Am morgigen 22. Mai ist ein kleines Jubiläum zu feiern. Dann sind es auf den Tag genau zwei Jahre her, dass Premier Jean Claude Juncker dem Parlament und dem staunenden Wählervolk die Einführung der kostenlosen Kinderbetreuung versprochen hatte. „À terme ass et fir mech kloer, datt Kannerbetreiung zu Lëtzebuerg muss gratis ginn“, meinte er 2008 in seiner Erklärung zur Lage der Nation. Alle hatten verstanden, dass „à terme“ nach den Wahlen, in der kommenden Legislaturperiode heißen sollte – selbstverständlich, wenn die Wähler sich richtig zu entscheiden wüssten. Und obwohl gerade die tiefste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten tobte, versprach im Jahr danach das CSV-Wahlprogramm, dass die „kostenlose Kinderbegleitung bis 2015 Wirklichkeit werden“ soll, beziehungsweise „mittelfristig“, so das LSAP-Wahlprogramm, oder laut DP „bis 2014“. Erst in der neuen Regierungserklärung, wenige Wochen nach den Wahlen, hieß es plötzlich vorsichtiger: „D’Aféierung vun der Gratiskannerbetreiung bleiwt eist Zil. Si géif aus heiteger Siicht 570 Millioune kaschten.“ Doch neue Initiativen – wie „d’Gratisbetreiung vun de Kanner zum Beispill – sti prinzipiell ënner Finanzéierungsvirbehalt“.
Um so überraschender ist, dass in der Erklärung zur Lage der Nation vor 14 Tagen keine Rede mehr von der kostenlosen Kinderbetreuung ging. Denn bei dieser Gelegenheit zählte der Premier dem Land auf, wo überall im Zuge der selektiven Sozialpolitik gespart werden soll. Mit keinem Wort erwähnte er, dass der Staat Hunderte Millionen zu sparen gedenkt, indem die kostenlose Kinderbetreuung aufgeschoben oder abgesagt würde. Heißt das, dass die Regierung weiterhin plant, bis 2015, wenn gleichzeitig das Haushaltsdefizit bis auf null heruntergespart werden soll, jährlich 570 Millionen Euro zusätzlich für die kostenlose Kinderbetreuung auszugeben? Immerhin handelt es sich nicht um eine ausgesprochen selektive Sozialpolitik, wenn Kinder, die mit dem Porsche zur Kinderkrippe gefahren werden, und solche, deren Mütter bis in die Nacht Büros schrubben, zum gleichen Null-Tarif betreut werden. Oder bedeutet die Abwesenheit der kostenlosen Kinderbetreuung in der Sparliste der Regierung bloß, dass sie in Wirklichkeit nie ernsthaft in Erwägung gezogen worden war?
Die Antwort findet sich vielleicht in derselben Erklärung zur Lage der Nation. Denn an anderer Stelle versprach der Premier zum Preis einer kleinen Indexmanipulation, „de Gratistransport“ einzuführen, ein kurzlebiges LSAP-Wahlversprechen von 2004. Wobei er aber keine Einzelheiten darüber verriet, ob Bus und Bahn vor, während oder nach der Einführung der Gratis-Kinderbetreuung kostenlos werden sollen. Weil die Unternehmer auf eine möglichst rasche Indexmanipulation drängen, dürfte mit dem Gratistransport kaum bis 2015 gewartet werden können, wenn die Kinderbetreuung kostenlos werden soll. Offen bleibt auch, woher in Krisenzeiten die Hunderte Millionen nicht nur zur Deckung der Betriebskosten herkommen, sondern auch – bei einer Einfrierung der Investitionen auf dem Niveau von 2009 – zur Finanzierung der zusätzlichen Infrastrukturen, mit denen die massiv steigende Nachfrage gedeckt werden müsste.
Aus diesen Vorgängen lässt sich manches lernen. Auch wenn sie Zweifel an jenen Politikern und ihrer Presse aufkommen lassen, die nicht müde werden, im Brustton der Überzeugung anderen Leuten Lektionen über die hohe Kunst der Haushaltspolitik oder gar über politische Moral zu erteilen. Doch an Wahlversprechen sind eben nur jene gebunden, die daran glauben. Besonders wenn es sich um Freibier für alle handelt, das bloß im engeren Sinn durch Artikel des 95 des Wahlgesetzes unter Strafe steht.