Inklusion ist en vogue. Barrierefreiheit und „Design for all“ sind in der Kunstszene längst Schlüsselbegriffe. Weltweit suchen Museen nach partizipativen, inklusiven Ansätzen, Kunst breit zu vermitteln. Angesichts der demografischen Entwicklung einer immer älter werdenden Gesellschaft in Westeuropa und der zunehmenden Einschränkungen (jeder Zehnte hat eine sichtbare Behinderung) wird langsam auch dem Letzten klar, dass man Menschen mit Behinderung nicht von der Kunstvermittlung ausschließen darf. Teilhabe wird spätestens nach Ratifikation der UN-Behindertenrechtskonvention auch in Luxemburg großgeschrieben. Die Villa Vauban ist schon letztes Jahr auf diesen Zug aufgesprungen. Mit Der Lauf des Lebens präsentierte sie erstmals eine Ausstellung, die mit Barrierefreiheit warb und damit, für jeden zugänglich zu sein. Mit Konfrontationen liefert sie nun gewissermaßen die 2. Auflage eines „Museums für alle“ und will ihre Sammlungen füralle öffnen.
War das Leitmotiv der letzten Ausstellung der Lebenszyklus und gehorchte einer chronologischen Abfolge, die kunstgeschichtliche Motive dem Alter nach zeigte, so ist die neue Schau offener gehalten und wesentlich verspielter aufgezogen.
„In Form von Gegensatzpaaren oder Vergleichen laden über 70 Gemälde, Aquarelle, Stiche und Skulpturen aus dem 17. Jahrhundert bis zum 21. Jahrhundert zu einer spielerischen und gleichzeitig lehrreichen Entdeckungsreise“, heißt es in der Pressemappe. Und weiter: „Die ungewöhnliche Präsentation der Werke sowie eine Vielzahl an Vermittlungsangeboten machen die Ausstellung für jedermann zugänglich.“ Eine barrierefreie Entdeckungsreise also, in der Menschen „gleich mit welcher Einschränkung“ auf ihre Kosten kommen?
Auch diesmal ist der Eintritt gratis. Die Barriere Eintrittspreis wurde also abgebaut. Zu Beginn des Ausstellungsrundgangs betritt man einen Raum voller bunter Kissen, in die man sich hineinlegen kann. Klar wird: Die Kuratoren knüpfen an das Konzept der vergangenen Ausstellung an, denn die Endsta-tion der letzten Ausstellung ist der Anfang der neuen. Begleitende Broschüren in leichter Sprache liegen dort aus, wo der Ausstellungsrundgang beginnt. Eine App soll den Zugang erleichtern.
Im hell durchfluteten Durchgangsraum stößt man auf zwei Skulpturen, deren Gegensätze einem ins Auge springen. Die Skulptur des spanischen Bildhauer Baltasar Lobo (20. Jahrhundert) einer jauchzenden Mutter mit Kind wird in Kontrast gesetzt zu einer nachgebildeten Skulptur von Rodins Der Denker. Doch obwohl Rodin ursprünglich Dante (Alighieri) darstellen wollte, stand ihm mit Jean Baud ironischerweise ein Boxer und ausgemachter Scharlatan Modell. In der Ausstellung kann man sich kurzerhand Handschuhe überstreifen und die Skulpturen ertasten.
Die Frage danach, was Original und was Kopie ist, stellt man sich bei Die Festnahme des Samson. Abraham van Diepenbeeck hat das Motiv aus dem Alten Testament in einem Holzstich aus dem 17. Jahrhundert aufgegriffen, und zwar den Moment, in dem Samson von der schönen Delilah im Schlaf die Haare abgeschnitten und so um seine übermenschlichen Kräfte gebracht wird. Detailgetreu ist es einem Werk von Anthonis van Dyck nachempfunden. Hendrik Snyers stach das Gemälde nach. In seinem Kupferstich ist die Szene spiegelverkehrt nachgebildet; die Schere, die in der gemalten Vorlage fehlt, wurde hinzugefügt.
Dass die Räume keine Titel haben, verstärkt den eklektischen Eindruck. Doch Eklektizismus ist ja gerade ein Charakteristikum der Sammlungen des 19. Jahrhunderts. Aus einer Glasvitrine blicken einen neckisch Porzellanfiguren von Hunden, Grizzlybären, einem Nilpferd mit weit aufgerissenem Maul oder einer riesigen Heuschrecke im Art-Deco-Stil an. Die verstaubten Villeroy & Boch-Serien als Spiegelbild der Luxemburger Industriegeschichte.
Die Auswahl der Ausstellungsobjekte scheint dem Zufallsprinzip zu gehorchen. Zum Teil sind es künstlich hergestellte Bezüge, die einen zum Lachen bringen, etwa, wenn ein opulentes Stillleben von totgeschossenem Federvieh von Georgius Jacobus van Os einem inszenierten lebendigen Huhn, ein liebevolles Tierporträt von Dany Prum, einer luxemburgischen Künstlerin und erklärten Vegetarierin, gegenübergestellt wird. Trotz der offensichtlichen Kontraste der Kunst-Stile wie Epochen erscheinen beide Darstellungen als Form der Ehrung.
Schnell wird klar, dass in Konfrontation irgendwie alles aufgegriffen wurde, was sich in das Leitmotiv einfügt; bisweilen recht willkürlich und äußerst amüsant. So findet man in dem Raum neben der Skulptur eines Mayavogels, ausgestopfte Vögel (Anleihen aus dem Naturmuseum). Die Kuratoren scheinen sich jedenfalls amüsiert zu haben.
An barrierefreien Elementen ist hingegen so viel nicht hinzugekommen. So findet sich zwar ein weiteres taktiles Modell, an dem Blinde – neben dem des Dreikönigsfest – diesmal den Kanal von Venedig ertasten können, doch bedarf es dazu noch immer einer Hilfsperson, die die Seheingeschränkten zu dem Bild führt und es erklärt. Stattdessen wird auf Spielereien gesetzt. So hält ein kulissenhaftes Bild aus der Sammlung Pescatore (1848) als Wandbild für ein Fotoshooting her. Davor kann man sich – wie in der letzten Auflage eines Museums für alle – wieder Federhüte aufsetzen oder Mühlsteinkragen anlegen, in Szene setzen und Polaroid-Bilder im „tableau vivant“ machen.
Multimedia-Stationen locken im Untergeschoss mit Filmen und Hörbeiträgen (eingesprochen auf Französisch, Deutsch und Englisch) über die venezianischen Tableaus des Canaletto. Im nächsten Raum ist die Bronze-Skulptur eines kokett-schmollenden Mädchens so arrangiert, das sie von den weißen Büsten der Herren Petrarca, Dante und Tasso angestarrt wird.
Schmunzeln lassen einen auch zwei Gemälde mit Mönchsmotiven: ein vergnügter (von Frantz Seimetz, 1858-1934) und ein zorniger Ordensmann. Das Motiv des erzürnten ist angelehnt an das Gedicht von Lord Byron Der Gjaur, das im Grunde neben der Darstellung Ary Scheffers (Sammlung Pescatore von 1832) stehen sollte, so ließen sich die darin aufgeworfenen Fragen der gegensätzlichen Vorstellungen von Liebe, Tod und Bestrafung im Christentum und im Islam besser verstehen. Als Eye-Catcher wirkt auch der Kontrast zweier Werke der „Musik in der Malerei“. Ein Gemälde von Cornelius Bega (von 1662) wird hier einer Arbeit des Grafikdesigners Paul Kirps HiFi 80 (2012) gegenübergestellt: eine nostalgische Hommage an Hifi-Geräte und Kassetten und ein Abgesang auf die heute „retro“ wirkenden technischen Errungenschaften unseres Jahrhunderts.
So gelingt es den Kuratoren, die eigene Sammlung mit einem Augenzwinkern zu präsentieren. Die Ausstellung geht souverän mit Widersprüchen um, stellt fantasievoll und verspielt Gegensätze heraus. Eine, wenn auch nur ansatzweise barrierefreie, so doch gelungene Schau, die durch das Herausstellen absurder Kontraste Lust darauf macht, die Sammlungen zu erkunden. Und: ein didaktisch gelungener Coup! Wenn sich Kunst nicht so vermitteln lässt, wie dann?