Ausblick Juli 2014. Heißes Sommerwetter. Ähnlich wie im Jahr zuvor titeln die Tageszeitungen: „Smogalarm! Hohe Ozonwerte durch zu viel Stickoxid in der Luft: Gefahr für die Gesundheit“. Auf den Autobahnen wird die Höchstgeschwindigkeit begrenzt. Bereits ein kurzer Aufenthalt im Freien birgt Gesundheitsrisiken bei sensiblen Menschen. Kinder sollen nicht im Freien spielen, Jogger ihre Betätigung ganz sein lassen.
Nun sind Grenzwertüberschreitungen bei Stickoxid in Luxemburg alltäglich. Im Zentrum der Hauptstadt wird der Jahresmittelgrenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter notorisch überschritten. Laut neuesten Messungen des Forschungszentrums Gabriel Lippmann ist das auch in Remich der Fall. Die Luft ist besonders schlecht in den vom Tanktourismusverkehr betroffenen Grenzorten.
Szenenwechsel. Paris und Brüssel, Mitte März dieses Jahres. Eine stabile Hochdrucklage mit wenig Wind beschert beiden Städten eine sehr hohe Feinstaubbelastung, sodass Smogalarm ausgerufen wird. Ein Übermaß an krebserregenden Rußpartikeln lässt die Pariser Stadtverwaltung eine Verordnung aus dem Jahre 1997 reaktivieren, nach der je nach Kennzeichen nur die Hälfte der Autos fahren darf.
Weshalb nun dieses Comeback einer maßgeblich durch Verkehrsemissionen hervorgerufen Luftverschmutzung, wo doch offenbar unsere Autos immer sauberer werden? Wieso haben sich die prognostizierten abfallenden Verkehrsemissionskurven nicht eingestellt? In den 1980-ern brachte der Dreiwegekatalysator eine merkliche Verminderung der verkehrsbedingten Abgasschadstoffe Kohlenstoffmonoxid, Kohlenwasserstoff und Stickoxid mit sich. Seither haben zwar Effizienzsteigerungen bei Fahrzeugen, Treibstoffverbesserungen und Abgasnachbehandlung die meisten Emissionen reduziert. Doch diese Maßnahmen wurden durch die Zunahme des Verkehrs meist neutralisiert. Besonders aber durch den Wechsel zum Diesel.
Eine niederländische Studie ermittelte kürzlich, dass „moderne“ Euro-5-Diesel-Pkw im Schnitt 600 Milligramm Stickoxide (NOx)pro Kilometer emittieren, während gerade mal 180 Milligramm erlaubt sind. Dieselautos stoßen damit rund 20 Mal mehr Stickoxid aus als Benziner, woraus sich die starke Zunahme von Stickoxiden in der Umwelt ergibt. Die mehr als dreifache Überschreitung der erlaubten Emissionen wird durch eine realitätsfremde Abgasmessung auf dem Prüfstand (NEFZ) möglich gemacht, nach der Neuwagen zertifiziert werden. Der Stickoxidgrenzwert wurde seit Euro 3 (ab dem Jahr 2000) bis heute um mehr als die Hälfte gesenkt, die tatsächlichen Emissionen aber blieben fast stabil. Prognostizierte Stickoxidmodellierungen stimmen deshalb kaum mit gemessenen Immissionstrends überein.
Nach der Einführung des Dieselpartikelfilters gingen die gemessenen NOx-Werte sogar wieder hoch. Der Grenzwert für Diesel-PKW wird auch 2015 nicht eingehalten werden, wenn die Euro-6-Norm für alle Neuwagen in Kraft tritt. Dann werden nur noch 80 Milligramm NOx pro Kilometer erlaubt, knapp oberhalb des Grenzwerts von 60 Milligramm pro Kilometer für Benziner, den diese übrigens locker einhalten. Auch Diesel-PKW der Oberklasse mit SCR- und Speicherkatalysator halten dabei mit. Die meisten Alltagsmodelle jedoch meistern nur den vorgeschriebenen Fahrzyklus mit billiger und wenig effizienter Technik. Die EU-Kommission gedenkt deshalb, den Zyklus ab 2017 zu ändern, sodass tatsächliche und im Labor ermittelte Emissionen besser übereinstimmen. Die in der Praxis erforderliche Technik könnte sich aber für Diesel-Kleinwagen als zu kostspielig erweisen.
Auch das andere Sorgenkind der Diesel-PKW bleibt aktuell: die Partikelemissionen. Wohl erfüllen Partikelfilter bei zügiger Fahrt ihren Zewck, doch bei dem oft üblichen Kurzstreckenverkehr mit Stop-and-go verstopfen sie leicht. Auch filtern sie nicht die kleinsten Nanopartikel, die tief in menschliche Lungen einzudringen vermögen. Neuentwickelte Einspritz-Benziner stoßen diesen Feinststaub ebenfalls aus. Allerdings ist das laut einer Übergangsreglung nur bis 2017 erlaubt und ein preiswerter Benzinpartikelfilter könnte heute schon Abhilfe leisten.
Bis in die 1980-er Jahre war Diesel vor allem ein Kraftstoff für Lastwagen. Aufgrund eines jahrzehntelangen Lobbyings der Straßentransportbranche war er in vielen Ländern Europas gegenüber Benzin weniger hoch besteuert. Doch als in Nordwesteuropa immer mehr Öl- durch Gasheizanlagen ersetzt wurden und weil Frankreich die Möglichkeit besteht, mit preiswertem Atomstrom zu heizen, fürchtete die ölverarbeitende Industrie eine Absatzkrise für Mitteldestillat, wozu auch Dieselkraftstoff zu zählen ist. Willkommener Abnehmer des überschüssigen Mitteldestillats waren die PKW. Die Automobilindustrie wurde über vertrauliche industriepolitische Absprachen ermuntert, vermehrt Diesel-PKW auf den Markt zu bringen. Im Zuge der Kyoto-Klimaschutzverhandlungen in den 1990-ern Jahren kam dann der entscheidende Durchbruch: Bestärkt durch den CO2-Emissionsvorteil des Dieselantriebs kamen die EU-Kommission und europäische Fahrzeughersteller überein, den Diesel-Automobilbau zu forcieren. Steuervorteile auf Dieselsprit blieben unangetastet und Diesel-PKW wurde ein höherer Schadstoffausstoß zugestanden – eine Regelung, die bis heute ihren Niederschlag in der EU-Abgasgesetzgebung hat.
Um die Jahrtausendwende stieg in Westeuropa der Marktanteil der Dieselneuwagen binnen weniger Jahre von etwa 20 auf 50 Prozent. Da Dieselkraftstoff außerdem einen um rund 13 Prozent höheren Energiegehalt hat als Benzin und somit „sparsamer“ ist – jedoch bei gleichem Volumen mehr CO2 emittiert –, stießen die nun dank Common-Rail-Technik drehmomentfreudigen Dieselmodelle auf regen Zuspruch. Und umso mehr neue „Dieselisten“ sahen sich durch den Preisvorteil an der Tankstelle veranlasst, auf ein größeres und stärkeres Auto umzusteigen (rebound effect).
Dabei sind die Selbstzünder außerhalb Europas im PKW-Segment eine Randerscheinung. In den USA und Japan liegt ihr Anteil bei einigen Prozent. In Tokio sind Dieselautos sogar verboten. In Europa ist die Vorliebe für Diesel in den Ländern besonders stark, wo Autofahrer beim Tanken und bei den Fahrzeugsteuern am meisten bevorteilt werden. Eine Begünstigung, die auf einer stark auf Dieseltechnik fußenden Automobilindustrie beziehungsweise einem auf Diesel ausgerichteten Tanktourismus beruht. Letztlich bewahrt aber ein ökologisches Bewusstsein einige Länder vor einer hohen „Dieselisierung“. So werden in den Niederlanden Diesel-PKW besonders hoch besteuert, obwohl der Kraftstoff, der Transportlobby wegen, preisgünstig ist. In der Schweiz ist Diesel kein Thema. Frankreich, Belgien und Luxemburg hingegen sind Dieselländer par excellence. 2013 sank zwar der Anteil neuer Dieselautos in Frankreich um sechs Prozent auf 67 Prozent und in Belgien sogar stärker. In Luxemburg indessen flachte er nur auf 73,4 Prozent ab. Damit sind wir Weltspitze beim Dieselanteil an den Neuwagen.
Bis vor wenigen Jahren stießen Otto- gegenüber Dieselmotoren circa 15 Prozent mehr Treibhausgase aus. Dieser Überhang schwindet jedoch dahin. Während europäische Automobilkonstrukteure über Jahre fast nur auf Dieseltechnik setzten, holt nun der Otto-Motor auf. Nach Angaben der EU-Kommission übersteigen 2020 die CO2-Emissionen des Benzin-Hybrids die des Diesel-Hybrids nur noch um 6,5 Prozent. Wobei der Verband Transport and Environment darauf hinweist, dass die auf Gewicht fußenden CO2-Standards der EU für leichtere Benzinautos nur noch einen Nachteil von zwei bis drei Prozent gegenüber schwereren Dieselfahrzeugen bedeuten.
Ferner hat die stark gestiegene Nachfrage nach Dieselkraftstoff ein gravierendes Ungleichgewicht auf Europas Ölmärkten erzeugt, die einhergeht mit riesigen Benzinüberschüssen sowie weitreichenden Dieselimporten vorwiegend aus Russland und den USA. Den Raffinerien bleibt nur die Umstellung auf Hydrocracking, um aus Rohöl möglichst viel Diesel zu gewinnen. Doch der Prozess setzt wiederum mehr CO2 frei. Einst waren die Emissionswerte der Dieselerzeugung halb so hoch wie die der Benzinproduktion. Mittlerweile haben sie diese überholt. Es geht aber auch um andere Emissionen mit Treibhauspotenzial. Insbesondere der durch defekte Partikelfilter emittierte Ruß – gar nicht zu reden von den immer noch fahrenden filterlosen Dieselfahrzeugen – trägt zu einer Kohlendioxidäquivalenz bei, die die Klimabilanz des Dieselmotors gegenüber dem des Benziners insgesamt schlechter werden lässt.
Das Fazit ist ernüchternd. Der Paradigmenwechsel von Benzin zu Diesel seit den 1990-er Jahren hat Europa mehr Schadstoffe gebracht, ohne dass damit dem Klima gedient war1. Seit Jahren schon fordert die EU-Kommission, die Energiesteuern, und damit auch die Treibstoffakzisen, am Energiegehalt und am Treibhauspotenzial der Energieprodukte auszurichten. Das könnte massive Preisverzerrungen zulasten der Umwelt beenden. Doch da die Maßnahme zu einer höheren Diesel-Besteuerung führen würde, sind viele Mitgliedstaaten, darunter auch Luxemburg, dagegen. Dabei hat nun auch die OECD einen Bericht zu den Kosten der Luftverschmutzung veröffentlicht. Bei der Vorstellung der Publikation ermahnte OECD-Generalsekretär Angel Gurría zum Abbau der ökologisch nicht zu rechtfertigenden Steueranreize auf Diesel: Dies würde unserer Gesundheit und der Umwelt gut tun sowie den Klimawandel bekämpfen helfen.
Die europäische Automobilindustrie ist dabei, sich durch die übermäßige Dieselspezialisierung auf dem Weltmarkt ins Abseits zu bringen. Während in Deutschland dieses Unmaß nun vermehrt in Frage gestellt wird, hat auch in Frankreich und in Belgien die Diskussion um Sinn und Zweck des „tout-diesel“ eingesetzt. Angesichts einer darniederliegenden französischen Autoindustrie hat man in Paris bisher allerdings nicht den Mut aufgebracht, eine Kehrtwende einzuläuten. Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg brachte es auf den Punkt, als er meinte: „Il faut trouver une formule qui n’attaque pas le Made in France.“ Belgien hat resoluter handeln können, was vielleicht mit Aussagen wie der der Brüsseler Umweltministerin Evelyne Huytebroeck zu tun hat: Als 2012 die Weltgesundheitsorganisation Dieselabgase als krebserregend einstufte, forderte sie die Zentralregierung auf, „endlich Verantwortung zu übernehmen, Probleme der Volksgesundheit anzugehen, von der Dieselförderung abzusehen und nicht die Bürger als Geiseln zu nehmen“.
In Luxemburg hat sich hierzu noch keine Öffentlichkeit gebildet. Ein beharrlich hoher Diesel-PKW-Anteil zeugt davon. Umweltministerin Carole Dieschbourg (Grüne) hat nun eine „Task Force für bessere Luft“ angekündigt; auch um die Folgen eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens abzuschätzen, das Luxemburg wegen der zu hohen Stickoxidemissionen droht. Doch bei weltgrößtem Tankstellenausschank, sehr hoher LKW-Verkehrskonzentration und dem geplanten Ausbau einer Logistikstruktur werden Dieselkraftstoff und somit Schadstoffemissionen auch weiterhin steuerlich begünstigt. Dabei füllt das Phänomen Tanktourismus mit EU-weit niedrigsten Dieselakzisen nicht nur das Staatssäckel auf, sondern übt durch generierten Tankverkehr und induzierter Neigung der Einwohner zu Dieselfahrzeugen einen desaströsen Einfluss auf die Luftqualität aus. Die vom Umweltministerium geplante Studie zu den budgetären und ökologischen Ausmaßen des Tanktourismus könnte hier Aufklärung bringen.
Luxemburg stehen schwierige Entscheidungen bevor. Potenziellen Autokunden, die sich noch bis zum Jahresende zum aktuellen TVA-Satz und Euro 5-Norm einen Dieselwagen zulegen möchten, dürfen sich aber darauf einstellen, dass deutsche Städte die Einführung einer blauen Plakette planen, die den Innenstadtzugang nur saubersten Modellen erlaubt. Überlegungen zur Einrichtung einer Umweltzone in Luxemburg-Stadt laufen übrigens ebenfalls.