Es ist die längste Nacht des Jahres. Dunkelheit. Auch im Iran schneit es. Man rückt zusammen. Sucht Halt und Harmonie. Doch die Tage werden wieder länger. Hoffnung keimt auf im Menschen. Sehnsucht nach Licht, nach Milde, nach einem Neuanfang. In der persischen Tradition ist dies die Yalda-Nacht, in der man mit der Familie zusammenkommt, aus dem Diwan des altpersischen Dichters Hafis liest, um die Zukunft weissagen zu können, dabei Granatäpfel, rote Weintrauben und Melone isst, so eine große „Alles ist vergeben und vergessen“-Party mit seinen Lieben und seiner Familie feiert. Wintersonnenwende. Ein Idyll, wie es im christlichen Kulturkreis weihnachtlicher nicht sein könnte. Schnee inklusive.
In diesem Setting spielt Yalda, la nuit du pardon des iranischen Regisseurs Massoud Bakhshi. Und er fährt alles auf, was ein Film braucht, um Herzen zu erwärmen. Eigentlich. Der Film zeigt in Erzählter Zeit die Produktion einer Reality-TV-Sendung, in der Maryam zu Gast ist – eine junge, zum Tode verurteilte Frau. Sie hat vermutlich ihren Mann umgebracht, mit dem sie eine „Ehe auf Zeit“ eingegangen ist. Der Mann war deutlich älter als sie, ein Wohltäter und guter Freund der Familie.
Der Film ist kein Krimi, die Tat bleibt schemenhaft. Nun sitzt sie in der Fernsehsendung Mona gegenüber, der Tochter ihres Mannes aus erster Ehe. Mona hat das Recht Maryam zu begnadigen und ihr das Leben zu schenken. Und der Ablauf der Fernsehsendung ist genau darauf ausgerichtet, dass diese Begnadigung kommen muss, damit alle am Ende ihren Frieden, ihr Happy End haben. Doch darum geht es Maryam nicht. Ihr geht es um Ehre, Wahrheit und Gerechtigkeit, um Selbstbehauptung. Sie möchte in dem zuvor zwischen ihrer Familie, Mona und der Fernsehanstalt ausgehandelten Verlauf der Sendung nicht die ihr zugedachte Rolle spielen, sondern kämpft um Verständnis, auch um ihre Unschuld. Sie möchte Begnadigung nicht als Drehbuchkomponente erhalten, sondern weil sie ihr zusteht. Auch weil die genauen Umstände der Tat nicht restlos aufgeklärt zu sein scheinen. So kämpft Maryam gegen die Produzenten der Sendung und auch gegen ihre eigene Familie. Dabei soll sie doch nur vor Millionen Fernsehzuschauern die Tat gestehen, dann tränenreich um ihr Leben flehen. Sie hat dreißig Minuten Zeit. Unterbrochen von Werbeblöcken. Ihr Gegenüber ist Mona, die – so will es die Regie – am Ende huldvoll Begnadigung spendet. Doch auch für sie hat das Skript nicht alle Eventualitäten vorgesehen. Denn es fällt ihr schwer zu vergeben, wenn sie nochmals alles durchleben muss.
Der Film spielt auf eine reale, populäre iranische Fernsehsendung an. Bedient sich dabei der eingeführten Stereotypen im Reality-TV: der Produzent, der nur auf die Quote achtet, der Moderator, der sich stur an das Drehbuch hält, das Studiopublikum, das artig klatscht und vorformulierte Reden schwingt, und die Fernsehzuschauer, die per SMS darüber abstimmen dürfen, wieviel Blutgeld die Tochter des Mordopfers von den Werbepartnern der Sendung bekommt. Der Film entwickelt sich dennoch rasch zu einem Kammerspiel zwischen inszenierter und realer Welt, das genüsslich moralische Konstrukte im heutigen Iran demontiert und am persönlichen Schicksal der Protagonisten spiegelt. Es zeigt soziale Missstände, aber auch ein Justizsystem, das sich zum Spielball der Fernsehkameras degradieren lässt. Alles kann, nichts muss – außer die Begnadigung. Diese ist das Fanal im Reality-TV.
An mancher Stelle hätte man dem Film mehr Länge und Tiefe gewünscht, um die Figuren tiefer auszuleuchten und in ihren Profilen stärker zu zeichnen. Maryam findet sich in ihrer Rolle als von der Haft gezeichnete, hospitalisierte Frau, sich an das letzte Fünkchen Ehre klammert, wo schon alles verloren scheint. So bleibt vor allen Dingen Mona in manchen Szenen zu holzschnittartig. Ihr Hadern und auch ihre Verstrickungen werden in einem kurzen Telefonat aufgelöst, ihre eigene Schuld wird in einem kurzen Streit mit einem Passanten abgehandelt, zu kurz, aber doch auch zu bedeutend, um eine Randepisode zu sein.
Yalda ist die zweite Regiearbeit von Massoud Bakshi. Beim diesjährigen Sundance Film Festival wurde das Werk mit dem „World Cinema Grand Jury Prize“ ausgezeichnet, dem Preis für den besten internationalen Spielfilm. Die Crew durfte zum Festival in Park City nicht in die Vereinigte Staaten einreisen. Europapremiere feierte der Film auf der Berlinale Ende Februar. Hier wurde der Film in der Sektion „Generation 14plus“ versendet, in der Filme für Jugendliche gezeigt werden. Martin Theobald