Im Rathaus von Bettemburg sitzt Bürgermeister Roby Biwer in seinem mit dunklem Holz getäfelten Amtszimmer und lässt die zu Ende gehende Legislaturperiode Revue passieren. Hier, im Bettemburger Schloss mit seinen dicken Mauern, bilanziert es sich entspannt, auch wenn draußen die Maisonne so heiß brennt, wie lange nicht mehr.
„Natürlich ziehe ich ein positives Fazit“, sagt der leutselige Bürgermeister mit dem freundlichen runden Gesicht. Er sagt es ziemlich trocken, weil es nicht heißen soll, dass von einem Gemeindeoberhaupt vier Monate vor den nächsten Wahlen sowieso nichts anderes zu erwarten ist. Der bevorstehende Wahlkampf dürfte für Biwer und die LSAP schwerer werden als der letzte. 2005 fuhren sie noch über 53 Prozent der Stimmen ein. Sie gewannen ein Mandat im Gemeinderat hinzu, vergrößerten ihre Mehrheit auf acht von 13 Sitzen, und Biwer erhielt mehr Stimmen als die Erstgewählten von CSV, DP und Grünen zusammen. Dabei war er nur ein Jahr zuvor zum Bürgermeister aufgerückt, als der langjährige Lokalmatador Lucien Lux nach den Landeswahlen Minister wurde. Heute dagegen zählt ausgerechnet Bettemburg mit seinen anscheinend so stabilen Mehrheitsverhältnissen zu jenen Gemeinden, in der es für die CSV, die wichtigste Konkurrentin, etwas zu holen geben könnte. Jedenfalls glauben das deren Wahlkampfstrategen.
Weshalb wohl? – Der Bürgermeister kennt einen Teil der Antwort: „Viel erreicht“ worden sei vor allem beim Ausbau der Kinderbetreuung, bei der Förderung der Chancengleichheit, in der Bettemburg übrigens „schon immer Vorreiter“ gewesen sei, und im Umweltbereich. Nicht zu vergessen, dass es gelungen sei, die Verschuldung der Gemeinde um fast die Hälfte zu senken: von 24,4 Millionen Euro im Jahr 2004 auf 13,1 Millionen im vergangenen Jahr. Doch Biwer weiß: „Solche Erfolge verkaufen sich nicht gut.“
Lieber hätte er das Verkehrsproblem der Gemeinde wenigstens gelindert: Durch Bettemburg, das nicht nur Eisenbahn-, sondern auch Autobahnknotenpunkt ist, wälzen sich im Tagesdurchschnitt bis zu 17 000 Autos. Darunter viele Pendler, die die im Berufsverkehr überlastete Autobahn umfahren wollen. Aber um dieses Problem zu lösen, sagt Biwer und schüttelt ein paar Mal den Kopf, gebe es nur zwei Optionen: Entweder man erschwert den Autoverkehr innerhalb Bettemburgs derart, dass die Pendler den Stop-and-Go auf der Autobahn vorziehen. Oder man baut eine Umgehungsstraße. Die allerdings verliefe nah dem Natura-2000-Gebiet Stréisel nördlich von Bettemburg; das habe eine gemeinsame Studie mit dem Infrastrukturministerium ergeben. „Das wollen wir nicht!“, sagt Biwer mit Nachdruck. Und fügt hinzu: „Auch Claude Wiseler hat gesagt, die Stréisel ist unantastbar.“
Damit befindet der Bürgermeister sich schon im Wahlkampf. Denn falls der Infrastrukturminister von der CSV das so gesagt hat, wäre er nicht nur anderer Meinung als die Bettemburger CSV, sondern die hätte ihn obendrein an anderer Stelle falsch zitiert, wenn nicht gar benutzt: In der Mai-Ausgabe ihres Informa-tionsblatts Op de Punkt berichtet sie von einem „Infoabend mit Claude Wiseler“, auf dem der Minister erklärt habe, für eine Umgehungsstraße um Bettemburg fehle das Geld. Es sei denn, die Gemeinde überzeuge die Regierung von der Wichtigkeit der Umfahrung.
Dass der Verkehr ein Wahlkampfthema wird, ist möglich. In Bettemburg mit seiner stetig wachsenden Bevölkerung, die überwiegend aus guter Mittelschichten-Bourgeoisie besteht und demnächst die Zehntausender-Grenze überschreiten dürfte, stellen sich weder wirtschaftliche Probleme aus Mangel an Betrieben und Arbeitsplätzen, noch übermäßig viele soziale Fragen. Relevanter ist, was mit „Lebensqualität“ zu tun hat. Dazu fällt die Bilanz der Opposition über die letzten sechs Jahre LSAP-Führung vernichtend aus.
„So viele Studien“ seien angefertigt worden, grollt DP-Spitzenkandidat Gusty Graas und deutet in seinem Büro in der Direktion des Lëtzebuerger Journal auf seinen Schreibtisch, um zu zeigen, wie hoch ein Turm aus all den Papieren wäre. „Doch es gibt noch immer kein Radwegenetz, keine Tempo-30-Zonen, keinen Citybus.“ All das sei nicht realisiert worden, weil der Schöffenrat glaubte, nicht alle Bettemburger seien dafür, meint Josée Lorsché, die Spitzenkandidatin der Grünen. „Dabei entsteht der viele Autoverkehr bei uns zur Hälfte innerhalb der Gemeinde, das haben die Studien ebenfalls ergeben.“
Doch mit dem Thema „Verkehr“ gibt es für die LSAP in Bettemburg nicht nur etwas zu verlieren. Die Umgehungsstraße spaltet die Opposition. „Für uns könnte sie im Rahmen eines Gesamt-Verkehrskonzepts sinnvoll sein“, sagt CSV-Spitzenkandidat Laurent Zeimet. Großprojekte wie das Stadion mit Shopping Mall in Liwingen und das geplante Logistikzentrum auf dem früheren WSA-Gelände liegen nah bei Bettemburg. „Welche Auswirkungen sie auf unsere Gemeinde haben werden, scheint den Schöffenrat aber nicht zu interessieren.“ DP-Mann Graas argumentiert ähnlich. Die Grüne Lorsché dagegen kann nicht für eine Straße sein, die die Stréisel belastet.
Wahrscheinlich aber wäre nur eine Jamaika-Koalition stark genug, die seit 24 Jahren währende Alleinherrschaft der LSAP nicht nur zu beenden, sondern die Sozialisten gleich noch in die Opposition zu befördern. Doch das würde voraussetzen, dass die LSAP im Oktober wenigstens zwei Mandate verliert. Absehbar ist das keineswegs: Die CSV hörte 2005 zwar auf, Stimmen einzubüßen, wurde aber um einen Restsitz ärmer. Die DP verlor einen Sitz im Gemeinderat, die Grünen errangen zum ersten Mal einen. Weil alle drei Spitzenkandidaten wissen, wo sie herkommen, verkneifen sie sich eindeutige Koalitionsaussagen zu diesem frühen Zeitpunkt – vor allem Zeimet.
Es gibt jedoch einen Politikbereich, in dem der LSAP Gefahr drohen könnte: die Bebauung, und mit ihr die Frage, ob und wo Bettemburg in Zukunft noch wachsen soll und wo gebaut werden darf. Lange waren es nur die Gemeinderäte der Opposi-tion, die dem Schöffenrat vorwarfen, dass die Diskussion um den neuen General-Bebauungsplan nicht hinausgelangte über die Präsentation einer Vorstudie. Und dass dies „leider typisch“ sei für die Verhältnisse im Gemeinderat, „wo uns Projekte ohne vorherige Diskussion zur Abstimmung vorgelegt werden“, wie Josée Lorsché klagt. Dabei müssten dringend Strategien diskutiert werden: In der Gemeinde ist für Wohnbauten kaum noch Platz; vor allem im Hauptort Bettemburg selbst, so viel weiß man schon. Die Eisenbahn, die Alzette und die Überschwemmungsflächen setzen Grenzen.
Unterdessen aber hat der Schöffenrat etwas betrieben, das man „negative Trottoirspolitik“ nennen könnte: Statt vor den Wahlen für ihre Bürger „eppës an d’Rei“ zu machen, haben Roby Biwer und seine Crew zumindest im zur Gemeinde gehörenden Dorf Abweiler viele Leute gegen sich aufgebracht und vielleicht auch so manche in Hüncheringen. Das ist der Hauptgrund, weshalb der Bürgermeister derzeit nicht mehr ganz so in sich ruhend wirkt wie sonst.
„Ja, ich war so unvorsichtig, eine Zahl zu nennen“, räumt er ein und meint jenes Tageblatt-Interview, in dem er im November erklärt hatte, in Hüncheringen werde „langfristig“ ein „zweiter großer Entwicklungspol“ entstehen. In 30 bis 40 Jahren könne dort die Einwohnerzahl auf bis zu 4 000 anwachsen. Heute sind es 800. Die Opposition war alarmiert, denn im Gemeinderat war das Vorhaben, hinter dem Flavio Becca steht, noch nicht besprochen worden. Und so musste Biwer sich damals schon anhören, er lasse zu, „dass ein Promotor die Zukunft der Gemeinde diktiert“, wie die CSV kurz vor Jahresende in einem toutes boîtes fett titelte.
Während die Pläne für Hüncheringen noch zu vage sind, um Bürgerprotest zu erregen, ist der in Abweiler massiv: In dem nur 30 Häuser zählenden Dorf entlang einer Sackgasse, die an einem kleinen Bach endet, an dessen Uferrändern Kühe und Pferde am trockenen Gras rupfen, und wo bis heute nicht mal ein Bus hält, nennen die Leute auf der Straße ihren Bürgermeister ganz offen einen „falschen Hund“.
In einem hübschen Haus, an dem sich Weinsträucher nach oben ranken, hat sich derweil die kleine Gruppe versammelt, die den Widerstand gegen ein Bauprojekt organisiert, von dem man zunächst ebenfalls aus der Zeitung erfuhr – ehe im November der Schöffenrat zu einem Essen einlud und den Bürgern dort schon mal dankte: Dafür, dass sie nicht nur einverstanden seien mit einem Projekt der Regierung, in Abweiler modellhaft Altbauten zu isolieren. Sondern auch mit einem weiteren Vorhaben, dem eines Privat-Promotors, 34 neue Häuser zu bauen.
All das war den Abweilern neu. Dem kollektiven schriftlichen Einwand schloss sich nur jene Familie nicht an, deren Land zur Bebauung aufgekauft würde. Dass der Einwand vom Schöffenrat ignoriert und keiner der Kritiker angehört wurde, obwohl es das Kommunalplanungsgesetz vorschreibt, brachte sie in Harnisch. Dass das Projekt vor fünf Wochen bei der ersten Abstimmung im Gemeinderat innerhalb von ein paar Minuten von der LSAP einstimmig durchgewinkt wurde, obwohl einer ihrer Räte es „schlecht“ nannte, brachte das Fass zum Überlaufen. Da halfen auch das Mea culpa des Bürgermeisters und sein Versprechen nichts, die Abweiler vor der endgültigen Abstimmung auf jeden Fall anzuhören. Heute sagen sie: „Wir werden durch alle Instanzen gehen. Wir sind keine Wachstumsgegner, nicht gegen Neubauten, aber gegen eine Verdoppelung unseres Dorfes. Und vor allem wollen wir nicht übergangen werden.“ Aber für Biwer sei es bisher gut gelaufen.
Dass die Oppositionsparteien die Themen Abweiler und Hüncherigen schon aufgegriffen haben, erstaunt natürlich nicht. In den Dörfern könne durchaus gebaut werden, aber nicht derart überdimensioniert, versprechen die Spitzenkandidaten von Schwarz, Blau und Grün unisono. Vor allem jedoch müssten in Bettemburg selbst Baulücken geschlossen und „nachverdichtet“ werden. Das sei auch für die LSAP prioritär, sagt Roby Biwer, der verspricht, nach den Wahlen fände eine Grundsatzdiskussion um die Bebauung statt – im Gemeinderat und mit den Bürgern. Dass in Abweiler neu gebaut werde, steht für ihn allerdings schon fest: „Nach den 30 Häusern ist das Dorf aber zu!“
Damit könnte Bettemburg in der „Wachstumsfrage“, mit der Verkehr und Bebauung sich verbinden, ein politisierbares Wahlkampfthema haben – je nachdem, wie es der Opposition gelingt, die Wähler über die Dörfer hinaus davon zu überzeugen, dass die LSAP, wie Gusty Graas es nennt, generell einer „Arroganz der Macht“ erliege. Die CSV scheint bereit, aufs Ganze gehen zu wollen – mit einer Liste, die sich von früheren so stark unterscheidet, dass es manchen in der Partei zu weit geht: Mit einem Durchschnittsalter von 42 ist die CSV-Liste nicht nur sehr jung. Mit sechs Frauen und sechs Männern neben dem Spitzenkandidaten ist sie exemplarisch-modern paritätisch besetzt, und im Internet wird sie mit Kurzmeldungen und Videos, unterlegt mit Independent-Rock, offensiv als Garantin für Aufbruch empfohlen. Vielleicht in Umkehrung des Wahlkampfs 1987, als der junge Lucien Lux seinen überragenden Wahlsieg gegen den CSV-Bürgermeister Fernand Weber einfuhr. Nur: Damals herrschte in Bettemburg Wechselstimmung; Weber lag am Ende sogar mit der eigenen Partei überkreuz. Heute ist die Lage ruhiger. Und die Mauern des Bettemburger Rathauses sind so dick, dass ein Bürgermeister darin fast wie in einer Festung sitzt.