Autos auf unseren Straßen

Der Diesel-Boom

d'Lëtzebuerger Land du 10.06.2010

Es gibt Neuigkeiten aus der heimischen Autowelt. Jüngsten Zahlen der Kontrollgesellschaft SNCT nach sind in Luxemburg derzeit mehr diesel- als benzingetriebene PKWs zugelassen.

Umweltschützer müsste das freuen. Stößt ein Diesel doch sieben bis acht Prozent weniger CO2 aus als ein vergleichbarer Ottomotor. Und wer sich auf der Webseite oekotopten.lu umschaut, dem Einkaufs-Ratgeber, der auch vom Mouvement écologique unterstützt wird, der erhält dort vom kleinen Stadtwagen à la Toyota iQ bis zur oberen Mittelklasse à la 5-er BMW nur 30 Benziner, aber 108 Dieselmodelle empfohlen.

Der Diesel-Boom scheint auch eine Bestätigung der CO2-abhängigen KFZ-Steuer zu sein, die Anfang 2007 in Kraft trat, und der CO2-gestaffelten Verschrottungsprämie, die die damalige Regierung gerade rechtzeitig zum Autofestival 2009 in Kraft setzte: Unter den neu zugelassenen PKWs dominieren die Diesel schon seit zehn Jahren. Am 1. Januar 2009 aber zählte das Statistikamt Statec noch 107 375 Benzin- und 92 233 Diesel-PKWs im landesweiten Fuhrpark. Dagegen stehen nun laut SNCT 103 903 Benziner 106 325 Dieselautos gegenüber. Es könnte eine Austauschbewegung hin zum CO2-ärmeren Diesel gegeben haben. Vielleicht, weil nach dem 31. Juli mit der Verschrottungsprämie unwiderruflich Schluss ist.

Doch dass der Diesel-Boom positiv ist für Mensch und Natur, ist alles andere als sicher. Eine Studie der University of British Columbia im kanadischen Vancouver wandte sich vor vier Jahren der Lage in Großbritannien zu, das 2001 als einer der ersten EU-Staaten eine CO2-abhängige KFZ-Steuer eingeführt hatte. Die Steuer habe geholfen, schon bis 2005 den Diesel-Anteil am britischen Fuhrpark um 21 Prozent zu steigern. Ginge das so weiter, ließen sich bis 2020 sieben Megatonnen CO2 einsparen, kalkulierten die kanadischen Forscher. Im Gegenzug aber müsse man mit zwölf Kilotonnen zusätzlicher Feinstaub-Emissionen aus Dieselmotoren rechnen, die Jahr für Jahr 90 zusätzliche Todesfälle verursachen würden1.

Der Feinstaub also. Von ihm stoßen Diesel rund hundert Mal mehr aus als Ottomotoren, weil der Dieselsprit erst unmittelbar vor der Zündung in den Zylinder kommt. Dadurch hat er weniger Zeit, sich im Brennraum zu verteilen, was zu ungleichmäßigerer Verbrennung, rauerem Lauf und ­höheren Feinstaub- und Stickoxidwerten führt.

In Luxemburg war Feinstaub vor vier, fünf Jahren ein Thema, als die EU über Grenwerte diskutierte und über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, die nicht den einschlägigen Euro-Abgasnormen genügen, weil ihnen ein Feinstaub-Partikelfilter fehlt. Nach jüngsten Daten der Umweltverwaltung für 2009 scheint hierzulande das Feinstaubproblem nicht groß – obwohl mit 680 Autos pro 1 000 Einwohner die Fahrzeugdichte die dritthöchste der Welt ist und nur noch in Monaco und Gibraltar übertroffen wird2: Zwischen 2006 und 2009 wurde an den fünf ständigen Messstellen im Land an höchstens 13 Tagen im Jahr der geltende Feinstaub-Grenzwert überschritten3. Zulässig sind 35 Überschreitungen, sagt eine EU-Richtlinie.

Das Problem ist nur, dass bislang vor allem die Masse an Feinstaub gemessen wird, der kleiner ist als zehn Mikrometer. Diese Partikel durch Filter quasi vollständig zurückhalten zu können, behauptet die Autoindustrie. Besonders gesundheitsgefährdend aber sind ultrafeine Stäube. Laut Weltgesundheitsorganisation sind Partikel von weniger als 2,5 Mikrometern Größe Lungenkrebs erregend4. Hier helfen offenbar technologische Verbesserungen nicht viel weiter: Eckard Helmers, Professor für Umweltforschung an der Fachhochschule Trier, schreibt, „dass durch die moderne Dieseltechnologie, genauer gesagt durch höhere, den Spritverbrauch reduzierende Einspritzdrücke sowie die Steuerung der Verbrennungsführung vermehrt kleinere Partikel entstehen“. Hinzu komme, „dass die Zahl von Kleinst­partikeln gerade durch die Filterung weiter zunehmen“ könne5.

In der EU müssen seit 2009 auch ultrafeine Stäube gemessen werden. Wie stark Luxemburg damit belastet ist, lässt sich noch nicht genau sagen. Die Messungen sind so neu, dass die Umweltverwaltung die Apparate an den zwei Messstellen, die es im ­Lande bisher gibt, noch nicht fertig auf „Hintergrundwerte“ abgeglichen hat. Was vorläufig gemessen wurde, ist nicht unbedingt Anlass zur Beruhigung: In Luxemburg-Bonneweg auf Höhe der Spuerkeess wurden im Jahresschnitt 19 Mikrogramm so winziger Stäube pro Kubikmeter Umgebungsluft erfasst. Gerade mal ein Mikrogramm weniger, als ab 1. Januar 2020 maximal zulässig sein soll6. Der für das Umweltressort zuständige delegierte Nachhaltigkeitsminister Marco Schank (CSV) nennt im Land-Gespräch den Feinstaub das „größte Problem“, wenn es um die Luftreinhaltung geht.

Unweigerlich drängt sich die Frage auf, weshalb der Diesel als besonders ökologisch gefördert wird, wenn er so problematisch ist. Benzinmotoren haben zwar einen rund doppelt so hohen Ausstoß an Kohlenmonoxid und geben mehr Kohlenwasserstoffe ab. Doch deren Wirkung haben Abgaskatalysatoren ab den Neunzigerjahren deutlich gesenkt. Diesel wiederum emittieren weitaus mehr Stickoxide (NOx); die im Herbst 2009 in Kraft getretene Euro-5-Norm gesteht ihnen bis 2013 zweieinhalb Mal höhere NOx-Emissionen zu als Benzinern. Der europäische NOx-Grenzwert in der Luft wird vor allem in Luxemburg-Stadt seit den Neunzigerjahren überschritten, Tendenz steigend. „Wir sind da jenseits von Gut und Böse“, sagt die hauptstädtische Umweltschöffin Viviane Loschetter (Grüne). Ab 2008 wurden an mehreren verkehrsreichen Straßen der Stadt neue Messstellen aufgebaut. Überall wurde das Limit drastisch überschritten: an Boulevard Royal und Route de Thionville um 15 Prozent, an der Escher Straße um 43 Prozent, am Pariser Platz, an der Avenue de la Liberté um 68 Prozent und an der Eicher Straße um 63 Prozent7. Stickoxide sind zwar nicht so gefährlich wie ultrafeiner Staub. Aber manche haben ein 300 Mal höheres Treibhauspotenzial als CO2. Und alle Stickoxide sind Vorläuferstoffe für bodennahes Ozon, den „Sommersmog“ – der vor allem Dieselfahrzeugen zugeschrieben werden kann.

All das war Regierung und Parlamentariern schon klar, als sie 2006 die neue Autosteuer entwarfen. Sie wird in erster Linie aus dem fahrzeugspezifischen CO2-Ausstoß berechnet. Ein Vorschlag der Grünen, auch NOx- und Feinstäube explizit zu besteuern, wurde nicht übernommen, doch eingeführt wurde ein Faktor b, der für Diesel-PKW mit 1,5, für alle anderen Antriebe mit 1 angesetzt wurde. Die 1,5 Mal höhere Steuer auf Dieselautos erlaube es „de rendre compte du fait que la plupart des véhicules actuellement en circulation émettent environ 10 fois plus d’oxydes d’azote que les véhicules à essence et, à défaut d’un filtre à particules, contribuent fortement à la pollution d’air“, schrieb die Regierung zur Begründung.

Doch dann folgte zur Beruhigung: „Malgré un coefficient ‚b‘ de 50% plus élevé pour le diesel que pour l’essence, le véhicule diesel reste ­attractif en raison de sa consommation plus faibles et des taux d’accises moins élevés sur le carburant. La pondération diesel-essence telle qu’elle existe dans le barème actuellement en vigueur ne sera pas affectée de manière substantielle par le nouveau systéme“8.

Es war die europäische Politik des „CO2 first“, der Regierung und Parlament damit folgten. Als es ab 1998 darum ging, die Autoindustrie zu Einschränkungen der CO2-Emissionen ihrer Neuwagen zu bewegen, war diese dazu nur mit ihrer Dieseltechnik bereit. Im Gegenzug wurden ihr auf EU-Ebene bis weit in die Zukunft hohe Emissionsgrenzwerte für Fein­staub und NOx gewährt: So wird erst die Euro-6-Norm ab 2014 das NOx-Limit für Diesel auf 80 Milligramm pro Kilometer in die Nähe des Grenzwerts für Benziner (70 mg/km) rücken.

Der Diesel-Boom, der von Faktor b in der Autosteuer-Formel ganz offensichtlich nicht beeinträchtigt wird, tut aber auch fiskalisch gut. Zwar werden drei Viertel des hierzulande verkauften Diesels von LKWs im Transit getankt. Aber wenn die Dieselakzisen schon niedrig gehalten werden, ist jeder zusätzliche heimische Diesel-PKW eine gute Nachricht für den Fiskus. Schon möglich, dass das gewollt war.

Besitzer von Diesel-PKWs und solche, die es werden möchten, sollten jedoch bedenken: Dieselantriebe sind nicht nur weniger umweltfreundlich, als der CO2-First-Ansatz von Politik oder Ratgebern wie oekotopten.lu suggeriert. Hinzu kommt, dass die Zukunft des Diesels nicht so sicher scheint: Bei Benzinern seien mittelfristig bis zu zehn Mal höhere Verbrauchssenkun-gen erreichbar als bei Dieselmotoren mit Partikelfilter, schreibt das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Folgenreich wäre das nicht zuletzt, da strengere NOx-Grenzwerte nicht ohne NOx-Katalysator eingehalten werden können. Partikelfilter und NOx-Katalysator zusammen könnten jedoch zu einem derartigen Kraftstoff-Mehrverbrauch führen, dass „insbesondere der klimarelevante Vorteil von Diesel-PKW gegenüber Benzin-PKW an Bedeutung verliert“9.

Nicht zuletzt wird hinter den Kulissen der europäischen Politik derzeit diskutiert, die niedrigere Akzisenbesteuerung von Diesel gegenüber Benzin, die es in vielen Staaten gibt, generell zu erhöhen. Das wäre zwar nicht im Sinne der Autoindustrie, aber im Interesse der Raffinerien: In der EU gibt es einen Benzinüberschuss und einen Dieselmangel. Da scheint es nur eine Frage der Zeit, bis Diesel, wie 2008 schon mal geschehen, teurer wird als Benzin und die Politik etwas ganz anderes empfiehlt.

1 New Scientist, 21.1.2007
2 Den Vergleich hat Anfang 2010 der Verband der deutschen Automobilindustrie veröffentlicht.
3 Jahresbericht 2009 des Nachhaltigkeitsministeriums, S. 175/176
4 Ostro, B., Outdoor Air Pollution, WHO, Environmental Burden of Disease Series, Nr. 5, 2004
5 Helmers, E., Die Kosten des Dieselbooms, Zeitschrift für Umweltchemie und Ökotoxikologie, 18 (1) 2006
6 Nachhaltigkeitsministerium, S. 167/168
7 Ville de Luxembourg, Rapport environnemental de l‘année 2010
8 Gesetzentwurf Nr. 5611 zum Tripartite-Gesetz 2006, S. 11-13
9 Schallaböck, K.-O., Klimawirksame Emissionen des PKW-Verkehrs und Bewertung von Minderungsstrategien, Reihe Wuppertal Spezial Nr. 34, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie 2006, S.57-60

Der Artikel kam zustande durch die Recherche-Mitarbeit von Michel Cames, Fischbach.
Peter Feist
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