Nein, zufrieden ist er nicht. Sagt Nico Meisch aus dem Familienministerium kopfschüttelnd. Das Ziel, mittels der am 1. Januar 2009 eingeführten chèques services insbesondere sozial benachteiligten Kindern zu helfen, sei noch nicht erreicht. Man sei aber „auf dem richtigen Weg“.
Fast anderthalb Jahre nach ihrer Einführung wurden für 1 207 Kinder aus RMG-Haushalten und 415 Kinder mit Armutsrisiko die teilweise kostenlosen Dienstleistungsschecks beantragt. Ob sie auch eingelöst werden und wofür, ob zur Betreuung, für den Musikunterricht oder den Sportverein, wisse man noch nicht, so Patrick Hierthes aus dem Familienministerium. Für den Herbst plane man zusammen mit dem Syndicat intercommunal de ges-tion informatique (Sigi) eine Bestandsaufnahme, dann werde man auch die „politischen Ziele“ überprüfen. Eine Voreinschätzung ist aber möglich: Nimmt man die Zahl jener Kinder in Haushalten mit Mindesteinkommen (RMG) aus dem Jahr 2008, also rund 2 500, dann wurde für rund die Hälfte die Schecks beantragt. Ob das Glas halbvoll ist oder halbleer, kommt dabei auf den Standpunkt des Betrachters an. Dafür, dass die Regierung die chéques service vor allem mit der sozialen Kohäsion begründet hat, ist das vorläufige Ergebnis zumindest kein durchschlagender Erfolg.
Auf eine andere Frage, nämlich die nach der Frauenerwerbstätigkeit, hat Ceps/Instead eine Antwort – vorläufig, denn die zugrunde liegenden Daten von 2006/2007 stammen von vor dem großen Rush auf Betreuungsplätze. Klar scheint, dass Luxemburg die gleiche Entwicklung vollzieht, wie sie in anderen europäischen Ländern zu beobachten ist. Wo ausreichend Betreuungsplätze angeboten werden, ist auch die Frauenerwerbstätigkeit höher. In der Hauptstadt, in der sich die meisten Anbieter befinden, ist die Chance, einen Betreuungsplatz zu bekommen viel höher als im Norden. Aber ganz gleich, ob nicht-konventionier-ter oder konventionierte Anbieter, für Kleinkinder ist das Angebot landesweit mau. Weshalb nicht nur das Ministerium mehr Betreuungsplätze für die ganz Kleinen fordert.
Die Caritas etwa, Anbieterin von Maisons-relais-Strukturen, betont die Wichtigkeit der Betreuung der Kleinen und Kleinsten. Eine Frage aber stellen die Befürworter der frühkindlichen Erziehung lieber nicht laut: Was für eine Rolle für die Familie bleibt. Vom alten Dogma, wonach vor allem die Mutter für die Erziehung der Kinder zuständig sein soll, hat sich die katholische Wohlfahrtsorganisation verabschiedet. Das gilt auch für die ihr nahe stehende Partei, der CSV. Es war ein christlich-sozialer Abgeordneter und eine CSV-Familienministerin, die das Reglement zu den Maisons relais auf den Instanzenweg gebracht und damit den Boom im Betreuungssektor ausgelöst haben. Dies, sieht man von den Einwürfen der inzwischen abgetauchten Famill 2000 ab, ohne großen Widerstand.
Bei einem Podiumsgespräch der Uni Luxemburg über Early childhood am 2. Juni in Walferdingen erklär-te Sozialwissenschaftlerin Claudia Hartmann-Hirsch den Richtungswechsel so: Mit dem Ausbau der konventionierten Betreuungsangebote schwenke Luxemburg auf eine Familienpolitik ein, wie sie skandinavische Länder seit Jahren praktizierten: War die Kinderbetreuung früher Privatsache und der Familie überlassen, interveniert der Staat hier inzwischen immer stärker. Angeschoben wurde der programmatische Wandel, da waren sich die Gesprächsteilnehmer aus Familien- und Unterrichtsministerium, Gemeinden und Wissenschaft einig, durch Vorgaben aus Brüssel, Stichwort Lissabon-Strategie, die eine 33-prozentige Versorgung für Kinder bis drei Jahre bis 2010 vorsah. Die Brüsseler Politik ist freilich nicht vom Himmel gefallen: Die Vorschläge haben die Familienminister der EU-Länder abgesegnet.
Dass die Familie zunehmend auch von konservativen Parteien ihrer Erziehungsverantwortung enthoben wird, belegt der jüngste Vorschlag der CSV-LSAP-Regierung. Ein gekürzter Elternurlaub würde den Anreiz sowohl für den Vater als auch für die Mutter weiter senken, ihre Kinder selbst zu betreuen. An ihre Stelle treten dann (weibliche) Erziehungsprofis der konventionierten und nicht-konventionierten Anbieter. Vom Abschied von tradierten Geschlechterrollen kann nur bedingt die Rede sein: Frauen leisten weiterhin das Gros der Betreuungsarbeit, nur wird sie nun (schlecht) bezahlt.
Mit der Forderung nach mehr Staat in der frühkindlichen Erziehung ändert sich die Aufgabe der Kindertagesstätten. „Betreuung war die traditionelle Funktion der Kindertagesstätten. Eigentlich war damit keine besondere Ambition verbunden. Das hat sich in den letzten Jahren sehr geändert“, so Professor für Soziale Arbeit Michael-Sebastian Honig. Die Bildung rückt immer mehr in den Fokus. Was aber hieße das für bestehende Strukturen wie dem dem Unterrichtsministerium zugeordneten Précoce, wenn Anbieter wie die Caritas, die die Abschaffung der Précoce-Strukturen fordert, den Bildungsauftrag bei den Kleinen übernähmen? Das Maison-relais-Reglement sieht keine pädagogischen Vorgaben vor.
Ohnehin ist unklar, wem die frühkindliche Bildung dient. Den Kindern, die eine Chance bekommen, in Kindergarten und -krippe familiäre Defizite aufzuarbeiten? Den Eltern, die ihren Kindern beste Startchancen geben wollen? Oder einer Politik, die in Kindern zunehmend die Arbeitsressourcen von morgen sieht? „Die Lissabon-Strategie, das waren keine sozialpädagogischen Vorgaben, sondern ökonomische“, sagt Nico Meisch überraschend ehrlich. Nun müsse es darum gehen, die Funktionen Betreuung und Bildung miteinander zu verzahnen. Wie das konkret geschehen kann, darauf hatten die Podiumsteilnehmer keine Antwort.