Es dauerte nur eine Viertelstunde, dann hatte der parlamentarische Gesundheitsausschuss am Mittwoch vergangener Woche dem überarbeiteten Entwurf für das Luxemburger Psychotherapeutengesetz seinen Segen gegeben und den Text für einen zweiten Avis an den Staatsrat geschickt. Die Zeit drängte, es war 13.45 Uhr, und für 14 Uhr war die letzte öffentliche Sitzung der Abgeordnetenkammer vor der Sommerpause anberaumt.
Wie es die ungeschriebenen Regeln des Politikbetriebs wollen, kann nur eine Oppositionsabgeordnete wie Sylvie Andrich-Duval von der CSV es sich erlauben, so ein Tempo „eigentlich skandalös“ zu finden. Aber Grundsatzdebatten zur Psychotherapie hat der Gesundheitsausschuss bislang ohnehin keine geführt. Zwar soll das Psychotherapeutengesetz die Psychotherapie als neuen Heilberuf definieren, Zugangsbestimmungen dazu festlegen und einen Titelschutz schaffen. Und es soll es Psychotherapie zu einer Krankenkassenleistung erklären. Doch in den bisherigen Ausschusssitzungen ging es vor allem darum, den zehn oppositions formelles des Staatsrats auf die erste Fassung des Gesetzentwurfs hin zu begegnen.
Aber auch der Staatsrat schien sich nicht ganz sicher gewesen zu sein, was von dem Gesetzentwurf und wie darin „Psychotherapie“ verstanden wird, zu halten ist. Sollte sich zum Beispiel Psychotherapeut nur nennen dürfen, wer unter anderem eine klinische Praxis unter „Supervision“ nachweisen kann? Ist Supervi-sion wirklich so wichtig, und was ist das überhaupt? Sie vorzuschreiben, ohne sie näher zu definieren, wäre womöglich eine unzulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit und ein Verstoß gegen die EU-Verträge, fand der Staatsrat, und verhängte eine seiner zehn oppositions formelles. Als der Gesundheitsausschuss sich Mitte Juni über diese Frage beugte, fand er auch keine Antwort. Und am Ende folgte er den Vertretern des Gesundheitsministeriums, die meinten, man solle den Begriff einfach weglassen.
Dabei hat die European Federation of Psychologists’ Associations (Efpa) Ausbildungsleitlinien zur Psychotherapie herausgegeben, die auch definieren, was Supervision ist und welche Bedeutung sie hat. Und die Vertreter der Universität Luxemburg, die beim Zustandekommen der vielen Avants-projets zum Gesetzentwurf seit 2011 entscheidend Pate standen, hielten darauf, sich an den Efpa-Leitlinien zu orientieren. Doch allem Anschein nach zeigt sich nun, dass es nicht reicht, sich ein Psychotherapeutengesetz von der Uni suggerieren zu lassen, die damit die Grundlage schaffen wollte für einen Aufbaustudiengang in Psychotherapie, den sie seit einem Jahr anbietet.
Denn eine große, öffentliche Diskussion der Psychotherapie gab es nie. Entsprechend überfordert von der Materie sind von den meisten Angeordneten über den Staatsrat bis hin zum Gesundheitsministerium die Entscheidungsträger: Auch wenn der eine oder andere Begriff aus dem Text gekippt wurde, erhielte Luxemburg, würde die Fassung vom vergangenen Mittwoch Gesetz, die strengsten Regeln EU-weit. Im derzeit noch besonders strengen Deutschland gilt ebenfalls, dass Psychotherapeut nur werden kann, wer im Grundberuf Arzt oder Psychologe ist und anschließend eine therapeutische Zusatzausbildung absolviert hat. Das deutsche Gesetz aber unterscheidet zum Beispiel Erwachsenen- von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und hält letzteren Beruf auch Pädagogen und Sozialpädagogen offen. Der Gesundheitsausschuss der Luxemburger Abgeordnetenkammer dagegen beschloss bereits vor vier Wochen, diesen Unterschied nicht zu machen.
Das deutsche Gesetz erklärt auch, was Psychotherapie nicht ist. Nämlich „psychologische Tätigkeiten, die die Aufarbeitung und Überwindung sozialer Konflikte oder sonstige Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben“. In der letzten Fassung von Projet de loi n° 6578 dagegen steht: „La psychothérapie se définit comme un traitement psychologique pour un trouble mental, pour des perturbations comportementales ou pour tout autre problème eintraînant une souffrance ou une détresse psychologique“. Der Einwand der CSV-Abgeordneten Andrich-Duval, die selber Psychologin ist, bei einer so breiten Defini-tion von Psychotherapie könne die Tätigkeit jeglicher Beziehungs-Coaches oder Karriereberater illegal werden, selbst wenn sie sich nicht „Therapeut“ nennen, ist nicht von der Hand zu weisen. Vom Land kontaktierte Vertreter der Mehrheitsfraktionen im Gesundheitsausschuss aber gaben an, gar nicht gewusst zu haben, worum es in Andrich-Duvals Amendement ging, das den „accompagnement psychologique“ aus dem Geltungsbereich des Gesetzes ausklammern wollte, und was sie da am Mittwoch letzter Woche, la raison de coalition oblige, in der Kürze der Zeit niederstimmten.
Details am Rande sind das nicht. Denn das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass hierzulande vielleicht wie in Belgien 27 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens einem trouble mental anheimfallen könnten. Allerdings verfügt das Ministerium nicht nur über keine Daten, was den genauen Stand der Santé mentale im Lande angeht. Das therapeutische Angebot ist ebenfalls unbekannt. Und deshalb weiß man auch nicht, wie „l’offre actuelle au Grand-Duché des prestations psychothérapeutiques par des prestataires ne pouvant pas justifier de la qualification requise, voire exerçant à la limite du charlatanisme“ beschaffen ist, räumten Ministeriumsvertreter im Ausschuss ein, fügten aber hinzu: „On peut toutefois dire que le phénomène n’est pas négligeable.“
„Ich weiß es zwar nicht, bin mir aber sicher, dass ...“ Vor 99 Jahren prägte Sigmund Freud dafür den hübschen Begriff „Suppenlogik mit Knödelargumenten“. Ganz ernsthaft aber muss man fragen, ob Luxemburg es sich leisten kann, die EU-weit strengsten Anforderungen an Psychotherapeuten zu stellen und Psychotherapie so zu definieren, dass selbst harmlose Persönlichkeitskrisen in den Zuständigkeitsbereich höchstqualifizierter Therapeuten fallen müssten. Was, wenn so ein Angebot sich gar nicht aufbauen lässt? Was, wenn andererseits derzeit schon „Therapeuten“ aus EU-Staaten, in denen der Beruf entweder nicht geschützt ist oder weniger Strenge gilt als das in Luxemburg der Fall sein soll, hierzulande niedergelassen sind und Behandlungserfolge vorweisen könnten, aber womöglich ihre Koffer packen oder umschulen müssten, sobald das Psychotherapeutengesetz in Kraft getreten sein wird?
Aber wahrscheinlich ist es schon zu spät, um zu klären, ob das ein Verlust für die öffentliche Gesundheit wäre. Manchen Abgeordneten ist zwar nicht ganz wohl dabei, doch wie im Ausland erworbene Diplome anzusehen sind, soll das Gesetz nicht klären – anders als in Deutschland, wo eine Anerkennungsprozedur gilt –, sondern ein Conseil scientifique aus Psychologen, Psy-chiatern und einem Vertreter der Uni von Fall zu Fall. Statt Transparenz Clubatmosphäre, in der entscheidend sein wird, wer Mitglied ist. Dabei besteht das große Problem um das Psychotherapeutengesetz schon jetzt darin, dass der Text Resultat von Kämpfen um Einfluss ist. Die Uni hatte das Gesetz angeregt, um einen Aufbaustudiengang einzurichten, und den hat sie nun. Der Psychologenverband hatte darauf gehalten, dass Therapeuten, die nicht Ärzte oder Psychologen sind, keine acquis zugestanden werden – und tatsächlich bleibt der Platz in einem neuen Gesundheitsberuf neben den Ärzten Psychologen vorbehalten. Der Ärzteverband und die Psychiatrische Gesellschaft haben dafür gesorgt, dass das Gesetz für Psychiater nicht gilt und ein Kassentarif für Psychotherapie, der den Zeitaufwand berücksichtigen könnte, eine politische Bresche in die Richtung sein kann, eines Tages vielleicht auch jedem Arzt den Zeitaufwand für eine Konsultation zu honorieren. So einen Interessenausgleich in Gefahr zu bringen, muss man sich politisch erst einmal trauen.