Es sind nur ein paar Straßen, aber für die Bling-Branche ist Antwerpen das Zentrum des Universums: In dem Viertel zwischen Centraal Station und Stadspark werden mehr als 80 Prozent aller Rohdiamanten und die Hälfte aller geschliffenen Diamanten gehandelt. Praktisch jeder Diamant kommt mindestens einmal hier durch, wo an einem gewöhnlichen Werktag Edelsteine für mehr als
200 Millionen US-Dollar den Besitzer wechseln.
Obwohl man vermuten könnte, dass Alternativen zu Papiergeld sehr gefragt sind, laufen die Geschäfte nicht mehr so gut: Die mehr als 1 500 Firmen im Diamantkwartier setzten früher über 55 Mil-
liarden US-Dollar um, vor allem an den vier Börsen. Im Jahr 2017 waren es 46 Milliarden, zwei weniger als im Jahr zuvor.
Der Verband AWDC klagt über die „Konkurrenz anderer Luxusgüter, etwa Reisen und Technologie“. Trotzdem ballt sich auf dem einen Quadratkilometer rund um Schup- und Rijfstraat immer noch eine der größten Reichtums-Konzentrationen der Welt. Es ist auch eine der hässlichsten. Jedenfalls gibt es dort für Touristen außer grauen Bürosilos, Sicherheitssperren, mehr als 2 000 Überwachungskameras und einer sephardischen Synagoge nicht viel zu sehen.
Dass ihr Habitat so dröge ist, wird von den Diamanten-Händlern durchaus als Manko empfunden. Immerhin werben sie mit Schönheit und Träumen. Außerdem sind in den letzten Jahren aufregende Städte ins Geschäft mit Glitzersteinen eingestiegen: Dubai, Hongkong, Tel Aviv, Mumbai und – besonders schmerzlich – auch Erzfeind Amsterdam. Da will Antwerpen nun punkten und prunken mit seiner Geschichte, die kein Wettbewerber kopieren kann.
Ab Oktober 2017 wurde ein „Diamanten-Jahr“ gefeiert: „Antwerpen – 570 Jahre Diamanten-Hauptstadt“. Der Anlass dafür wurde nur nebenbei erwähnt. Ein Verkaufsverbot für falsche Edelsteine aus dem Jahr 1447, das unlängst im Stadtarchiv unter „Insolvente Boedels“ gefunden wurde, ist vielleicht nicht so werbewirksam. Lieber wurde an das „Goldene Zeitalter“ erinnert, als aus Indien die ersten Diamanten an die Schelde kamen.
Höhepunkt und Abschluss des recht kurzen Jubeljahrs war Anfang Mai die Eröffnungsparty für Diva: 57 Stunden lang, eine Stunde für jede Facette eines Brillanten. Seit dem Umzug des Ethnografischen Museums in den Mas-Turm hatten gleich hinter dem Rathaus, weit weg vom Diamantenviertel, zwei stattliche Gebäude aus dem 15. Jahrhundert leergestanden. Sie wurden von der Provinz Antwerpen für 20 Millionen Euro gekauft und umgebaut. Das neue „Diamantenmuseum mit einem Herz für Silber“ vereint jetzt eine Vorgänger-Sammlung, die 2012 am Astridplein geschlossen wurde, und das ehemalige Silbermuseum, das bis 2014 in Schloss Sterckshof zu sehen war.
„Wir haben nicht die größten Diamanten der Welt, nicht die bekanntesten Juwelen – dafür muss man nach London gehen“, sagt Diva-Direktor Jeroen Martens. „Aber wir haben einige der interessantesten Geschichten zu erzählen. Wir wollten eine vielschichtige, menschliche Erfahrung für ein sehr breites Publikum schaffen, nicht nur für Kulturliebhaber oder Spezialisten.“ Auf zwei Stockwerken mit 550 Quadratmetern präsentiert Diva nun rund 600 ausgesucht schöne Objekte.
Durch das Haus führt Audio-Butler Jérome, den Frank Van Laecke geschaffen hat. Der Regisseur, den Wikipedia „Gottvater des flämischen Musicals“ nennt, hat auch Kurzgeschichten verfasst, die Exponate zum Beispiel mit dem Leben eines jüdischen Händlers im 16. Jahrhundert oder einer Kurtisane verknüpfen. Zu hören sind sie auf Holländisch, Französisch und Englisch; weitere Sprachen sind noch in Vorbereitung. Texte gibt es in der Ausstellung kaum. Wer mehr zu Highlights wie dem „Eulenbecher“ oder der „Pfauenbrosche“ wissen will, kann ausführlicher im Internet nachlesen.
Den ersten Raum hat der Designer Gert Voorjans als „Wunderkammer“ mit Preziosen, Kuriosa und Exotika gefüllt. Die übrigen fünf Säle hat die Bühnenbildnerin Carla Janssen-Höfelt inszeniert: Das „Atelier“ informiert zu edlen Materialien und ihrer Verarbeitung. Im „Handelsraum“ ist zu erfahren, dass Diamanten heute meist aus Afrika oder Kanada kommen. Themen wie Belgisch-Kongo, Sklaverei oder Kriege werden dabei nur sehr dezent angesprochen. Im „Speisesaal“ funkelt Silbergeschirr. Im „Tresor“ wird versichert, in Antwerpen müsse man sich keine Sorgen oder Hoffnungen über Geldwäsche, Blut- oder Fake-Diamanten machen. Zum Schluss ist ein „Boudoir“ im Art-Déco-Stil zu entdecken.
Außer der Dauerausstellung sind ein Museumsshop und ein Juwelierladen bereits geöffnet; sie sollen besonders für Nachwuchsdesigner eine Plattform sein. Ab 9. Juli werden Kunstschmiede-Workshops angeboten, auch für Anfänger. Eine große Spezialbibliothek, Forschungsabteilung, Konservierungslabor und Restaurierungswerkstatt sollen ab Herbst zugänglich sein. Als „Wissenszentrum“ hat Diva den „ehrgeizigen Plan, auf dem Gebiet der Diamanten, Juwelen und Edelschmiedekunst eine Autorität in Flandern und den Beneluxländern zu werden“. Diva wird die Kreativindustrie in Antwerpen inspirieren, hoffen Stadt, Provinz und Edelsteinhändler. Sie planen jetzt sogar, das triste Diamantenviertel „etwas aufzupolieren“. Vorerst wird dabei an eher preiswerte Graffiti gedacht.