Govinda van Maele, Filmemacher, sucht in seiner Arbeit nach der Seele Luxemburgs – und wird öfter fündig. Ein Porträt

Direct Cinema

d'Lëtzebuerger Land vom 14.03.2025

In einer kleinen Gasse neben dem MNAHA am Fischmarkt, eine mit Holz ausgelegte Wendeltreppe hinauf, hat sich Govinda van Maeles und Gilles Chanials Produktionsfirma Les films fauves niedergelassen. Der Filmemacher zeigt die Räumlichkeiten, in denen geschäftige Produktionsassistenten vor Computern sitzen und Film-Outlines an Whiteboards hängen. Dutzende DVDs stehen in den Regalen. Er schlägt vor, für das Gespräch ins Café nebenan zu gehen, wo er einen grünen Sencha-Tee bestellt.

Eine Koproduktion von Les films fauves, All we imagine as light, gewann vergangenes Jahr in Cannes den Grand Prix. Weitere Projekte sind im internationalen Durchlauf: Reflet dans un diamant mort von Hélène Cattet und Bruno Forzani lief auf der Berlinale und nun im Wettbewerb des Luxembourg Film Festivals; auch das immersive Werk Ito Meikyu des Franzosen Boris Labbé wurde auf der Biennale gezeigt und war nun im Rahmen des Immersive Pavilion hier zu sehen. Vergangenes Wochenende fand zum siebten Mal das Lost Weekend statt, eine Initiative der Filmreakter Asbl, die Govinda van Maele 2002 mitgegründet hat und jungen Filmemachern ein Wochenende zur intensiven DIY-Filmproduktion bietet. Der Regisseur nennt diese Koproduktionen, die einen regelmäßigen Austausch mit dem Ausland voraussetzen, ebenso wie die Projekte mit den jungen Leuten, seinen Sauerstoff.

Van Maele wuchs in den 80-er und 90-er Jahren in Herborn auf, einem Dorf im Osten, das heute 179 Seelen zählt. Keinesfalls als typischer Bauerejong. Sein Vater, Francis van Maele, zog als belgischer Expat her und gründete die Éditions Phi; er schuf Siebdrucke, publizierte Bücher und arbeitete als Fotograf. Seine Mutter stammt aus Sri Lanka und kümmerte sich hauptsächlich um die Kinder – hegte jedoch stets den Wunsch, Schauspielerin zu werden. Trotz dieses diversen und kreativen Hintergrunds zog es ihn nie dauerhaft ins Ausland – im Gegensatz zu seiner Familie. Sein Bruder Narayan – heute ebenfalls als erfolgreicher Kameramann in der Filmwelt etabliert –, und seine Eltern verließen das Großherzogtum um die Jahrtausendwende in Richtung County Mayo, Irland. Er blieb zurück, verbrachte die beiden letzten Gymnasiumjahre in Trier. Heute wohnt Govinda van Maele mit seiner Familie in dem Bauernhaus, in dem er aufgewachsen ist.

Es scheint die Coming-of-Age-Zeit gewesen zu sein, die für ihn ausschlaggebend war. Mit zwölf Jahren erschien Golden Eye mit Pierce Brosnan. Er war begeistert von James Bond, kaufte sich eine Filmzeitung, in der er mehrere Seiten über Ian Flemings Verfilmung verschlang. Damit begann ein obsessives Interesse am Film, das sein Vater nährte, indem er seinem Sohn eine Kamera mit nach Hause brachte. Als der Regisseur Andy Bausch einmal bei ihnen vorbeischaute, nahm er den Jugendlichen kurz darauf mit auf ein Filmset. „Mehr brauchte es nicht“, sagt van Maele heute. Er vernetzte sich mit Gleichaltrigen, die die gleiche Leidenschaft hatten. Bald formten sie eine Clique: Jeff Desom, Vicky Krieps, Bernard Michaux, Eileen Byrne – sie arbeiten bis heute in der Filmwelt. Gemeinsam mit Desom und Michaux gründeten van Maele die Filmreakter Asbl. und begann, Filme zu drehen. Der Regisseur und Drehbuchautor Pol Cruchten wurde zu seinem Mentor. Als wegweisenden Film zu dieser Zeit empfand er Clerks von Kevin Smith, eine Schwarz-Weiß Indie-Komödie. Allen voran war es die Mentalität, mit wenig Geld und viel DIY etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen, die hängenblieb. Erste Experimente waren etwa Die Schläfer mit Vicky Krieps, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich lieber hinter der Kamera stehen wollte.

Es folgten der erste vom Film Fund geförderte Kurzfilm Josh (2007), in dem Jugendliche in einem verdreckten Haus eines Freundes abhängen, nachdem dessen Eltern vor Kurzem verstorben sind. Fünf Jahre später folgt En Dag am Fräien, ohne staatliche Finanzierung und auf 16-Milimeter-Film gedreht. Der Film folgt zwei Drogenabhängigen, die sich nach einem Streit wieder annähern – mit Dackel und Caroline aus dem Drogenmilieu in den Hauptrollen. Die Kritikerin im Wort nannte es „un travail de haute voltige sans filet“. Van Maele schaut gerne hinter die Cactus-Mittelklasse des Landes, an die Ränder der Gesellschaft. Charakteristisch für seine Arbeit ist, sowohl professionelle als auch nicht professionelle Schauspieler zu casten. Das führt dazu, dass Dialoge natürlich wirken, als würde man im Bahnhofsviertel das Mikro mitlaufen lassen, oder die Tür zu einem Bopebistro aufstoßen und zuhören. Auch die Art, luxemburgische Landschaften im Film in Szene zu setzen, war in dieser Form neu. Gibt es so etwas wie eine luxemburgische Seele, nach der er auf der Suche ist? „Jeder Ort hat eine. Die Realität, die ich einfangen wollte, hatte ich so noch nicht gesehen. Ich suche bewusst danach – allerdings ist das Letzte was ich will, Film zu nutzen, um eine einförmige Botschaft über die hiesige Kultur zu vermitteln.“

Seinen ersten Spielfilm Gutland (2017), mit Frederick Lau und Vicky Krieps in den Hauptrollen, ist ein düsterer Heimatfilm und katapultierte van Maele aufs internationale Festivalfeld. Er porträtiert das Bauern- und Dorfleben samt seinen finsteren Schattenseiten – so, wie man die ländliche Provinzialität des Landes noch nicht gesehen hatte. Er gewann dafür den Preis für den besten Spielfilm beim Lëtzebuerger Filmpräis; auch Vicky Krieps wurde für ihr Schauspiel ausgezeichnet. Doch nach Gutland wurde es still um Govinda van Maele. Obwohl der Kulturbetrieb Tendenz hat, große Erfolge schnell reproduzieren zu wollen, trat das in diesem Fall nicht ein. „Ich habe mich danach ehrlich gesagt ein bisschen verloren“, entgegnet der Filmemacher. Er sei Projekten nachgegangen, die nichts geworden sind, habe Fährten verfolgt, die ins Nichts führten. Finanzierungen wurden abgelehnt. „Irgendwann hatte ich dann ganz einfach eine Schreibblockade.“ 2019 kam dann der Kurzfilm Halligalli, in dem fünf Ex-Sträflinge in einem bürgerlichen Haus zusammensitzen und Besuch bekommen.

Mittlerweile steht sein neues Spielfilmprojekt mit Headless fest. Die Synopsis hatte sich mehrfach verändert und wurde kürzlich schließlich mit drei Millionen Euro vom Film Fund (das Gesamtbudget liegt bei 4,2 Millionen) finanziert. Vicky Krieps wird Thelma spielen, eine 40-jährige Schauspielerin, die nach einer gescheiteren Schauspielkarriere in Berlin zurück nach Luxemburg zieht und sich dort an einem Amateurtheater engagiert. Irgendwann vermischen sich Realität und Fiktion und die Protagonistin muss sich ihren inneren Dämonen stellen. Hat der Regisseur die Rolle für sie geschrieben? Nein, antwortet er, denn das Projekt habe sich oft verformt. Erst am Ende, als er bei dieser Version angelangt sei, habe er verstanden, dass die Figur von ihr gespielt werden könne.

Dass Govinda van Maele die Waldorfschule besuchte, ist ihm anzumerken, sowohl im Willen, seinen eigenen Weg zu gehen, die eigene Ästhetik zu formen – als auch in dem Unwillen, sich vorgezeichneten Wegen zu stark unterzuordnen. Und in der Entscheidung, eben nicht nach dem Abitur auf die Filmschule zu gehen, sondern sich die Dinge weiter nach dem bewährten Versuch-und-Irrtums-Prinzip beizubringen. Sein Freund und heutiger Produzent von Samsa Film, Bernard Michaux, bezeichnet ihn als einen Idealisten – was sowohl seine Stärke als auch seine Schwäche sei. Jeff Desom, Regisseur und Visual Effects Supervisor, erklärt, „Gov“, wie seine Freunde Govinda van Maele nennen, versuche die Essenz Luxemburgs zu destillieren. Was zeichnet den Ort aus, was macht ihn speziell? Seine Kreativität mache seinen Charme aus. Der Journalist Frédéric Braun nennt ihn einen „mutigen Menschen, der sein Ding durchzieht“. Die Schauspielerin Vicky Krieps erklärt im Gespräch mit dem Land, sie sehe in ihm jemanden, der Film liebt für das, was Film ist. „In seinen Werken wird das Langweilige am Alltag, was wir alle kennen, cineastisch.“ Es verbinde sie die gleiche Melancholie für das Land.

Vor Gutland drehte van Maele den Dokumentarfilm We might as well fail (2011), der einer Handvoll Bands in der Rock- und Heavy Metal Szene folgte und sich allen voran auf die Frage konzentrierte: Kann man in Luxemburg als Musiker überleben? Und wenn ja, wie? 2008, als gefilmt wurde, war die Möglichkeit eines Künstlerlebens noch ferner als heute. Die Doku wirft Fragen der Risikobereitschaft, gesellschaftlicher Normen und eines Lebens abseits tradierter Wege auf. Wie bleibt man sich selbst treu? Alles Fragen, die van Maele auch heute beschäftigen. Im Interview mit dem Land kreist das Gespräch dann auch oft darum, wie sich ein Künstler im Mikrokosmos über längere Zeit zurecht findet. „Ich bin unter anderem hiergeblieben, weil ich davon überzeugt bin, dass es hier Geschichten gibt, die bisher noch nicht erzählt worden sind. Der Ort hat sehr viel Potenzial.“ Durch seine Familie sei er in seinem Kopf auch irgendwie im Ausland.

Vor allem Govinda van Maeles Kurzfilme vermitteln das Gefühl eines Mangels an Perspektiven. Sowohl die Drogenabhängigen als auch die zum Teil schwer verdaulichen Bauern in Gutland hängen in der starren Provinz herum, in der kaum etwas passiert. Er schaut mit Mitgefühl auf sie und findet in dem, was sie darstellen, seine Geschichten. Einerseits gibt es in Luxemburg jene Menschen, die, wie Govinda van Maele sagt, von kleinauf wissen, dass „se ni wäerte nokomme mam Standard, den hinne virgelieft gëtt“, die sich in diesem Bild nicht wiederfinden. „Ich kann hier easy Künstler spielen, denn ich kann in meinem Elternhaus leben.“

Wenngleich Mitstreiter im Ausland neidisch auf Luxemburgs finanzielle Förderungen blicken, sehen sie nicht, dass Geld Kreativität auch ersticken kann. „Das sind Luxemburger Luxusprobleme – aber wichtige und interessante Diskussionen“, sagt der Filmemacher. Abhängigkeit von staatlicher Finanzierung berge Gefahren. Er sucht seit Jahren wieder nach dem kreativen Geist, der seine Anfangsjahre geprägt hat und würde sich wünschen, wieder billigere Filme zu produzieren. Krisenzeiten agieren dabei oft als Zündungsmomente für ihn: Während der Pandemie startete er mit der Filmreakter Asbl. einen Aufruf für die „Quickies“: Kurzfilme, die schnell geplant und produziert werden sollten. Ein Erfolg, es entstanden kurzerhand 18 Kurzfilme, davon ein eigener, Mutatiounen (2021). Mittlerweile läuft der Aufruf für die dritte Staffel.

Die Aufgabe von Filmemachern sei es, den Acker mit viel Liebe zu bearbeiten. Denn obwohl die Welt derzeit scheinbar von einer Krise in die nächste taumelt und wir in einer Art „kollektivem Burnout“ steckten, bleibt Govinda van Maele optimistisch: „Ich glaube an eine positive Kraft im Universum.“

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Sarah Pepin
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