„In jedem Moment verhandeln die Performer das Verhältnis neu zwischen Individualität und Gruppe, zwischen Abstand und Nähe und zwischen alleine und zusammen, sodass ein sich ständig in Bewegung befindliches Miteinander, ohne feste Hierarchien oder Positionen entsteht.“ Diese Zeilen sind dem Programmblatt entnommen, das dem Publikum eine textliche Orientierung bieten soll, um sich in Never-ending up North der Choreografin Anne-Mareike Hess zurechtzufinden. Von einer Reise auf die norwegische Inselgruppe der Lofoten habe sie sich inspirieren lassen, um diese in grelles Weiß eingetauchte Kulisse, auf deren Boden sich eine quadratische Fläche in dunklem Grün ausbreitet, mit Bewegung und Ton zu beleben.
In der Tat vermag der Zuschauer den körperlichen Ausdrucksformen gegenseitiger Abgrenzung und Verschmelzung, Anfeindung und Annäherung der jungen Tänzerinnen Malin Astner, Rosalind Goldberg, Sandra Lolax und ihren beiden männlichen Kollegen Marc Lohr und Markus Personen zu folgen. Jeder Körper scheint sich zugleich aus seinem unsichtbaren Gefängnis befreien zu wollen. In der Tat werden diese Bewegungsabläufe von bizarr ertönenden Klängen untermalt. Verzerrte, gezupfte und mit Geigenbogen gestrichene E-Gitarren-Sounds, Töne einer Art Fingerboard und weitere Instrumente vermischen sich in psychedelischer Weise mit der körpersprachlichen Expressivität.
In der Tat.
Was bei dieser Darstellung jedoch fehlt, ist die Kritik, die artikuliert werden darf, wenn der Geduldsfaden reißt, wenn der Zuschauer sich eingesteht, dass nicht alles, was Kunst sein will, auch zwingend Kunst sein muss. Auch auf die Gefahr hin, dem Universalvorwurf des Banausentums ausgesetzt zu sein, darf man Nein sagen, wenn Tanz nur noch Verrenkung, Winden, Zucken ist. Man darf zudem Nein sagen, wenn Musik zu einem ohrenbetäubenden Lärm verkommt, der nicht nur gesundheitsschädlich ist, weil das Trommelfell gegen die Baustellen-Harmonie rebelliert, sondern vor allem dem Ende hin nur noch als Geknirsche zu vernehmen ist. Mit expressionistischer Ästhetik des Hässlichen lässt sich das kaum erklären. Man sah den Tänzern die Anstrengung in ihren Gesichtern an. Physisch stand ihre Leistung also außer Frage. Anstrengung machte sich jedoch auch im Publikum breit. Vom Stirnrunzeln, einem hektischen Blick auf die Uhr bis hin zu tiefem Durchatmen war alles zu beobachten. Zaghafter Applaus ging nach zähen 60 Minuten Performance einher mit – zugegeben – vereinzelten positiven Zurufen.
Kein Zuschauer muss konservativ gestimmt sein, um dieser Darbietung mit Stirnrunzeln zu begegnen. Man darf zu seinem Verdruss stehen. Kunst, die provokante Fragen aufwirft, aber keine Antworten bietet, kann spannend und notwendig sein. Kunst, die nur noch provoziert und in ihrer Zumutbarkeit in Frage zu stellen ist, bleibt kindisch.