In den vergangenen Wochen beendete der parlamentarische Ausschuss der Institutionen und Verfassungsrevision nach zweieinhalb Jahren seine Arbeiten an einem zehn Artikel langen Verhaltenskodex für Abgeordnete und hinterlegte ihn als Entwurf zur Ergänzung des Kammerreglements. Seine Verabschiedung soll mit dem Beginn der neuen Kammersession im Oktober, parallel zu einem ähnlichen Kodex für Regierungsmitglieder, geschehen. Weil sie an ihrer eigenen Lauterkeit zu zweifeln scheinen, wollen die Abgeordneten mit dem Kodex sich selbst vorschreiben, wie sie Interessenkonflikte vermeiden, mit Lobbyisten umgehen und ihre Einkommensverhältnisse detaillierter als bisher offenlegen.
Walter Benjamin hatte 1921 in einem kurzen Textfragment Max Webers Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus dahingehend verbessert, dass der Kapitalismus nicht bloß ein religiös bedingtes Gebilde, sondern eine essentiell religiöse Erscheinung sei. Damit hatte er so nebenbei den Geschäftszweig der Wirtschaftsethik erfunden und ihre Fragestellung mit der Beobachtung beantwortet: „Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus.“
Die Initiative zum Verhaltenskodex der Abgeordneten geht auf eine solche spektakuläre kultische Veranstaltung zurück, eine an Gemütsbewegungen reiche öffentliche Ausschusssitzung im Oktober 2011 über Immobilienprojekte in Wickringen und Livingen sowie den Umgang mit verschiedenen Bauunternehmern. Die Huldigung des verschuldenden Kultus hatte darin gegipfelt, dass ein Minister nach dem anderen sein Handgelenk entblößte, um zu zeigen, dass er keine Luxusuhr trage, und beteuerte, dass er nicht korrupt sei. Daraufhin verabschiedeten die Abgeordneten mit seltener Einstimmigkeit eine Resolution, in der sie alle reumütig beschlossen, sich und anderen öffentlichen Amtsträgern einen deontologischen Kodex zu geben. Er sollte Normen und Regeln festlegen, um, so die Begründung, die Werte des öffentlichen Dienstes zu erhalten und künftige Interessenkonflikte zu vermeiden.
Doch der Verhaltenskodex ist nicht nur ein Produkt des skandalumwitterten Fin de règne der CSV/LSAP-Koalition. Das Parlament verfasste ihn auch in der Ekstase des verschuldenden Kultus, in einer von Privatvereinen, Presse und politischen Saubermännern geförderten Korruptionshysterie, die alles Staatliche und Politische verdächtig macht und privatwirtschaftlichen Eigennutz zur gesellschaftlichen Norm erhebt. In diesem Sinn geht immer nur die Rede von passiver Bestechung, dem Korrumpierten, während die aktive Bestechung, der Korrumpierende, tabu bleibt.
Der Einfachheit halber empfand das Parlament seinen Verhaltenskodex demjenigen des Europaparlaments nach. Außerdem legte es ihn dem Groupe d’États contre la corruption (Greco) zur Begutachtung vor. Der Europarat hatte diesen Ausschuss nach dem Ende des Kalten Kriegs geschaffen, um im Geiste der freien Marktwirtschaft korruptionsbedingte Fehlallokationen bei der Privatisierung der osteuropäischen Volkswirtschaften einzugrenzen.
Auf den ersten Blick müsste die Idee eines solchen Verhaltenskodex für Parlamentarier überraschen. Denn das Strafgesetzbuch stellt in den Artikeln 246 bis 253 alle möglichen Formen von Korruption, Einflussnahme und Vorteilsgewährung unter hohe Strafen. Was beispielsweise seit jeher zum Alltagsgeschäft volksnaher Abgeordneter gehört, ein gutes Wort einzulegen, damit der Sohn eines Wählers beim Staat oder bei einer Gemeinde „ënner Daach kënnt“, kann schon immer mit bis zu zehn Jahre Haft und 187 500 Euro Geldbuße geahndet werden. Aber der Verhaltenskodex soll durch Selbstregulierung eine Art rechtliche Grauzone zwischen Alltagspraxis und Strafgesetzbuch abdecken.
Der Verhaltenskodex soll im Sinne der Transparenz die bereits in Artikel 167 des Kammerreglements vorgesehene Offenlegung der Einkommen ausweiten, um Rückschlüsse auf die politische Motivation der Abgeordneten zu erlauben. Aber die möglichen Rückschlüsse dürften eher begrenzt ausfallen, da die Abgeordneten darauf verzichten, auch ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen.
Vor allem aber regelt der Verhaltenskodex den Umgang der Parlamentarier mit Interessenkonflikten, Lobbyisten und Geschenken. Ein Interessenkonflikt entsteht laut Verhaltenskodex, wenn ein Abgeordneter ein persönliches Interesse verfolgt, das die Ausübung seiner Funktion als Abgeordneter beeinflussen kann. In dem Fall muss er den Umstand umgehend bereinigen oder den Kammerpräsidenten schriftlich informieren. Im Zweifelfall kann er zuvor vertraulichen Rat bei einem auch über Sanktionen befindenden Weisenrat von fünf Nichtparlamentariern einholen.
In Wirklichkeit scheint der Kodex aber vor allem eine Art heimlichen und kleinlichen Interessenkonflikt zu definieren, um die gängigen und offensichtlichen ausnehmen zu können. So gibt es beispielsweise seit jeher Abgeordnete fast aller Parteien, die von Beruf Ärzte sind. Die meisten fallen dadurch auf, dass sie im Gesundheitsausschuss und im Plenum wie kaum eine andere Berufsgruppe für ihre Standesinteressen kämpfen. Laut Artikel 50 der Verfassung sind sie aber verpflichtet, einzig die Interessen des Großherzogtums zu vertreten. Doch die Interessen der Allgemeinheit von Patienten und Krankenversicherten sind oft antagonistisch zu denjenigen der selbstständigen Ärzte. Für den Verhaltenskodex ist dies aber kein Interessenkonflikt, wenn der Abgeordnete nicht alleine, sondern mit einer breiteren Personengruppe seinesgleichen Vorteile hat.
Ein Abgeordneter und Arzt darf sich auch von einem Pharmakonzern zu einem Kongress unter Palmen einladen lassen. Er muss die Reise bloß als Arzt und nicht in der Ausübung seiner Funktion als Abgeordneter antreten, wie es im Kodex heißt. Andernfalls fällt die Reise unter das Verbot für Abgeordnete, Geschenke anzunehmen. Ausgenommen sind lediglich Geschenke unter einem Wert von 150 Euro – drei Swatch statt einer Rolex – und solche an offizielle Parlamentarierdelegationen.
Spätestens seit dem Boom des Finanzplatzes gibt es auch in fast allen Parteien Geschäftsanwälte, die Abgeordnete sind. Insbesondere wenn die der Regierungsmehrheit angehören, arbeiten sie im parlamentarischen Finanz- und Haushaltsausschuss, oft als Berichterstatter, an der Vorbereitung von Gesetzen über die Regulierung und Besteuerung jenes Wirtschaftszweigs mit, aus dem sie ihre oft beträchtlichen Einkünfte beziehen. Dessen Interessen sind aber keineswegs identisch mit denjenigen anderer Wirtschaftszweige und der anderen Steuerzahler.
Hier werden die Übergänge zum Lobbyismus fließend. Dazu besagt der Verhaltenskodex, dass Abgeordnete mit Ausnahme von Anhörungen in Ausschüssen keine Lobbyisten, das heißt Vertreter öffentlicher oder privater Interessen, im Parlament empfangen dürfen. Wenn die Einmischung eines Lobbyisten einen direkten Einfluss auf einen Gesetzentwurf haben kann, muss der Abgeordnete dies im Ausschuss oder in seinem Ausschussbericht melden.
Das ist selbstverständlich der anrüchige Lobbyismus. Er wird vom Verhaltenskodex definiert und ausgegrenzt, um den ehrenwerten strukturellen Lobbyismus, wie er zum Alltag des Parlaments gehört, ausnehmen zu können. Der wird dann gar nicht Lobbyismus genannt, sondern heißt Standortpolitik. Und gibt sich, wie jeder Lobbyismus, als im höheren Interesse der Allgemeinheit aus.
Der strukturelle Lobbyismus im höheren Interesse der Allgemeinheit findet beispielsweise statt, wenn im bisherigen Haut comité de la place financière die Vertreter von Banken, Versicherungen und Investitionsfonds die Gesetzesvorentwürfe selbst schreiben, die das Parlament nur noch als Entwürfe zu verabschieden braucht.
Eine noch breitere Basis hat der strukturelle Lobbyismus mit den vor bald einem Jahrhundert gegründeten Berufskammern. Durch sie sind die Vertreter von Handels-, Handwerks- und landwirtschaftlichen Betrieben sowie der Lohnabhängigen und Beamten direkt in die gesetzgeberische Prozedur eingebunden. Sie verfassen Gutachten als parlamentarische Dokumente, um ihre Interessen zu vertreten, und verfügen sogar über das, wenn auch selten genutzte, Recht, dem Parlament eigene Gesetzentwürfe vorzulegen.
So verbürgt sich der geplante Verhaltenskodex nicht nur für die nun von ihnen selbst angezweifelte Moral der Abgeordneten, sondern festigt vor allem die politische Ethik der Standortpolitik.