Vielleicht erinnert sich noch die Eine oder der Andere an die merkwürdigen Verhältnisse vor einem Jahr: Nach dem Sturz der Regierung Juncker/Asselborn am 10. Juli begegnete man überall politischen Untoten: Abgeordneten, von denen niemand wusste, ob sie noch Abgeordnete waren, Ministern, die weiter regierten, als ob nichts geschehen wäre. Drei Monate nach dem Sturz der Regierung hatte LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider, der als Held der Demokratie und der Transparenz im CSV-Staat aufräumen wollte, dem Tageblatt erklärt, bis zu den Wahlen werde „alles beim Alten bleiben. Wir werden nicht abgesetzt oder uns absetzen lassen“.
Irgendwie hatte man den Eindruck, dass in einer normalen parlamentarischen Demokratie das Parlament eine Regierung absetzt, doch dass es hierzulande der Regierung während einer etwas chaotischen Kammersitzung gelungen war, das Parlament abzusetzen. Ein Gutachten des Staatsrats, dem das alles sowie eine verzögerte Parlamentsauflösung durch den Großherzog nicht ganz geheuer vorkamen, ließen Regierung und Parlament rasch in der Schublade verschwinden. Mit der auf breites Verständnis stoßenden Erklärung, Demokratie sei ja schön und gut, aber Handlungsfähigkeit in Zeiten unruhiger Finanzmärkte nun einmal wichtiger.
Nach diesen unschönen Vorfällen berät nun der parlamentarische Ausschuss der Institutionen und Verfassungsrevision darüber, wer im Fall einer erneuten politischen Krise das Parlament auflösen soll, wenn Jean-Claude Juncker gerade einmal nicht zu Land ist. Im bereits 2009 hinterlegten Entwurf der großen Verfassungsrevision hatte der Ausschuss sich parteiübergreifend auf die Artikel 78 und 99 geeinigt, welche besagten, dass die Auflösung des Parlaments durch das Staatsoberhaupt auf einen Beschluss der Regierung hin erfolgen soll.
Doch inzwischen wundern sich einzelne Abgeordnete, ob es einer Demokratie gut zu Gesicht stehe, wenn die Regierung das Parlament absetzen kann. Wenn dazu nicht einmal das Scheitern der Regierungsmehrheit nötig wäre, bekäme die Regierung, wie in Großbritannien, die Möglichkeit, das Parlament willkürlich dann aufzulösen, wenn die alle sechs Monate veröffentlichten Meinungsumfragen ihr gerade die besten Chancen einer Wiederwahl vorhersagten.
Um die Verfassung etwas demokratischer aussehen zu lassen, hatte der Ausschuss auch vorgesehen, dass das Parlament künftig nicht mehr vom „Großherzog“, sondern vom „Staatsoberhaupt“ aufgelöst werden sollte. So als würde er sich ein wenig der Monarchie schämen. Aber inzwischen fragt sich auch der eine oder andere Abgeordnete, ob der seit dem Euthanasiegesetz als unsicherer Kantonist angesehene Großherzog wirklich das Vorrecht zur Auflösung des Parlaments behalten soll. Schließlich hatte schon seine Großtante Marie-Adelheid das Vorrecht 1916 mitten in den Kriegswirren missbraucht, um ihrer klerikalen Regierung eine Mehrheit zu verschaffen.
Weil aber, anders als der Großherzog und die Regierung, die Kammer direkt von den Wählern legitimiert ist, stellt sich die Frage, ob überhaupt eine andere Institution sie auflösen kann, ohne sich gleich dem Vorwurf des Staatsstreichs auszusetzen. Auf Vorschlag seines Vorsitzenden kommt der parlamentarische Ausschuss nun einer Lösung nahe: Das an autoritär und brutal klingende Wort „Auflösung“ will er ganz einfach aus der Verfassung streichen und durch den friedlichen Begriff „vorgezogene Wahlen“ ersetzen. Dann können die nächsten Regierungskrisen krisenfrei stattfinden und nebenbei wird gewährleistet, dass die Abgeordneten in den drei Monaten von der falschen Auflösung des Parlaments bis zu den vorgezogenen Wahlen weitermachen können, als ob nichts passiert wäre und dafür ihre Diäten beziehen.