Seit es Kultur als ein mehr oder weniger eigenständiges Regierungsressort gibt, das heißt seit etwa 70 Jahren, seit dem Kriegsende, ist sie fest in den Händen der CSV. Von 14 Kulturministern gehörten zwölf der CSV an; zweimal mussten andere Parteien kurz einspringen, um die Kulturpolitik der Konservativen an die gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen.
Das war nicht immer von Nachteil. Denn so kam das Land in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg zu dem einen oder anderen Kulturminister, der schon ein Buch gelesen hatte, vielleicht sogar ein jahrtausendealtes. Etwa Pierre Frieden, der gottesfürchtige Philosoph, später seine tragisch endende Witwe, Madeleine Frieden-Kinnen, und Pierre Grégoire, der wild gewordene André Malraux des Bistums. Aber auch der Rëmmerecher Duerftyp Emile Schaus und der vor Thron und Altar knieende Historiker Nicolas Margue.
Für die klerikalen Kulturminister bestand der Unterschied zwischen Kultur und Kultus aus einem Buchstaben. Ihre Kulturwelt war mit Unterstützung der Kirche und deren Tageszeitung tiefkatholisch, konservativ und antimodern. Und so patriotisch wie die Kunst der mit Ärmelschonern oder Soutanen gerüsteten Heimatdichter und Lokalhistoriker.
Ihr Kulturbild war aber auch geprägt von den Konzentrationslagern, dem Krieg und der Zwangsumsiedlung. Mit Unterstützung die intellektuelle Elite spielender christlich-sozialer Studienräte wollten sie deshalb den klassischen Bildungskanon des Schulprogramms des Kolléisch verbissener denn je aufrecht erhalten und damit die Neuscholastik als eine humanistische Zivilisation retten, die es so nie gab.
Sie wollten die Heimat vor dem Sittenverfall, der Gottlosigkeit und dem Kommunismus schützen, notfalls auch durch Unterdrückung unkatholischer Schriften, Bilder und Filme. Beschränkt waren auch ihre Mittel: Die Nationalbibliothek war eine Abstellkammer, das Staatsmuseum ein Kuriositätenkabinett. Die Säulen der Kultur waren das auch im Kalten Krieg besonnene Cercle artistique und das der Société savante Lothringens oder der Haute-Garonne nachempfundene und sich für die Académie française haltende Institut grand-ducal, deren Bezuschussung die Hauptbeschäftigung eines Kulturministers war.
Selbst christliche-soziale Staatsminister, wie Joseph Bech, Pierre Werner und Jacques Santer nahmen sich vorübergehend der Kultur an, Letzterer, um mit dem einen oder anderen Bauprojekt den Finanzplatz in der Großregion kulturell aufzurüsten. Unter diesen Bedingungen gelang der treuen Kirchgängerin Erna Hennicot-Schoepges die für CSV-Verhältnisse revolutionäre Synthese: Dank kräftiger Haushaltsüberschüsse und einer den Zeitumständen entsprechenden toleranteren Gesinnung durfte sie Kultur zum Standortfaktor und die Kulturschaffenden zu halb oder ganz verbeamteten Staatskünstlern machen, was ihr bis heute Dank und Bewunderung von rechts bis links sichert. Während ihre Nachfolgerin Octavie Modert in der Finanz- und Wirtschaftskrise nur noch gekränkt Hennicot-Schoepges‘ goldenes Zeitalter begraben konnte, wird Hennicot-Schoepges als christlich-soziale Wiedergeburt des sozialistischen Kulturheiligen Robert Krieps verehrt.
Denn als Reaktion auf den gesellschaftlichen Umbruch von 1968 durfte die LSAP 1974 auch in Kulturdingen das Aggiornamento des CSV-Staats vornehmen. Weil der Arbeiterbewegung schon in den Dreißigerjahren der Kulturbegriff abhanden gekommen war, gab sich Kulturminister Robert Krieps nicht nur antiklerikal und tolerant. Er machte sich auch als folgenreichster aller Irrtümer für eine Demokratisierung der Kultur stark, welche die Gleichwertigkeit von Schönberg und Dorfkapellen, von Cartier-Bresson und Fotoclubs verkündete und damit guten Gewissens alle Kultur auf dem unteren Niveau der Volkstümlichkeit einebnete.
40 Jahre später muss die DP nun das nächste kulturpolitische Aggiornamento des CSV-Staats vornehmen, weil der LSAP das Sportministerium wichtiger war. Allerdings lautet der Auftrag diesmal nicht, die CSV-Kulturpolitik hochzufahren, sondern sie zurückzufahren.
Bei den Liberalen gab es immer zwei, bald miteinander auskommende, bald sich streitende Strömungen: die Krämer und die Schmelzherren. Meist regierten die Krämer, die Schmelzherren ließen regieren. Inzwischen werden Unternehmensberater zwischengeschaltet.
Maggy Nagel ist zwar von Beruf Gemeindebeamtin, aber sie hat das erfrischend unverkrampfte Kulturverständnis der Krämer. Sie verachtet weder das Volkstümliche, noch das Triviale, noch den Kitsch, sondern ist Teil davon. So wie ihr Regierungschef Xavier Bettel, der das Staatsministerium mit der schrillen Eindeutigkeit von Comic-Gemälden verziert. Wie allen Liberalen, die Kongresse zu Talentshows und Parteivorsitzende zu Crooners machen, gilt ihre ganze Liebe der Unterhaltungsindustrie und sie ist damit auf der Höhe der neoliberalen Zeit. Sie gibt sich nicht antiintellektuell, um Wählerstimmen zu angeln, sondern lebt es täglich vor. Damit treibt sie die von der LSAP ausgerufene Demokratisierung der Kultur gnadenlos auf die Spitze.
Wie jede ordentliche Krämerseele fragt Maggy Nagel, wozu Kultur nützt, was sie kostet und wie man sie billiger bekommt. Wozu braucht man ein Original, wenn eine Kopie es auch tut und billiger kommt? Wozu eine Oper, wenn eine Arie reicht? Ihre Philosophie ist nicht die Neuscholastik, sondern der Utilitarismus. So fegt sie unter dem Applaus von Marx die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei weg, entlarvt Benjamins Aura des Kunstwerks als Humbug und wirft Batailles Kunst der Verschwendung die Verschwendung von Steuergeldern vor.
Damit liefert die DP die richtige Frau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz, für Kultur im Zeitalter des ausgeglichenen Staatshaushalts. Sie schämt sich nicht, überall in der Kultur den Rotstift anzusetzen, wo es nicht die Unterhaltungsindustrie trifft. Vielleicht macht sie sich am Ende so verdienter um die Kunst als viele ihrer Vorgänger, wenn Kunst nicht mehr von halb verbeamteten Staatskünstlern gemacht wird, die sich für die Aussicht auf lebenslange Aufträge und Zuschüsse zur Herstellung von Zierrat und Nabelschauen unterwerfen.