Eigentlich sollte James Bond Krisen ja gewohnt sein, sie sind immerhin sein Arbeitsgebiet. Aber die aktuelle Corona-Pandemie setzt ihm immer noch zu. Erneut wurde der Kinostart von No Time to Die verschoben, nun vorerst auf April 2021, aber auch dieses Datum ist keinesfalls gesichert. Eine Vermarktung über Streaming-Dienste wurde abgelehnt, was die Antizipation, aber auch den Frust beim Publikum immer weiter steigert – schließlich ist keine andere Filmreihe älter als die um den britischen Spion. Im Grunde jedoch liegt diese Agenten-Krise in der Serie selbst. Um sie besser zu begreifen, müssen wir zu den Anfängen zurück: Mit Dr. No begann 1962 die erste Mission des Doppel-Null-Agenten und eröffnete ein Franchise, das nunmehr fünfundzwanzig Filme umfasst. Für diesen dauerhaften Erfolg gibt es freilich gute Gründe: Immer wieder ist in Bezug auf die Serie von der „Bond-Formel“ die Rede, die seit jeher auf einer Logik des „continuity and change“1 aufgebaut ist. Bewährte Muster der Serie werden von Film zu Film wiederholt, die jeweiligen Missionen werden aber an das gerade vorherrschende weltpolitische Klima angepasst. So stehen die Bond-Filme immer in einem zeitgeschichtlichen Rahmen, der bis zu A View to a Kill (1985) noch der Kalte Krieg war. Sie spielten zunächst in einer zweigeteilten Welt, das politische Weltklima wurde so in beinah allen Filmen implizit oder explizit mitgeführt. Ob nun Dr. No oder der übergierige Goldfinger versucht, ein weltwirtschaftliches Chaos zwischen Westen und Osten auszulösen – Bond springt immer ein, wenn die Welt am Abgrund steht, ein wahrer „Agent des Zeitgeistes.“1
Ohne Distanz qua Ironisierung hätte diese von Ian Fleming geschaffene Romanfigur aber überhaupt nicht auf die Leinwand gebracht werden können. Sie gründet explizit auf der Erfindung eines übermenschlichen Typs – und der kürzlich verstorbene Sean Connery verkörperte diesen Übermenschen geradezu paradigmatisch mit einer Mischung aus Virilität, Eleganz, Coolness und Arroganz. Raymond Chandler soll gesagt haben: „Every man wants to be James Bond and every woman wants to be with him.“ Man beachte, dass zu Beginn bei der Titel-Eröffnungsmontage eines jeden Films aus der Distanz nur die Silhouette des Mannes zu sehen ist, man konnte sich sozusagen in James Bond hineinträumen. Genügend Identifikationspotenzial ist rein oberflächlich – wenngleich der Mann einen nicht ganz bescheidenen Lebensstil pflegt – gegeben (man denke an den Aston Martin, die maßgeschneiderten Anzüge, die Rolex-Armbanduhr ...). Dass die Bond-Welt aber eine zutiefst filmische ist, die absolut keine Analogie zur Wirklichkeit hat, war immer schon ein Erfolgsgarant der Serie. Daraus ergibt sich ein hochartifizielles, konstruiertes Schema, eben die Formel, die zur conditio sine qua non für einen gelungenen Bond-Film wurde. Dazu gehört die Entgegennahme einer neuen Mission durch Bond in Ms Büro, der obligatorische Flirt mit Sekretärin Moneypenny, danach noch der Besuch bei Q, der die nötige Ausrüstung zur Verfügung stellt, und das Abenteuer kann beginnen. Ja, es ist bezeichnend, dass Bond einfach in Ms Büro auftauchte; er ist ein Mann ohne Ursprung, der dann auf den Plan tritt, wenn die Welt ihn mal wieder braucht. Allerdings ist mit dem Mauerfall 1989 und der endgültigen Auflösung der Sowjetunion 1991 auch Bonds „Lizenz zum Töten“, ja seine Existenz nicht mehr legitimiert. Und war der James Bond der 1960er ein freimütiger Chauvinist, darf der von heute das nicht mehr sein. Am Ende dieses Jahrzehnts gerät der Agent der Leinwand folglich in seine ganz persönliche Sinnkrise, von der er sich bis heute nicht erholt hat.
Nicht umsonst eröffnet Rob Cohen seinen Spionagethriller xXx – Triple X (2002) so: Ein Mann, auffallend gut gekleidet in perfekt sitzendem Anzug, hetzt durch die dunklen Straßen Moskaus. Er ist auf der Flucht vor russischen Auftragskillern. Er glaubt sich in einen Nachtclub retten zu können, in der gerade die deutsche Band Rammstein ihren Titel „Feuer Frei!“ spielt. Hilflos durch die Publikumsmenge eilend, wird der Mann von den russischen Schergen tödlich getroffen. Es ist zwar nicht Sean Connery, Roger Moore oder Pierce Brosnan, den wir da sehen, aber natürlich wissen wir, wer damit gemeint ist. Die Botschaft ist unmissverständlich: Bond ist out, der Actionheld von heute muss härter sein, ja er muss geradezu zur martialischen Musik von Rammstein funktionieren. Es beginnt denn zunehmend der Aufmarsch neuer Action-Helden: Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger, Vin Diesel. Plötzlich genügt dem Actionhelden die narzisstische Präsentation des Männerkörpers, der selbst zur Waffe wird. Neue Agenten hat das Kino dann in der Figur des Ethan Hunt (Tom Cruise) in Mission Impossible oder Jason Bourne (Matt Damon) in der gleichnamigen Reihe gefunden. Beide teilen ihren Sinn für Solidarität gegenüber ihren Mitmenschen, pflegen Beziehungen, ja wünschen sich ein ganz und gar bürgerliches Leben – irgendwie sind sie Agenten wie du und ich. Um nun der Sinnkrise des britischen Agenten Mitte der 2000er-Jahre entgegenzuwirken, wurde eine Neuorientierung aus beiden Tendenzen nötig. James Bond wird den neuen Verhältnissen angepasst; einerseits durch körperbetonte Härte und andererseits, da liegt die Krux, wird er zum Menschen.
Damit sind wir im Problemkreis der neueren Bond-Filme angelangt: Die Filme mit Daniel Craig geben Bond eine Vergangenheit mit dazugehörigem psychologischem Profil. Sie machen ihn angreifbar, ja verletzbar – körperlich wie emotional. So lernt der Superagent etwas, das ihm bis dahin nicht bekannt schien: Er lernt zu leiden. Nun sind die Filme um den „Menschen Bond“ herum gestrickt und müssen so stets einen narrativen Zusammenhang wahren, den sie vorher nie hatten. Aus diesem selbstauferlegten Zwang unternahmen die Macher von Casino Royale den Versuch, Bonds Lebensweise gleichsam über den Verlust von Vesper Lindt herzuleiten. Skyfall (2012) stellt explizit eine Reise in Bonds Vergangenheit an und thematisiert seine Kindheit bei den Adoptiveltern. Aber es ist insbesondere Spectre, der nachdrücklich darauf besteht, dass die vorherigen Bond-Filme mit Daniel Craig in einer gemeinsamen narrativen Konstellation zu sehen seien: Blofeld, der eifersüchtige und missratene Ziehbruder, ist der für Bonds Qualen seit Casino Royale Verantwortliche.
Diese Durchpsychologisierung Bonds von Film zu Film ist unnötig, redundant und muss ins Leere gehen, weil Bond nie Mensch war. Wer keinen Anfang hat, hat auch kein Ende – Bond war zeitlos und damit unsterblich. Denn: Wer sich derart grazil über nun gut sechzig Jahre hinweg am Puls der Zeit bewegt, muss Wandlungsfähigkeit beweisen, darf nie zu greifbar werden. Was am Schluss von Spectre noch wie die narrative Endsetzung (Bond fährt zusammen mit seiner neuen Liebe Madeleine im Aston Martin davon), wie ein Happy end anmutete, ist per se eine leere Geste. In dieser Hinsicht sind der Trailer sowie der Titelsong von Billie Eilish zu No Time To Die vielsagend: Diese Madeleine Swann hat Bond verraten, möglicherweise sogar für eigene Zwecke missbraucht. Wie viel seelisches Leid muss der Agent noch ertragen, bis er wieder frei von jeglichen menschlichen Gefühlslagen zur Unsterblichkeit zurückfinden kann?
Der Versuch, Bond in No Time To Die nun als Frau neu zu denken, ist nicht nur der letzte etwas unbeholfen wirkende Ausdruck dieser erzählerischen Sackgasse. Er ist auch als ein postmodernistischer feministischer Versuch zu lesen, die Geschlechterquote ins Gleichgewicht zu bringen. Hier stoßen zwei grundverschiedene Positionen aufeinander: Zum einen die konservativ geprägte Haltung, die Bond als den Mann bewahren möchte, den Ian Fleming einst schuf und der so tief mit der britischen Identität und Kultur verwoben ist. Zum anderen eine pseudofeministische, die glaubt, mit einem weiblichen Agenten ein progressives Frauenbild zu propagieren, dafür aber meint, die Figur zunächst einem regelrechten Ikonoklasmus zuführen zu müssen. Egal wie sich diese Umbruchsversuche auch entwickeln mögen, die Langlebigkeit und Faszination für das immer noch erfolgreiche Franchise sind unumstritten.