Luxemburgensia

Hawaii für vier Euro

d'Lëtzebuerger Land vom 24.08.2018

An Funktionierendem soll man nicht rütteln, das gilt im Sport („Never change a winning team“) wie offenbar auch im Verlagswesen. Mit der Serie Timba setzt Kremart Edition, der Verlag von ­Christiane Kremer und Luc Marteling, seit diesem Sommer seine Reihe von Kürzestveröffentlichungen in neuem Gewand fort. Die Timba-Hefte sind etwas größer und aufwändiger gelayoutet als die früheren Smart-Hefte, sie kosten einen Euro mehr, aber im Wesentlichen handelt es sich um das etablierte Konzept: kurze Texte auf Luxemburgisch in handlichen Einzelveröffentlichungen anzubieten, die in jeder größeren Manteltasche Platz finden und – im Idealfall – Leser an die Literatur in luxemburgischer Sprache heranführen.

Die neue Serie startet mit fünf Heftchen, von denen es in der Verlagsankündigung heißt, sie enthielten jeweils eine Kurzgeschichte und umfassten vierzig Seiten. Da, wie in der Smart-Serie, Kurzbeschreibungen der Autoren fehlen, kann man mit einiger Google-Gewissheit behaupten: Von fünf Autoren sind vier bisher mit anderen Veröffentlichungen in Erscheinung getreten. Der Fotograf Marc Wilwert verlässt mit De groe Star sein eigentliches künstlerisches Terrain auch nicht ganz; die Hauptfigur ist an seine aktuelle Fotoserie Sonnenschatten angelehnt, in der Wilwert Menschen mit Albinismus in Szene setzt. Bei Wilwerts Erzählung wie bei zwei weiteren Texten der Startnummern handelt es sich um Kurzgeschichten. Auszunehmen aus dieser Beschreibung sind Luc Martelings Den nationale Wollef, eine kabarettistische Politsatire, und ­Sophie Gitzingers Text, der eine Art autobiographische Lebensbilanz zu sein scheint. Martelings und ­Sophie Gitzingers Texte überschreiten als einzige der fünf Veröffentlichungen die Dreißig-Seiten-Marke für reine Textseiten. In die wichtigste Kategorie fällt allerdings nur ein einziges Heftchen: D’Wolleken iwwer Hawaii von Jérôme Netgen ist eine wirklich gute, wirklich unterhaltsame Kurzgeschichte auf Luxemburgisch. Über den Rest will man lieber schweigen.

Netgen erzählt, wie der Neuankömmling Mats die Bewohner eines kleinen luxemburgischen Dorfes in seinen Bann zieht. Um mehr über Mats zu erfahren, den alle den „Hippinazi“ nennen, ist es für Fred, Fritsi, Knetzel und Konsorten allerdings schon zu spät: Die Geschichte beginnt mit Mats’ Tod beziehungsweise kurz davor, als ein gewisser Lord ­Tennyson allein aus dem Wald kommt, mit in der Sonne glänzendem Pelz und über den Straßenbelag schleifender Leine. Dass es sich bei diesem Tennyson nicht um einen extravaganten Herrn handelt, sondern um einen Hund, wird wohlweislich erst zwei Seiten später letztgültig geklärt. Schöne Verwirrung! So wird schnell zum Lachen, was eigentlich ein trauriger Anlass ist. Es gelingt Netgen mit wenig sprachlichem Aufwand, eine berührende, zugleich tragikomische und nos­talgische Stimmung zu schaffen, in der sich poetische Momente mit (pop)kulturellen Referenzen und albernen Witzen abwechseln.

Wie Mats, nachdem er mit einem Tarzan-Schrei auf sich aufmerksam gemacht hat, leblos mit seinen Gummistiefeln in der Landschaft liegt (die Gummistiefel in V-Formation „wéi e Victorys-­Zeechen“), liest sich fast wie das erzählerische Konzept des Textes: „D’Plaz, wou e louch, [...] läit an enger Kaul, um Wutz vun engem Huelwee voller Huesebonzelen, net wäit vun do, wou goudron­néiert Eisebunnsschwellen den Ufank vun engem Entdeckungspad markéieren, deen ni fäerdeg gouf an dowéinst ou néierewou hiféiert.“

Mit viel Liebe zum heruntergekommenen Detail beschreibt der Erzähler, wie sich die Dorfbewohner Mats annähern, wie sie versuchen, etwas über seine Vergangenheit herauszufinden und seine Aufmachung, seine Freundinnen und seinen Vorgarten unter die Lupe nehmen („e rabbelegt Gestell vun enger Hollywood-Schaukel virun der Garagepaart“ undsoweiter). Morgens fährt Mats „mat sengem raschtegen Opel Ascona mat den ausgeleierte Sëtzer“ davon, wohin bloß? Es ist schließlich der Fremde, der den entscheidenden Schritt auf die Dorfgemeinschaft zugeht und sie mit einer selbst gebastelten Einladung („Grafikstudio Ruppderdupp, sot de Luddi“) zu einem Gartenfest einlädt, das sich für den Erzähler zu einem unerwarteten Paradies entpuppt: „Esou gesäit d’Éiwegkeet aus, duecht ech, wann s de frësch vum Apéro kënns, a se richt och e wéineg no Romarin, Kümmel a frësch geméitem Gras.“ Beim Gartenfest wird auch offenbar, dass etwas nicht stimmt mit Mats, doch keiner fragt nach.

D’Wolleken iwwer Hawaii wirkt stellenweise wie der Umriss einer Geschichte, die auch einen Roman hätte füllen können. Sollte der Autor mehr davon in petto beziehungsweise in der Schublade haben, bitte her damit.

Marc Wilwert: De groe Star / Jérôme Netgen: D’Wolleken iwwer Hawaii / Catherine Gitzinger: De Bam / Sophie Gitzinger: Vill Gléck am neie Joer / Luc Marteling: Den nationale Wollef; Edition Kremart, Serie Timba; http://kremart.lu/bicher/dei-nei-serie-timba-bicher-1-bis-5

Elise Schmit
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