. Das sind vielleicht keine großen Firmen, aber es ist bemerkenswert. So gesehen, hatten wir Recht, als wir in unserer Strategie festgelegt haben, dass die Digitalisierung alle Forschungsbereiche der Universität betrifft.