Vielleicht war Guillermo del Toros The Shape of Water (2017) das rezenteste Filmbeispiel einer ganz skurrilen Liebesgeschichte zwischen Fischmann und Frau, ein durch und durch nostalgischer und konsensstiftender Film, der den klassischen Horrorfilm so einfühlsam wie klug neu befragte. Jumbo aber geht noch einen Schritt weiter und ersetzt nun das Menschliche mit dem Materiellen, das Subjekt mit dem Objekt.
Jeanne (Noémie Merlant), eine schüchterne, junge Frau, arbeitet als Nachtwächterin in einem Vergnügungspark. Sie lebt eine innige und doch ungesunde Beziehung mit ihrer Mutter Margarette (Emmanuelle Bercot). Kein Mann kann sich in diese Mutter-Tochter-Beziehung einfügen und so entwickelt Jeanne eine seltsame Bindung zu Jumbo, der neuen Groß-Attraktion des Parks und ja, beide verlieben sich ineinander. Der Zusatz, dass das Ganze auf „wahren Begebenheiten“ beruht, ist umso irritierender.
Die Hauptdarstellerin Noémie Merlant, bekannt aus Portrait de la jeune fille en feu (Céline Sciamma, 2019) ist die zentrale Einheit dieses Films, sie schafft es diese abstruse Geschichte, die schnell ins Lachhaft-Peinliche hätte abdriften können, zu festigen und ihr die nötige emotionale Tiefe einzuräumen. Das gründet vornehmlich auf ihrem Schauspiel, das viel freier, ungestümer ist, als noch in Céline Sciammas Film. Merlant spielt das mit einer ganz zarten Zerbrechlichkeit und einer ebenso entschlossenen Facette der Eigensinnigkeit. Die Frau braucht hier nicht mehr nur schematischer Gegenpol des männlichen Helden des melodramatischen Liebesfilms oder noch der romantischen Komödie zu sein.
Überhaupt kann die Frau, entgegen der Muster des klassischen Hollywoodkinos, aus ihrer rein funktionalen Rolle als Katalysator des Helden heraustreten. Es ist dies eine Heldin, die nicht mehr gebunden ist an die Moralvorstellungen und sittsamen Normen der Gesellschaft. Jeanne fühlt sich so innig verbunden mit diesem Jumbo, sodass Begeisterung, Leidenschaft, Tränen, Schmerz und Eifersucht schon bald ineinandergreifen und das Gefühlschaos erst recht freisetzen.
Es ist der Lichtsetzung und einem klugen Sounddesign zu verdanken, dass diese Beziehung zwischen Parkattraktion und Frau funktioniert. Und doch schafft diese amour fou grausame Situationen des Ausschlusses und der Isolation. Regisseurin und Drehbuchautorin Zoé Wittock findet dafür mittels ausgeklügelter und farbenreicher Beleuchtung ganz träumerische Bilder und auch die Filmmusik von Thomas Roussel, die an Ryūichi Sakamotos und Alva Notos The Revenant erinnert, generiert diese schwärmerische Atmosphäre.
Die französisch-belgisch-luxemburgische Produktion (Insolence Productions, Kwassa Films und Les films fauves) schafft mit dieser äußerst originellen Drehbuch-Idee eine diskursive Ausgangsbasis: Jumbo zeigt eine Gruppe von Menschen, die längst die Fähigkeit verloren haben, ihre Ansichten zu reflektieren und das verlorene Männlichkeitsideal ebenso verzweifelt aufrecht erhalten wollen, wie die eigene Selbsttäuschung. „La chose n’existe pas“ heißt es da an einer Stelle.
Die Mutter Margarette kann nicht über die Oberfläche der Erscheinungen hinwegsehen. Es ist ferner die Art wie der Film erzählt, das deutliche Evozieren einer romantischen Märchenerzählung, das ihn vor einer allzu vorschnellen Verurteilung des Publikums zu schützen vermag. Nicht zuletzt und besonders deshalb erreicht der Film auch den Charakter einer Disney-Verfilmung, wenn man da etwa an Beauty and the Beast denkt.
In Jumbo werden aus vorerst normal wirkenden Männern, die beim ersten Anblick doch so charmant erscheinen, plötzlich Monster. Mann und Frau gehen hier keine harmonische Verbindung mehr ein, sondern bereiten sich gegenseitig nur Kummer und Schmerz. So ist die verlässliche Grenze zwischen dem einen und dem anderen, zwischen Mensch und Maschine doch längst verschwunden. In dieser Hinsicht ist Zoé Wittocks Film auch als Kommentar auf die #metoo-Bewegung zu lesen, geradeso als sei das Kino nicht mehr imstande, von einer aufrechten Beziehung zwischen Mann und Frau zu erzählen. Und gleichzeitig erfüllt Jumbo dabei eine große Formel des Kinos: der Film als das Traum-Medium, in dem alles möglich ist.