Hedda Gabler ist jung. Ihr Umfeld gestaltet sie nach dem Grundprinzip der Spaßgesellschaft. Verantwortung? „So etwas liegt mir nicht, Verantwortung.“ Ihr frisch getrauter Ehemann? Jørn Tesman ist intellektuell, gutmütig, naiv und eine Professur an einer ausländischen Universität ist ihm in Aussicht gestellt. Ihre Vergangenheit? Sie ist der Spross des steinreichen General Gabler, wurde aristokratisch erzogen. Eines Tages jedoch stellte sie fest, sie habe sich „müde getanzt. Meine Zeit war um“. Schnell wird Hedda verstehen, dass die beruflichen Perspektiven ihres Versorgers Tesman wanken. Die Geister der Vergangenheit eines Lebens in Spannung, Spiel und Spaß holen sie in Gestalt des Ejlert Løvborg ein, der seinerzeit die fröhlichen Seiten des Lebens zu genießen pflegte und heute, so scheint es, zu jenen wissenschaftlichen Bestsellern fähig ist, die Tesman in endloser Archivarbeit und dem Chaos seines Zettelsalats zum Wunschtraum verkommen lässt. Das Aufeinandertreffen dieser Protagonisten endet in einem aus verbaler Auseinandersetzung und Aufsetzen von Gesellschaftsmasken erwachsenen Szenenstrang, der letztlich der Nährboden für das handfest Tragische ist.
Auch wenn Richter Brack die Komik der Premiere von Klaus Weise im Théâtre National du Luxembourg überstrapaziert, indem er etwa berichtet, am Abend seines Junggesellenabschieds sei der Zutritt zum Bordell nur für „Mit-Glieder“ bestimmt gewesen, so wirkt die Regiearbeit in dieser Koproduktion von Theater Bonn und TNL durchaus ausgeglichen. Weise schöpft sowohl die Komik der ersten Akte als auch die Tragik der letzten aus und bietet mit Ibsens Hedda Gabler ein in mehrfacher Hinsicht abwechslungsreiches Trauerspiel.
Das gesamte Drama spielt sich im anfangs noch von Umzugskisten und riesigen, kaltweißen, leeren Bibliothekswänden umgebenen Wohnzimmer der Tesmans ab. Später finden wir einen Wohnraum vor, dessen Bibliothek vom realitätsfernen Intellekt des Hausherrn nur geringfügig gefüllt, dessen Mobiliar so kalt wie das Gesicht der Hedda Gabler wirkt. Nur draußen, hinter diesen Wänden, in Korridoren, die dem warmen Klang eines Klaviers Raum bieten, nur dort ist die Mauer zwar unbeholfen, aber immerhin bunt gestrichen.
Beachtlich wirkt die Eingangssequenz, in der Hedda Gabler zuerst mit den Berichten von Tante Juliane und Jørn Tesman gleichsam befremdlich mystifiziert wird, sie anschließend wie ein Deus ex Machina grell beleuchtet, in knallgelbem Kleid, mit trügerischem Engelshaar und dem so wirkungsvoll eisigen Blick wie eine Rachegöttin herabsteigt. Später werden die Protagonisten ihres Umfelds ihre Fassade bloßstellen und die Bibliotheksregale mit bizarren Masken emporsteigen. Macht wird so zur Ohnmacht.
Die Spannung der gesamten Inszenierung wird sicherlich auch von einem Ensemble getragen, in das sich jeder Darsteller bescheiden einfügt. Sei es Germain Wagner als leicht bübischer Tesman, sei es der charmant-ironische Blick Wolfgang Maria Bauers, sei es die berechnende Selbstsucht, die Katharina von Bock so beherrscht einsetzt. Während der Premiere tut sich jedoch kaum jemand so hervor wie Ralf Drexler als undurchsichtiger, die Handlung teils dominierender, im Nachhinein jedoch mental zerrütteter Ejlert Løvborg. Seine minimalistische, erschreckend authentische Mimik und Körperhaltung vermeiden jeden theatralischen Verfremdungseffekt. Es scheint, als sei er angesichts des Publikumsapplauses am Ende der Vorstellung noch völlig in seiner Rolle eingeigelt. Während das Ensemble die positive Reaktion des Publikums noch sichtlich genießt, wirkt sein Gesicht, mit Theaterblut noch von den Spuren seines Selbstmordes gezeichnet, geprägt von der Endzeitstimmung seines Alias. Nicht nur die Figur der Handlung, sondern auch die Expressivität der Darstellung liefert der gesamten Produktion eine neue Intensität.
Der Sparte Phrasenschwein sei die Überlegung gewidmet, ob jede Kette tatsächlich nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied. Im Fach der Mechanik mag dies der Fall sein. Ob dies aber auch für die bei Weise nicht nur sprachlich aktualisierte Hedda Gabler gilt? Die Nebenfigur Charity, bei Ibsen noch brav als „Berta, Dienstmädchen bei den Tesmans“ eingeführt, wirkt bei Weise wie ein in seiner Dümmlichkeit hochstilisiertes IT-Girl. Sie trägt das kurze Pinke, Afro-Party-Look und trippelt und trappelt über die Bühne wie ein Backfisch, dem die Peinlichkeit und Unbeholfenheit des eigenen Auftretens jede Nanosekunde bewusst ist. Charity, gespielt von dem ghanesischen Model Charity Laufer, ist schön, ja bildhübsch. Die Neuinterpretation von Ibsens Dienstmädchen und vor allem die Darstellung sind jedoch gleichermaßen für den Müll, nervtötend. Die restlichen Glieder sind stark und so auch die gesamte Kette. Nur Weise weiß, was er mit diesem so schwachen Glied beabsichtigt hat.