Wenn Françoise Hetto auf das Laboratoire natio-nal de santé angesprochen wird, kann sie sich richtig in Rage reden. Von Anfang Mai bis Anfang Juli hat die CSV-Abgeordnete und Ex-Ministerin vier parlamentarische Anfragen über das LNS gestellt, doch Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) habe „auf keine richtig geantwortet“. Mehr noch: „Ich hatte Insider-Informationen von fünf Ärzten verschiedener Fachrichtungen, doch Frau Mutsch ging darauf kaum ein.“ Einem ihrer Informanten, erzählt Hetto, sei das derart aufgestoßen, dass er es als „Frechheit gegenüber der gesamten Ärzteschaft“ empfunden habe.
Starker Tobak. Aber immerhin geht es um Krebsdiagnosen. Und Hetto hatte schon am 6. Mai von „dysfonctionnements graves“ geschrieben. Früher habe die Abteilung für Pathologie am LNS innerhalb einer Woche eine Gewebeprobe auf einen Krebsverdacht hin analysiert, heute dauere das bis zu drei Mal so lange. Manche Diagnosen auf Brust- oder Prostatakrebs seien sogar falsch – das werde von einer wachsenden Zahl von Ärzten beklagt.
Und schließlich sei der neue Standort des Labors ein Problem für so genannte Schnellschnitte. Die werden an Patienten während eines chirurgischen Eingriffs vorgenommen: Die Gewebeprobe wird per Taxi vom Spital zum LNS gebracht und dort untersucht; bis zur Diagnose bleibt der Patient unter Vollnarkose. Im Mai wollte Hetto erfahren haben, dass seit dem Umzug der LNS-Pathologie aus Luxemburg-Verlorenkost in den Neubau in Düdelingen Anfang 2013 der „délai de réponse a nettement augmenté par rapport au passé où le LNS se trouvait au Centre du pays“. Was ein „risque réel pour le patient“ sei.
Zum selben Thema schob sie Mitte Juni nach, „apparement“ würden wegen der langen Wartezeiten „bon nombre des médecins“ auf Schnellschnitte verzichten und stattdessen vorsorglich mehr vom verdächtigen Gewebe entfernen als womöglich nötig. Andere Chirurgen würden weniger wegschneiden, doch dann müssten „beaucoup des patients“ erneut operiert werden. Gegenüber dem Land erwähnte Hetto diese Woche noch einen ihr bekannten Fall, in dem ein Taxi einen Schnellschnitt um kurz nach 17 Uhr beim LNS abzuliefern versuchte – vergeblich, „denn da waren die Türen schon zu“. Wie habe die Gesundheitsministerin da am 24. Juli, als sie die vierte und letzte parlamentarische Anfrage der Abgeordneten beantwortete, behaupten können, das Labor sei von 6.45 bis 18.30 Uhr geöffnet? Diese Antwort Mutschs und ihr lapidarer Hinweis, seit dem Umzug sei die Zahl der Schnellschnitt-Analysen nicht etwa rückläufig, sondern um 13 Prozent gestiegen, habe den ihr bekannten Arzt so in Harnisch gebracht. „Er erwägt, sich beim Collège médical zu beschweren“, so Hetto. Überhaupt liege beim Collège médical eine „Unmenge“ Beschwerden über die Krebsanalysen des LNS vor.
All das klingt schlimm. Aber wenn die Gesundheitsministerin auf die parlamentarischen Anfragen zwar Verzögerungen eingeräumt, aber erklärt hat, falsche oder widersprüchliche Diagnosen gebe es nicht, und wenn LNS-Direktor René Scheiden gegenüber dem Land Hettos Behaup-tungen über Fehldiagnosen „unverantwortliche Horrorszenarien“ nennt, dann stimmt das ja vielleicht. d’Land hatte vor vier Jahren über Klagen von Ärzten berichtet, die in eine ganz ähnliche Richtung gingen (d’Land, 29.07.2010). Dass falsch diagnostiziert worden sei, stellte sich am Ende aber als unbegründet heraus. Und wenn der LNS-Chef ganz formell ist, dass dieses Jahr zu allen Schnellschnitten innerhalb von durchschnittlich einer halben Stunde dem jeweiligen Krankenhaus das Ergebnis übermittelt worden sei und es nur einmal eine Stunde dauerte, weil die Telefonanlage des LNS während eines Gewitters gestört war, dann steht, wenn man so will, seine Aussage gegen die des Hetto bekannten Arztes. Scheiden weiß auch nur von einem Fall, in dem eine Schnellschnitt-Biopsie nicht rechtzeitig im LNS ankam: „Da hat der Taxifahrer eine falsche Adresse angesteuert.“
Ob „Unmengen“ von Ärzte-Beschwerden beim Collège médical vorliegen, ist nicht zu klären. Vier Tage nach einer Anfrage des Land lag noch keine Reaktion des Collège vor. Dem LNS-Direktor zufolge gingen bei ihm seit Anfang dieses Jahres „fünf bis zehn Klagen auf 25 000 Analysen“ ein. Und die Ärzteschaft im allgemeinen scheint nicht so aufgebracht zu sein, wie Hetto suggeriert: Der Ärzteverband AMMD will „abwarten, was sich bis zum Jahresende tut“, erklärt dessen Generalsekretär Claude Schummer. „Man muss dem LNS eine Chance geben.“
Warum? Weil seine Personalprobleme im Bereich Pathologie legendär sind. Und der Grund dafür, dass das LNS nicht nur besonders komplexe Krebsanalysen an den Universitätskliniken in Homburg, Köln oder Bonn vornehmen lässt, sondern auch Routineuntersuchungen, falls zu viele seiner Pathologen im Urlaub oder krank sind. „Die Lage ist bestimmt nicht ideal. Aber angesichts der wenigen Pathologen kann das gar nicht anders sein“, sagt Guy Berchem, Präsident der Facharztgesellschaft der Onkologen. Im September jedoch wird das LNS drei neue Pathologen einstellen. Ebenfalls im Herbst soll Fernan-do Schmitt, derzeit noch Pathologie-Professor an der Universität Toronto, Krebsforscher von Weltruf und unter anderem Generalsekretär der Internatio-nal Academy of Cytology, die Leitung der gesamten medizinischen Abteilung am LNS übernehmen. Dann steige, summa summarum, der Pathologen-Personalbestand von derzeit 9,25 auf 13,25 Vollzeit-Einheiten, sagt LNS-Direktor Scheiden. „Dann kriegt das LNS neben der Pathologie auch noch andere Bereiche in den Griff“, ist Krebsspezialist Berchem überzeugt.
Wenn sich schon in Kürze so viel ändern wird und die Situation zwar nach wie vor schwierig, aber anscheinend nicht so katastrophal ist, wie Françoise Hetto sie beschreibt, muss man sich fragen, wie politisch ihre Aktion ist und weshalb sie sie ausgerechnet jetzt führt. Von den Strukturproblemen des LNS hat sie natürlich intime Kenntnis: Die vorige Regierung, unter ihr die damalige Mittelstandsministerin Hetto, diskutierte jahrelang, ob das LNS vom Staatslabo in eine öffentliche Einrichtung privaten Rechts umgewandelt werden sollte, damit für Neueinstellungen weder die Sprachenklausel noch die Gehältertabelle des öffentlichen Dienstes gelten musste. Durch eine Gesetzesänderung kam es ab 1. Januar 2013 dazu: Seitdem kann das LNS Gehälter anbieten, die vergleichbar sind mit denen am CHL mit seinen fest angestellten Ärzten.
Interessanterweise schreibt die Ex-Ministerin in ihren parlamentarischen Anfragen nicht nur von Missständen, die so groß wahrscheinlich gar nicht sind, sondern stellt auch immer wieder die Kostenfrage der Analysen, die das LNS im Ausland vornehmen lässt. Und will wissen, was die Gesundheitsministerin von einem generellen Outsourcing der Krebs-analysen hält und welche Rolle in der Pathologie die drei Privatlabors spielen sollen. Am deutlichsten wurden Hetto und mit ihr ihre Fraktionskollegen Sylvie Andrich und Jean-Marie Halsdorf am 5. Juni, als sie sich zu dritt bei Lydia Mutsch erkundigten, ob durch das Engagement des neuen Abteilungschefs mit Weltruf sowie mehrerer neuer Pathologen am LNS ein „nationales Kompetenzzentrum“ entstehe, das „die freie Wahl des Dienstleisters behindern könnte“. Einen Monat später hakte Hetto bei der Gesundheitsministerin noch einmal, ob sie die „freie Wahl des Pathologen“ garantiere.
Dass eine frühere Ministerin sich nicht zu schade ist den Eindruck zu erwecken, ein Verstorbener solle wählen können, von wem er obduziert wird, ist ziemlich kurios, deutet aber an, dass es Hetto – und vielleicht sogar der CSV-Fraktion – gar nicht um kompetentes Wirken für die öffentliche Gesundheit geht. Im Gesundheitsministerium wird derzeit tatsächlich diskutiert, dem LNS das Monopol im Bereich der Krebsanalysen, der Zytologie und der Anatomo-Pathologie, zu entziehen. Die Privatlabors drängen darauf, allen voran die Laboratoires réunis aus Junglinster, der Heimatgemeinde von Françoise Hetto. Honi soit qui mal y pense. Firmenchef Bernard Weber hat bei Lydia Mutsch die Akkreditierung seines Labor als Krebs-Analyseeinrichtung beantragt. Er habe schon einen Pathologen eingestellt, erzählt Weber dem Land, und bereits seit Jahren stehe Analysetechnik in seinem Betrieb.
Schon 2011 begannen die Laboratoires réunis und Ketterthill, das größte Privatlabor, Krebsproben bei Ärzten einzusammeln und zur Analyse ins Ausland zu bringen. Weber ließ sie nach Deutschland fahren, der damalige Ketterthill-Chef Jean-Luc Dourson nach Paris zu Cerba European Lab. Damals aber führte Dourson die politische Auseinandersetzung mit dem seinerzeitigen Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) und machte sogar noch eine Weile weiter, nachdem der die Verschickungen ins Ausland untersagt hatte. Heute sind Dourson und Cerba Feinde und streiten vor Gericht über Ketterthill. Weil Weber kein politischer Haudegen wie Dourson ist, kann er Unterstützung gut gebrauchen. Vor allem in einer Situation, in der es so aussieht, als könnte das LNS in absehbarer Zeit wettbewerbsfähig werden: Dann wären die Krebstests für die Privatlabors wahrscheinlich für immer verloren.
Françoise Hetto weist die Behauptung, sie und die CSV täten den Privatlabors einen politischen Gefallen, von sich: „Ich will, dass es klappt am LNS, aber es klappt ja nicht.“ Und auch mit dem neuen Chef und neuen Pathologen würden „die Probleme kaum gleich gelöst“. Wieso sollten die Privaten in der Zwischenzeit nicht „eng Hand mat upaken“?
Ja, wieso eigentlich nicht – wo doch nirgendwo geschrieben steht, dass allein das LNS Krebsanalysen durchführen dürfe, und dessen De-facto-Monopol lediglich darauf beruht, dass erstens noch kein Privatlabor dafür akkreditiert wurde und zweitens in der Gebührenordnung, nach der mit der Gesundheitskasse CNS abgerechnet wird, für Tests an Gewebeproben noch kein Tarif existiert und das LNS seine Leistungen aus der Staatskasse bezahlt erhält wie früher, als es noch eine Staatsverwaltung war?
Weil, wie der Generalsekretär des Ärzteverbands sich ausdrückt, sich nicht die Frage stelle: „Lassen wir das LNS alle Krebsanalysen machen oder nur einen Teil davon und die Privaten den Rest?“ Sondern: „Soll es in Luxemburg noch Krebsbehandlungen geben?“ Die Zahl der Fälle sei zu klein hierzulande, um die Analysen unter den Labors zu streuen. „Dann hätten wir keine kritischen Massen mehr und könnten auch aufhören, Krebskranke zu behandeln.“ Die AMMD, die „sonst immer für Konkurrenz eintritt“, sei, geht es um die Krebstests, „für Konzentration im LNS“. Allerdings sei das Ex-Staatslabor „zum Erfolg verdammt“. Bessere sich die Lage nicht bis zum Jahresende, müsse man sich fragen, was aus der Versorgung von Krebspatienten wird.
So dass, wie die Dinge liegen, die Gesundheitsministerin sich des politischen Support der einflussreichen AMMD sicher sein könnte, zumindest vorerst nichts an der bestehenden Konstellation zu ändern, und Françoise Hettos Trottuarspolitik gegenüber einer Junglinster Firma gar nicht viel gebracht hätte. Doch für die AMMD ist es „eventuell okay“, wie ihr Generalsekretär sagt, wenn ein bestimmter Teil der Tests, die Analysen auf Gebärmutterhalskrebs, für die Privatlabors geöffnet würde.
Und wie der Zufall es will, interessieren die sowohl die Laboratoires réunis als auch die Laboratoires Ketterthill, die sich zurzeit im Hintergrund halten und noch keinen Akkreditierungsantrag gestellt haben, ganz besonders: Für diese Tests stehen neue automatisierbare Technologien zur Verfügung. Das Junglinster Labor hat sie schon seit längerem angeschafft und für diese Art von Tests existiert sogar seit 1992 schon ein Kassentarif. Allerdings liegt er derzeit nur bei 7,39 Euro. Zu wenig, um die neue Technik rentabel einzusetzen, von der alleine schon der Test-Kit 26,50 Euro kostet.
Letzten Endes geht es um viel Geld, denn der Markt ist groß: Die Schnelltests auf Gebärmutterhalskrebs werden pro Jahr an 80 000 Frauen vorgenommen. Volumen dieser Art nennen Privatlabors gerne „das Ambulante“, das man übernehmen könne, während man das „Stationäre“, weil es komplex und personalintensiv ist, dem LNS überlässt. Zum Beispiel Schnellschnitt-Biopsien an Patienten, die unterm Messer liegen. Weder die Laboratoires réunis noch Ketterthill möchten da „eng Hand mat upaken“, auch wenn die Oppositionspolitikerin Hetto etwas anders suggeriert und in keiner ihrer parlamentarischen Anfragen behauptet hat, die Schnelltests an den vielen Frauen würden schlecht ausgeführt.