Ein Roman, dessen Handlung nach dem Referendum von 2015 spielt und die in Luxemburg lebenden Ausländer in den Fokus rückt? Der die Frage nach der Bildungsgerechtigkeit stellt? Das Buch der Wahlluxemburgerin mit belgischen Wurzeln Béatrice Peters könnte eine unterhaltsame Sommerlektüre sein, wären da nicht substanzielle Schwächen.
Die Eckstationen der Handlung sind schnell erzählt: Jo (João) kommt als Achtjähriger mit seiner Familie aus Portugal nach Luxemburg, um sich dort ein besseres Leben aufzubauen. Vater, ein Bauarbeiter, und Mutter tun das Beste für ihren Sohn, stoßen aber angesichts des Schulsystems an ihre Grenzen. Zum Glück ist da Katharina, eine Lehrerin, bei der Jos Mutter putzt und die sich des intelligenten Jungens annimmt. Trotz anfänglichen Schwächen in Deutsch geht Jo seinen Weg.... Weil er erleben musste, dass viele seiner Klassenkameraden auf dem Weg zur Hochschulreife scheitern, kommen er und ein Freund nach dem bestandenen Abitur auf die Idee, eine Meinungsumfrage zu starten: Mit Hilfe der sozialen Netzwerke wollen sie herausfinden, wie die Nicht-Luxemburger das Schulsystem umbauen würden – wenn sie könnten. Die Befragung entpuppt sich als ein Renner – unter ihresgleichen.
Bei den Einheimischen indes kommt die Initiative gar nicht gut an, die Justiz wird auf Jo aufmerksam und er muss, um sein Jurastudium nicht zu gefährden, versprechen, derlei Aufrührerisches künftig zu unterlassen. Weil das Gefühl der Ungerechtigkeit aber bleibt, sucht Jo einen anderen Weg: Er wird treibende Kraft und Kopf einer neuen Partei und ist eines Tages vor die Wahl gestellt: Sein privates Glück zu riskieren für eine größere Sache?
Die Probleme, die Peters in ihrem rund 270-seitigen Debüt aufgreift, berühren ein brisantes Thema unserer Zeit: Das mehrsprachige Bildungssystem mit der Alphabetisierung auf Deutsch hängt eine wachsende Zahl Kinder systematisch ab – und seine Verantwortlichen tun sich dennoch mit Veränderung schwer. Mit Jo, der gegen das System aufbegehrt, verleiht die Autorin Betroffenen der Bildungsmisere ein Gesicht und befreit sie – fiktiv – aus der Tatenlosigkeit. So weit, so gut. Leider gelangt die solide, aber ohne sprachliche Raffinesse geschriebene Erzählung jedoch selten über gut gemeinten naiven Humanismus hinaus. Dazu ist sie in viel zu vielen Klischees gefangen und wiederholt diese, ohne sie zu hinterfragen. Auch sind die Charaktere zu holzschnittartig und oberflächlich gezeichnet, Handlungsstränge überzogen, um der Geschichte Plausibilität oder Tiefgang zu verleihen.
Der intelligente Jo ist anders als die anderen portugiesischen Kinder, weil er „nicht stört“. Seine Eltern reisen in die alte Heimat, wo sie „fast das ganze Geld“ ausgeben, weil sie vor ihren Landsleuten „ihre Erfolgsgeschichte unter Beweis“ stellen wollen. Jo fährt mit seiner Liebe Lisi ins Land seiner Vorfahren. Am ersten Gasthof, den sie erreichen, werden Sardinen gegrillt. „Da war er wieder, dieser vertraute Duft der Heimat.“ Kommunisten sorgen bei Peters „traditionell für Erheiterung“, Sekretärinnen sind hübsch und adrett angezogen. Es sind Plattitüden wie diese, die die Lektüre regelrecht zum Ärgernis werden lassen. Und so hysterisch der Luxemburger Geheimdienst sich in der Vergangenheit erwiesen hat: Dass er und die Justiz sich von einer Schülerumfrage derart beeindrucken lassen, dass sie in zwei Halbstarken Verfassungsfeinde vermuten, scheint arg an den Haaren herbeigezogen. Immerhin: Jo hält ein flammendes Plädoyer für seine Lösung der Bildungsmisere – der echte Schulminister Claude Maisch hätte seine wahre Freude daran: mehr internationale öffentliche Schulen und Luxemburgisch stärker fördern.
Mit Lisis Mutter, Katharina, Jos Mentorin, erzählt Béatrice Peters ihre eigene Zuwanderungsgeschichte: Die Belgierin kam als kleines Mädchen nach Luxemburg und hat einige Jahre als Lehrbeauftragte Grundschüler unterrichtet; auf diesen Erlebnissen baut ihre Geschichte und ihre Sicht auf das Luxemburger Schulsystem auf. Allzu oft bricht sich dabei ein naiver, mitunter paternalistischer Blick auf die portugiesischen Einwanderer Bahn; etwa als Katarina über den Urheber der Umfrage sinniert und sich betrogen fühlt, weil Jo trotz der „ihm entgegengebrachten Fürsorge“ nicht mit dem System im Land einverstanden ist, ein Land, das für Katharina „das schönste Land der Erde ist“, weil „die Wiesen mit kerzengeraden Pfählen umzäunt, die Straßen ohne Schlaglöcher, die Fassaden der Häuser bunt gestrichen waren“.
Da diese Klischees nirgends ironisch gebrochen werden, wird man den Eindruck nicht los, die Autorin wünschte die Welt tatsächlich so bieder, brav und spießbürgerlich. Katharina macht sich Sorgen, dass ihre Tochter mit einem Portugiesen zusammen ist, aber das ist immer noch besser als mit einem Schwarzen oder Araber, weil diese Kinder „es sehr schwer hatten, sich in bürgerlichen Milieus zurechtzufinden, eigene Gepflogenheiten hegten und frauenfeindlich waren“. Es folgt, als Beleg für deren Frauenfeindlichkeit, eine Begegnung aus Katharinas Schulalltag, als sich ein arabischer Junge weigerte zu fegen, weil Putzen schließlich Sache der Frauen sei. Dabei putzt Jos Mutter. Und wird im nächsten Abschnitt Lisi als ein Mädchen beschrieben, das sich „wie selbstverständlich schutzsuchend“ beim gut aussehenden Jo anlehnen muss. Spätestens da wird deutlich, dass die Emanzipationsgeschichte deutliche Grenzen hat: in der Vorstellungskraft der Autorin.