„Im Herbst ändert sich nicht viel“, sagt Gust Stefanetti selbstsicher. Bei den vergangenen Gemeindewahlen 2005 hatten die Sozialisten das Rennen in Mertert-Wasserbillig vor der anderen Majoritätspartei, der CSV gemacht, seitdem stellt Stefanetti den Bürgermeister der rund 3 500 Seelen zählenden Fusionsgemeinde.
So überraschend war der Wahlerfolg nicht, die aus Mertert und Wasserbillig bestehende Gemeinde an der Mosel hat, anders als etwa Remich oder Wormeldingen, wegen ihres Hafens und ihrer industriellen Geschichte, einen nicht unbeachtlichen Arbeiteranteil.
Das muss aber nicht immer so bleiben. „Was in der Zukunft kommt, weiß ich nicht, sagt Stefanetti und lacht. Wie die meisten Gemeinden im Land verzeichnet Mertert-Wasserbillig an der Grenze zu Deutschland ebenfalls ein markantes Bevölkerungswachstum. Die genaue Zahl der Hinzugezogenen kann der Bürgermeister nicht aus dem Stehgreif nennen, „irgendetwas in die mehreren Hundert“, schätzt er. Aber der Zuwachs lässt sich am rasanten Ausbau der Kinderbetreuungsstrukturen ablesen. Neben dem Spatzenascht und der Kuebekëscht gibt es neuerdings auch das Papageieninsel, sowie zwei provisorische Strukturen. 90 Prozent des Betreuungsbedarfs will die Gemeinde abgedeckt haben.
Der Dienstleistungssektor ist das wirtschaftliche Standbein in der Region. Dazu tragen das Altersheim, aber auch die Kinderbetreuung, die Grundschule und neuerdings eine Zweigstelle der Adem bei. Dokto-ren, Apotheke, Geschäfte, sogar ein Aquarium; die Gemeinde bietet viel. Außerdem ist eine Zone für Handwerksbetriebe geplant.
Wer Leute auf der Straße fragt, woran es in der Gemeinde fehlt, bekommt aber rasch zu hören, was für sie vorrangig ist. Das Verkehrspro-blem bleibt trotz Beruhigungszonen weiterhin ungelöst, das gilt vor allem für die Haupt- und Zufahrtsstraßen zur Autobahn und zur Tankstelle. 37 000 Fahrzeuge pro Tag, davon 24 Prozent Transitverkehr, hatte eine Verkehrsstudie von 2007 gezählt. Nicht nur an Wochentagen ist die Gemeinde mit einem enormen Verkehrsaufkommen geplagt, auch an Wochenenden quälen Blechlawinen die Einwohner, meistens in Richtung Tankstellen. Nachdem die Gemeindeführung mit Tempo-30-Zonen im Stadtkern reagiert hat, soll nun eine weitere Umgehungsstraße her. „Viel Ausweichmöglichkeit haben wir aber nicht“, erklärt Stefanetti. In den Wahlprogrammen aller Parteien steht die Verkehrspolitik ganz oben.
Auch die kommunalen Finanzen sind ein Dauerbrenner. Zwar gelang es dem rot-schwarzen Schöffenrat die Verschuldung etwas herunterzuschrauben, die Pro-Kopf-Verschuldung liegt bei rund 2 400 Euro pro Einwohner. Größere Sprünge dürften aber in Zukunft schwer fallen. Die neue Kläranlage an der Mosel, der Ausbau der Betreuungsstrukturen, das alles hat seinen Preis.
Als zusätzliche Einnahmequelle setzt die Gemeinde, neben der Industriezone für Handwerker, auf den Tourismus. Eine Bootsanlegestelle für Yachten soll Wasserbillig-Mertert für Wassertouristen attraktiver machen. Im Moment lässt die Gemeinde die Machbarkeit überprüfen. Die Idee, verstärkt auf den Tourismus zu setzen, betrifft aber nicht nur Wasserbillig-Mertert. Im Rahmen des europäischen Leader-Programms steckten ab 2006 Gemeindeverantwortliche aus der Moselregion die Köpfe zusammen, um ein Konzept für die Region zu entwickeln. Dabei sollten nicht nur die Sehenswürdigkeiten besser vernetzt werden, der Leader-Plan sollte zugleich den unterschiedlichen Charakter der Ortschaften Rechnung tragen und neue Angebote schaffen. Mindestens einen Erfolg kann die Initiative vorweisen. Der Radwanderweg durch das Mise-lerland erfreut sich wachsender Beliebtheit. Wer will, kann mit dem Zug bis Wasserbillig fahren, dort ein Rad mieten und über Grevenmacher, nach Wormeldingen, über Remich nach Schengen radeln und da seinen Drahtesel wieder abgeben. Aus Luxemburg, Frankreich, Deutschland und anderswo reisen die Touristen an, um die sanft geschwungene Weinlandschaft zu erkunden. „Wir haben neben Remich die höchste Auslastung des Fahrradsangebots“, sagt Stefanetti stolz.
Doch auch wenn sich in Sachen touristische Infrastruktur einiges getan hat, gibt es Raum für Verbesserungen. Als das Land an einem sonnigen Samstagabend um 18.20 Uhr ein Weingut in Ehnen aufsuchte, traf es eine Gruppe bulgarischer Touristen, die mit dem Schiff angereist waren. Gemeinsam wartete man auf den Winzer, doch einige Minuten später wimmelte ein mürrischer Herr die Besucher ab. Um diese Zeit gebe es keinen Wein zum Probieren. Nur auf ausdrückliche Bitte wurde eine Kiste Wein ver-kauft, die Bulgaren jedoch mussten unverrichteter Dinge abziehen. Kein Einzelflaschenverkauf, kein alternatives Angebot. Eine Werbung für die Weinregion ist ein solcher Empfang nicht.
Dabei machen sich Geschäftsleuten und Politiker sehr wohl Gedanken darüber, wie man mehr Kundschaft in die Region ziehen könnte, um die Wirtschaft anzukurbeln. „Hier ist viel Durchgangsverkehr“, den Satz hört man beim Spaziergang durch das Moselstädtchen Remich mit der berühmten Esplanade oft. Leider auch von Geschäftsinhabern. Neue Verkaufsideen sind nicht immer von Erfolg gekrönt, Laden öffnen und schließen nach einigen Monaten erfolglosen Probierens wieder. Die Stadt hat das Problem erkannt und versucht, die Einkaufsstraßen mit Blumen und regelmäßigen Kehrdiensten zu verschönern.
„Bei der Eröffnung hat der Bürgermeister uns persönlich begrüßt“, erzählt die Blumenverkäuferin. Sie ist aus dem nahe gelegenen Uelmen nach Remich gekommen, „weil hier die Ladenmieten noch bezahlbar sind“. Einen Wermutstropfen aber hat der Umzug: „Es könnte noch mehr los sein“, findet sie. Spinnweben im Ladenfenster des Lokals gegenüber zeugen von jahrelangem Leerstand. Auch die Parkplatzsituation sei nicht ideal, klagen Geschäftsleute. Nicht dass nicht genügend da wären, vierhundert Meter weiter oben am Moselufer stehen Dutzende Plätze frei, aber Langzeitparker besetzen oft die Plätze direkt an der Einkaufsstraße. Ein neues Parkkonzept soll Abhilfe schaffen.
Der Besitzer einer Kleiderboutique will nicht mit der Presse reden. „Das letzte Mal war ein Journalist von Lëtzebuerg Privat hier und hat nur Quatsch geschrieben“, schimpft er erbost. „Kleinere Probleme und etwas zu verbessern, gibt es in jeder Stadt.“ Aber nicht jede Stadt ist wie Remich an der Mosel gelegen und damit jedes Jahr neu direkt von Hochwasser bedroht.
Diesen Winter wurde Remich zwar von einer größeren Überflutung verschont, aber das Wasser stand trotzdem in der Einkaufsgasse. Um den politischen Verantwortlichen Druck zu machen, endlich den Hochwasserschutz zu verbessern, hat der Remicher Geschäftsverband einen Brief an die Gemeinde, das Nachhaltigkeitsministerium und Ponts et chaussées verschickt. Bisher aber hätten weder die Ministerien, noch der Bürgermeister auch nur den Empfang bestätigt, stellt ein Ladeninhaber enttäuscht fest. Überhaupt sei die Gemeindeverwaltung nicht auf Zack, hört man immer wieder, eine Kritik, die Bürgermeister Henri Kox annimmt: Man sei durch „personelle Engpässe“ ins Hintertreffen geraten. Gemunkelt wird aber auch, dass die Zusammenarbeit zwischen politischer Führung und Verwaltung nicht immer rund läuft. CSV und DP jedenfalls kritisieren den „Stillstand“ – werden aber ihrerseits des Klientelismus und der Intransparenz bezichtigt, wie im anonymen Bürgerforum www.krunnemeck.lu nachzulesen ist. „Man darf nicht zu viel von ihm erwarten. Er muss sich zurechtfinden“, verteidigt eine Ladenbesitzerin den amtierenden Bürgermeister.
Dass der grüne Abgeordnete als Neuling in einer eher blau-schwarzen Hochburg, in der übrigens ab diesem Jahr im Proporzsystem gewählt wird, mit Startschwierigkeiten zu kämpfen hat, räumt nicht zuletzt Kox selbst ein: „Es braucht Zeit, sich einzuarbeiten und die Menschen, mit denen man zu tun hat, kennen zu lernen“. Vom Splitting des Bürgermeisterpostens hält Kox nichts. Kox hatte das Amt vom DP-Mann Jeannot Belling übernommen, der bei den Wahlen 2005 Stimmen lassen musste und die ersten vier Jahre das Amt bekleidete. Einige lästern, seit der Grüne da ist, drehe sich alles um die Energiepolitik, und tatsächlich steht auf der Gemeindeseite im Internet die Petition gegen Atomstrom oben. „Aber das sind ja auch wichtige Themen“, findet eine Passantin.
Fragt man Stamm-Remicher, so sind die Erneuerung der Esplanade und die im wahrsten Sinne des Wortes auf Eis gelegte Modernisierung der Eispiste Dauerbrenner, die nicht vom Fleck kommen. „Die Esplanade ist das nächste Projekt, das wir in Angriff nehmen werden“, verspricht Henri Kox. Es bestehen Pläne des Architektenbüros Valentiny, wie die Flaniermeile umgestaltet werden soll. Bisher galt das Augenmerk der Kommunalpolitiker eher dem Ausbau der Kinderbetreuung. „Wir haben in den letzten Jahren da einiges bewegt“, sagt Kox stolz. Hinzu kommen das Jugendhaus, die Kläranlage, die Modernisierung des Schwimmbades.
Ein Thema aber lässt die politisch Verantwortlichen jeder Couleur ratlos zurück: der Bevölkerungswandel in der Region und damit verbundene Fragen wie Integration und politische Partizipation. In Remich haben die Einwohner ohne luxemburgischen Pass inzwischen zahlenmäßig die Ur-Remicher fast eingeholt. Die vergleichsweise preiswerten Immobilien lockten vor allem Portugiesen in die Häuser, die sie wieder instand setzen. Aber auch wenn ihre Kinder in dieselben Schulen gehen und dieselben Kindergärten besuchen wie die Alteingesessenen: so richtig zueinander finden die Bevölkerungsgruppen nicht. Hinter der idylischen Kulisse der Moselstadt klaffen kulturelle Gräben. „Wir versuchen, die portugiesische Gemeinschaft anzusprechen“, sagt Kox.
Aber so einfach ist das nicht: Nicht nur in Remich organisieren sich viele Portugiesen eher in ihren eigenen Vereinen. Die Stadt versucht, sie nun gezielt einzubinden, etwa bei der Nutzung von Sportflächen, beim Nachbarschaftsfest oder bei den Wahlen. Allerdings hält sich das politische Interesse offenbar in Grenzen: „Wozu soll ich wählen“, fragt ein Portugiese achselzuckend. „Gemeindepolitik interessiert mich nicht und an meiner Situation ändert sich dadurch doch nichts. Ich bleibe arm.“
Beim ersten Informationstreffen für Interessierte kamen gerade einmal eine Hand voll Ausländer: darunter zwei Dänen und ein portugiesisches Paar. „Dabei haben wir Einladungen an alle Haushalte verteilt“, betont Kox. Etwas besser könnte vielleicht Mertert da stehen. „Wir werden nicht so schlecht abschneiden, viele hier haben die doppelte Staatsangehörigkeit“, meint Stefanetti. Auch Wasserbillig-Mertert wirbt mit Infobroschüren und -tagen um das Interesse der neuen Wähler.
Der soziale Graben, der sich auftut, lässt sich in Remich auch im Straßenbild ablesen. Ähnlich wie in der Hauptstadt ist die soziale Segrega-tion geografisch messbar: Die „besseren“ Häuser der gut situierten Remicher liegen weiter oben im Hang, viele Ärmere wohnen hingegen in alten, renovierungsbedürftigen Häusern weiter unten. „Das Thema wird unsere Region auf jeden Fall auch in Zukunft beschäftigen“, ist Henri Kox überzeugt.