Getrocknete Frösche und mumifizierte Kaninchen, Knochen, Hühnerfüße und Puppen, Organisches, das mit Mechanischem zu bizarren Arrangements kombiniert wird. Die Retrospektive Les univers photographiques de Michel Medinger im Düdelinger CNA wirkt zunächst wie ein fotografisches Kuriositätenkabinett.
Bei genauerem Hinsehen sind in der Motivik der Stillleben Bezüge zur Malerei unverkennbar. Wie der 77-Jährige beim Gang durch die Ausstellung erklärt, beschäftigte sich sein Vater, ein „Sonntagsmaler“, intensiv mit Malerei und fertigte für Freunde und Bekannte Kopien der Bilder alter Meister an, was großen Eindruck auf den Sohn machte.
Fotografien aus dem Jahr 1980 zeigen eine Draufsicht auf die Schubladen des Vaters, gefüllt mit verschiedensten Werkzeugen, Haken, Schrauben und anderen Kleinteilen. Medinger erklärt, welche Faszination der Inhalt dieser Schubladen auf ihn ausübte. Betrachtet man seine Stillleben aus den 80-er Jahren, die als Frontalansicht in vertikal aufgestellte Kästen umgesetzt sind, so wird dieser Einfluss überaus deutlich. Statt unsortierter Werkzeuge finden sich nun tote Vögel, welke Blumen zusammen mit unterschiedlichsten Eisenwaren in den Kästen; ein blütenbedeckter Schädel einer Ziege wird links und rechts von identischen Laborgläsern eingerahmt. Wie Medinger unterstreicht, sind gerade diese frühen Stillleben geprägt von einer „katholischen“ Symmetrie, „wie der Aufbau einer Kirche“, die dem Fotografen bald zu einfach und gefällig erschien.
Auch die Kästen fand Medinger mit der Zeit zu limitierend, da sie wenig Spielraum zur nuancierten Ausleuchtung der Motive ließen. So zeigt seine Fotografie Jeu d’ombre, vom Kasten befreit, ein ausgetrocknetes, grotesk verzerrtes Kaninchen an einem Holzgerüst. Die seitliche Beleuchtung wirft einerseits einen Schatten, der nicht minder bizarr wirkt, andererseits wird so die ledrig-pergamentartige Textur der Mumie hervorgehoben. Das Morbide, so Medinger, sei einerseits dem Einfluss der holländischen Malerei geschuldet, andererseits aber auch seiner Faszination für „kaputte Vögel“. Dementsprechend finden sich auch religiöse Motive, wie eine auf Holz montierte Eule – ein Straßenfund, noch immer im Besitz des Fotografen – deren gespreizte Flügel auf die Kreuzigung anspielen.
Medinger verfügt inzwischen über ein beachtliches Inventar an organischen und anorganischen Objekten, eine verwachsene Möhre mit überschlagenen „Beinen“, Tierschädel oder eine antike petroleumbetriebene „Taschenlampe“.
Medinger erklärt, dass er im Unterschied zur Malerei, wo Dimensionen und Formen angepasst werden können, „mit dem arbeiten muss, was ich real vor mir habe. Oft habe ich eine Idee und merke dann bei der Umsetzung, dass es nicht ganz funktioniert. Manchmal vergehen dann vierzehn Tage, in denen ich immer wieder etwas ändere, bis ich zufrieden bin.“
Gestaltung und Kombination erfolgen somit keineswegs beliebig, oft mit angenehm ironischen Anspielungen. Die Dreifaltigkeit, dargestellt durch eine Jesusbüste mit Öldose („3-EN-UN“) vor dem Herz oder einer im Weihwasser ertrunkenen Puppe (Medinger: „Unfälle können ja überall passieren“) bezeugen dies ebenso wie sein Ballett aus Froschschenkeln oder ein Totenkopf mit Augenklappe. Humor präge seine Arbeit sehr, so Medinger, schon als Kind habe er gerne die Cartoons aus dem New Yorker und Paris Match gelesen und gesammelt. Ebenso oft finden sich sexuell konnotierte Motive, in denen etwa phallisch geformte Schrauben mit Blüten inszeniert werden oder zugeschnürte lederne Nähte von Sportzubehör deutliche Assoziationen nahelegen.
Mit dem Sport behandelt Medinger, der wie sein Vater bereits bei einer Olympiade antrat, eine dezidiert biografische Thematik. Ein Bild mit dem Titel Michel Medinger sen. et jr. zeigt die Laufschuhe von Vater und Sohn vom selben Haken hängend und steht somit auch für das zwischenmenschliche Verhältnis. In diesen neueren, vergleichsweise minimalistischen Aufnahmen, die wie Katalogbilder bis zur Perfektion ausbelichtet sind, sind unter anderem der Fahrradsattel von Nicolas Frantz und die Laufschuhe von Josy Barthel zu sehen, deren Spikes gleichsam einem Krokodilmaul auseinanderklaffen.
Was im zweiten Teil der Ausstellung ebenfalls deutlich wird – nicht zuletzt dank des Raumes, der mit Romain Girtgens lebensgroßen Fotografien von Medingers Dunkelkammer tapeziert ist – ist die Faszination des Fotografen für verschiedenste, oft historisierende Prozeduren wie Cyanotypie, in der er mit Selen- oder Uranylnitrat experimentierte. Neben Cibachrome hatte er bis zum Konkurs des Herstellers eine Vorliebe für bis zu 50 mal 60 Zentimeter große Polaroids, so ist denn auch eines seiner Bilder Teil der offiziellen Polaroid-Kollektion. Wie Medinger betont, geht es nicht zuletzt darum, dem Betrachter den umfangreichen Prozess zu verdeutlichen, an dessen Ende das fertige Bild steht.