„Mam Dick und Doof an d’Klimakatastrof“, protestierte Greenpeace 2001 und installierte symbolisch ein paar Leitungen für das inexistente Fernwärmenetz ab der Gas- und Dampfturbine (GUD) Twinerg, die damals im Bau war. Gemeint waren Wirtschaftsminister Henri Grethen und der Umweltstaatssekretär Eugène Berger (beide DP). Denn Greenpeace hielt die 350-Megawatt-Anlage Twinerg für überdimensioniert und ineffizient. Mit kleineren Kraftwerken, argumentierte die Umweltorganisation, könnte die gleiche Energieleistung bei geringerem Kohlendioxydausstoß erreicht werden. Genauer: 240 000 Tonnen Kohlendioxyd weniger jährlich. Darüber hinaus ließ die Einrichtung eines Fernwärmenetzes zur Nutzung der Abwärme auf sich warten. Es folgte eine epische juristische Schlacht zwischen Greenpeace und Twinerg, um Schadensersatzforderungen wegen der Besetzung der Baustelle, sowie zwischen Greenpeace und dem Nachfolger von Henri Grethen im Wirtschaftsministerium, Jeannot Krecké (LSAP), um die Offenlegung der Strommarktdaten.
Die Geschichte macht Greenpeace im Ergebnis zum Gewinner. Denn kaum 14 Jahre nach der feierlichen Einweihung der Twinerg haben die Aktionäre nun bekanntgegeben, dass die Anlage definitiv geschlossen wird. „Remarque importante“, heißt es dazu in der Jahresbilanz 2015. „Tenant compte de l’absence de perspectives indiquant une possibilité réelle pour une relance de la production et la vente d’électricité ou pour une participation à des mécanismes de rémunération de capacité de production, comme la réserve stratégique belge, les administrateurs ont décidé de déroger au principe de la continuité de l’exploitation dans les comptes annuels au 31 décembre 2015 en adoptant un scénario de liquidation.“
Amortisiert hat sich das 150-Millionen-Euro-Kraftwerk, für das die Europäische Investitionsbank (EIB) 80 Millionen Euro Kredite zur Verfügung stellte, noch nicht. Die ursprünglich geplante Laufzeit von 20 Jahren, die aufgrund der reduzierten Produktionsstundenzahl erst auf 25, dann auf 30 Jahre verlängert wurde, bleibt eine Illusion. Anfang des Jahres hatten die Aktionäre der Twinerg eine Verkaufsprozedur lanciert, heißt es in der Jahresbilanz. „Ce processus a été arrêté en mai 2016 faute d’offre reçue de la part des 20 candidats identifiés.“
Twinerg ist eines von einer ganzen Reihe von Kraftwerken, die Opfer der nicht immer ganz sauberen Energiewende geworden sind. Geplant worden war die Twinerg, die zu 65 Prozent Engie Electrabel und zu jeweils 17,5 Prozent Arcelor-Mittal und Enovos gehört, schon Mitte der Neunzigerjahre, als die Luxemburger Stahlbranche den Umstieg von Hochöfen auf Elektrostahlwerke vollzog und deshalb nach Bezugsmöglichkeiten für möglichst billigen Strom suchte. Auch die Regierung und nationale Stromversorger hatten ein Interesse daran, die kaum existente nationale Stromproduktion auszubauen und damit die Versorgungssicherheit zu verbessern, indem die Abhängigkeit von deutschen Stromlieferungen verringert wurde. Jeweils 100 Megawatt, das hielten die Aktionäre vertraglich fest, sollten der Stahlkonzern und der Stromversorger der Twinerg bis 2013 abkaufen.
Tatsächlich konnte Twinerg anfangs besonders preiswerten Strom produzieren, was 2005, als die Cegedel Strompreiserhöhungen für die Endverbraucher ankündigte, für Aufregung sorgte. „Kleinkunden nicht zu Milchkühen der Stromkonzerne machen“, titelte das Journal, nachdem Déi Gréng protestierten. „Die Cegedel beziehe einen großen Teil ihres Stroms aus dem Gaskraftwerk Twinerg in Esch Belval, so Déi Gréng, die offensichtlich übertreiben, da dieser Anteil bei 20 bis 25 Prozent liegt“, so das Journal. „Der Kaufpreis für diesen Strom sei an den Kohlepreis gebunden. Er liege deshalb wesentlich unter den Strompreisen, die derzeit an den europäischen Strombörsen verlangt werden.“
Um sich Gaslieferungen zu sichern, schloss Twinerg so genannte Pay-or-take-Verträge ab, nach denen der Käufer auch dann zahlen muss, wenn er das Gas nicht nimmt. Das sollte sich rächen, als der Stromverbrauch krisenbedingt einbrach und der Strompreis in den Keller rutschte. „Da wurden viele Millionen bezahlt“, sagt der aktuelle Wirtschaftsminister und ehemaliger Energie-Regierungsrat Etienne Schneider (LSAP). Er wollte bei seinem Amtsantritt 2012 noch den Bau eines zweiten GUD vorantreiben. Dabei wollte Arcelor-Mittal der Twinerg damals schon nicht mehr die vertraglich vereinbarte Strommenge abnehmen. „Der Markt hat sich seither völlig verändert“, wehrt Schneider jeden Verdacht ab, Twinerg könnte eine Fehlplanung gewesen sein.
Der Verkaufspreis für den Strom decke die Bezugskosten für den Rohstoff Gas und die Betriebskosten für das Kraftwerk nicht mehr, hatte Engie-Electrabel-Sprecherin Anne-Sophie Hugé dem Land bereits 2014 erklärt. Das liege daran, dass der Strom aus erneuerbaren Energiequellen Vorfahrt bei der Einspeisung habe. Die Rohstoffe – Sonne oder Wind – sind umsonst und die Einspeisung wird subventioniert, weshalb der Ökostrom günstig ist. Auch andere Energiekonzerne kämpfen mit dieser Entwicklung. EDF Luminus kündigte Ende Juni die Schließung der belgischen GUD in Seraing, Lüttich, Gent und Izegem mit einer kombinierten Leistung von 609 Megawatt an. „Due to the declining demand for electricity, the increase in renewable energy and the fall in CO2 prices, the European coal-fired power stations are increasingly called upon. As a result, certain gas power stations of EDF Luminus did not run enough over the past years“, heißt es in der Mitteilung. Im französischen Bouchain weihte der französische Energieriese am 20. Juni zwar das leistungsfähigste GUD der Welt mit einer Kapazität von 605 Megawattstunden ein, die binnen einer halben Stunde hochgefahren werden kann. Doch schon bei der Einweihung wies EDF-Chef Jean-Bernard Lévy laut Nachrichtenagentur AFP darauf hin, dass es mit der Rentabilität hapere. Solche Installationen könnten größtenteils ihre laufenden Kosten decken, die Amortisierungskosten entzögen sich allerdings dieser allgemeinen Regel. Das neue Superkraftwerk in Bouchain hat 400 Millionen Euro gekostet.
Weil es in den verschiedenen Ländern keine Regeln über einen Kapazitätsmarkt gibt und die Preise für die Verschmutzungszertifikate mit um die fünf Euro für eine Tonne Kohlendioxyd im Keller sind, sind die CO2-lastigeren und zudem feinstaubproduzierenden Kohlekraftwerke rentabler als die saubereren Gaskraftwerke, was auch Greenpeace nicht freuen kann. Zudem ist der Abbau von Kohle weiterhin subventioniert. Beispielsweise in Polen, aber auch in Deutschland. Das ist einer der Aspekte, die auch Jean Lucius, Enovos-CEO, am meisten an der Twinerg-Schließung bedauert. „Da ist eher eine europäische als eine Luxemburger Diskussion und die geht in die falsche Richtung“, sagt er.
Für den Winter 2015-2016 war die Twinerg, die ans belgische Netz angeschlossen ist, in den Pool der Reservekapazität aufgenommen worden. Den hatte die belgische Netzbehörde Elia eingerichtet, weil einige Atommeiler dringend vom Netz mussten, um Mikrorisse in der Betonhülle zu reparieren. Elia hatte Twinerg 5,7 Millionen Euro dafür gezahlt, dass sich die Zentrale, die die Stromproduktion am 1. Oktober 2015 eingestellt hat, ein Jahr lang bereithält, im Notfall binnen sechseinhalb Stunden einzuspringen. Mittlerweile sind die Atommeiler geflickt und der Vertrag über die Teilnahme am Reserve-Pool wurde nicht erneuert. Während des rezenten Gäichel-Treffen zwischen der belgischen und der luxemburgischen Regierung habe er darüber noch mit seiner Amtskollegin diskutiert, sagt Wirtschaftsminister Etienne Schneider. Für die nächsten neun bis zehn Jahre sehe Belgien keinen Bedarf für Reservekapazitäten. „Deshalb bezahlen die natürlich nicht weiter ein paar hunderttausend Euro monatlich“, so Schneider.
Für die nationale Versorgungssicherheit sieht Schneider kein Problem durch die definitive Schließung der Twinerg entstehen. „Das ist kein Problem“, versichert auch Jean Lucius. Weil Luxemburg ausreichend Kapazitäten aus Deutschland beziehen könne, Creos eine neuen Anschluss nach Belgien gebaut habe, so dass Twinerg die Versorgungssicherheit nicht hätte steigern können, so Lucius. Und dann gibt es da noch den Anschluss nach Frankreich, neben der höchst umstrittenen Leitung von Arcelor-Mittal, sagt Etienne Schneider, der verlegt, aber nicht in Betrieb ist.
Weil derzeit so viele Gaskraftwerke in Europa geschlossen werden, ließ sich kein Käufer finden, und auch für die Ersatzteile gibt es keine Markt. Zwar will Etienne Schneider zusammen mit dem Kooperationsministerium prüfen, ob kein Partnerland Bedarf für die Anlage habe. Aber ein Ab- und Wiederaufbau sei teuer und außerdem sei fraglich, ob die Sicherheit gewährleistet sei, heißt es vom Betreiber.
Deshalb wird das Twinerg GUD wahrscheinlich abgerissen und verschrottet. Anne-Sophie Hugé geht davon aus, dass der Erlös aus dem Verkauf des Schrotts die Abrisskosten deckt. Im Hinblick auf den Abriss haben die Aktionäre in der Bilanz 2015 erneut Korrekturen gemacht und den Wert der Anlage auf Null reduziert. Bleibt das Grundstück, auf dem die Anlage steht, das in den Büchern rund 1,5 Millionen Euro wert ist. Unterm Strich bleibt in Folge der Wertkorrekturen, angesichts der Tatsache, dass die Stromproduktion eingestellt wurde, das überschüssige Gas aber an Electrabel weiterverkaufen konnte, 2015 ein Jahresverlust von 72 Millionen Euro, ein negatives Firmenkapital von 37 Millionen Euro und 44 Millionen Euro Schulden. Den Luxemburger Banken schuldet Twinerg kein Geld mehr, die verbleibenden acht Millionen Euro Schulden hat die Firma der EIB dieses Frühjahr vorzeitig zurückgezahlt. Enovos, sagt Jean Lucius, hat die Beteiligung in den Büchern schon fast komplett abgeschrieben. Es sei auch noch Bargeld in der Firma, Rücklagen für einen Sozialplan, falls die Suche nach neuen Stellen für die 20 Mitarbeiter nicht erfolgreich verlaufe, seien getätigt, und man dürfe das Grundstück nicht vergessen, sagt er.
Darauf steht auch der eigene, mit Gas und Heizöl befeuerbare Kessel des Fernwärmenetzes Sudcal. Gerade vier Jahre lang lieferte Twinerg Wärme an Sudcal. Kalt wird es der überschaubaren Anzahl an Kunden von Sudcal durch die Schließung von Twinerg also nicht. Aber wenn die eigene Heizung läuft, wird das teurer als wenn Twinerg die Wärme liefern würde. Zusammen mit Luxenergie, erklärt Jean Lucius, wolle man schauen, welche Lösungen es für das Fernwärmenetzwerk gibt. Vielleicht könne man mit ökologischen Holzpallets heizen.