Wo Arnhemland liegt, sollte uns eigentlich egal sein, irgendwo zwischen Meispelt, Hollenfels, Gunbalanya und Oenpelli, am Golf von Carpentaria. Lex Gillens Traumland wird bevölkert von arabischen Sängern, Meispelter Gitarristen, tibetanischen Sythesizer-Klängen. Seltsame Typen geistern darin herum, wie Yidumduma Bill Harney, Thierry Kinsch, Liz Berg oder Steve Shehan, oder Coco Richard Williams; man weiß zwar nicht was sie wollen oder einem sagen wollen, aber sie scheinen freundliche, sympathische Geister zu sein, denen es nichts ausmacht, wenn ein langer Typ vom, sagen wir mal, Anfang der Welt her ins Studio levitiert und mit seinem Didjeridoo herum nölt.
Diese CD ist Lex Gillens sehr persönliche Liebeserklärung an die Welt und die Musik, Weltmusik aus Mersch, wunderbar kitschig und originell, aufgebaut auf herrlich langgezogene Didj-Teppiche, die er mit gekonnter Zirkulartechnik so richtig schön in die Obertöne hineinwabern lässt. Im immer weiter werdenden Kreis der einheimischen Didjeridoo-Spieler ist Lex Gillen mit Sicherheit der technisch versierteste und der musikalisch einfallreichste. Er weiß, was man aus diesem aborigenen Alm-Horn herausholen kann, wie man sie baut, bearbeitet, sich seinen Traum damit erschafft. Wie gut Herr und Frau "Ich war schon ein Mensch, ehe ihr die Urzeit erfunden habt" einen Mann wie Lex Gillen in Australien finden, weiß ich nicht.
Es fällt mir auch schwer, seine Kunst zu vergleichen mit den abgefahrenen Sounds, die ein Paddy Fordham Wainburranga auf seiner Traumland-Wurzel in den Kosmos feuert. Aber irgendwie müssen sie ihn schon gemocht haben, als er in Australien auftauchte und mitspielen wollte, so etwas hört man.
Der jeder Mystik Abholde wird zwar bei dieser Produktion eher das Homerische genießen und sich eins feixen, wenn plötzlich ein dem heimischen Konservatorium entsprungenes Cello selig unter dem "Wallahhaaahhah-ogaagaa-a-da-da-humma-mani-jolloloo" des örtlichen Schamanen bauchtänzelt. Etwas weiter schreit das bedeutungsschwangere "Dulliöö-flütüüt" einer deutsche Geistigkeit furzenden Klarinette förmlich nach dem finalen Rettungsbumerang. Diesen Hilferuf übertönen aber Lex und Bernie mühelos mit Piano und Melodika. So grausam kann die Natur sein. Aber so sind sie eben, die Worlds von nebenan.
Nur der hoffnungslos bescheuerte Rationalist versucht zu verstehen, was ein Sänger, egal ob er Youssef Al Idrissi oder Roger Yilirama heisst, denn da so eigentlich ausdrücken wolle. Im Text liegt die Ratio, also der Untergang. Eine Übersetzung würde den schwarzen Dämonen des eiskalten Denkens die Pforten von "Heidi im Wunderland" gefährlich weit öffnen.
Dem echten World-Freak sind daher peinliche Sinnfragen fremd, weil sie eine peinvolle, da fundierte Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur, also das Ende eines freien, kreativen Prozesses bedeuten könnten. Solch ein flinker Sound-Tourist in Richtung Kitschinirwana ist Produzent Lex Gillen zwar sehr oft, aber nicht immer. Die üblichen, vielleicht unvermeidlichen "Wohlklang"-Schwadronagen verfremdet er und veredelt er durch spritzige, aufpeitschende rhythmische Einfälle, Gesprächsfetzen, überraschende Instrument-Kombinationen, bei denen dem Blasiertesten das Naserümpfen vergeht. Man braucht sich nur einen flippigen Track wie Saxdidj oder das phantastische Bill and Paddy anzuhören, sich von der immer intensiveren Sufi-Atmosphäre eines Stückes wie Awham packen zu lassen. Schon merkt man, dass hier eine großartige, sehr humane und konviviale Art Musik zu machen gesucht und gefunden wurde. Echte "Neue Musik" traumländisch bis tänzerisch, und trotz Klischees aufregend und global.
In dieser Musik gibt es keine großen Meister und Geister, keine "Gesetze" und Regeln, nur Freude, Talent und Freundlichkeit. Das große himmelblaue Känguru, das nachts auf der Hollenfelser Burg mit den Wichteln tanzt, hatte gestern eine Sonnenbrille auf.
Lex Gillen: Arnhelmland Stories; bekommt man in den Plattenläden oder bei Lex Gillen, 1, rue Jean Majerus; L-7555 Mersch, unter der Didjeridoo-Nummer 26 32 16 16; oder unter der Traumland-Mail: lex.gillen@gmx.net. Am Freitag, 29. März und am Samstag, 30 März 2002 um 20 Uhr spielen Lex Gillen und Luma Luma in der Kulturfabrik ; das Didjeridookonzert wird von Filmprojektionen über die Aboriginees aus dem Nordosten Australiens begleitet.