In den frühen Siebzigern ging die britische Band Dr. Feelgood auf Canvey Island in Essex zum ersten Mal auf die Bühne. Reaktionär, fast schon revolutionär war damals der raubeinige, aber ungemein erfrischende Rhythm [&] Blues der alten Pubrock-Schule, mit dem sich die Jungs etablierten. Seit 30 Jahre sorgen sie mit ihrem schroffen Sound für gute Laune. Vor wenigen Monaten sind sie zusammen unter ihrem Frontmann Robert Kane erneut zu einer Welttournee aufgebrochen.
An Feelgood und Gruppen wie Nine Below Zero, Formationen, die sich fern von Electronic-Rock, Punk oder New Wave auf die Wurzeln des Rhythm [&] Blues, Boogie und Rock’n’Roll bezogen, inspirieren sich auch die Winklepickers. Seit gut sieben Jahren stehen die eigenwilligen Luxemburger auf der Bühne – Bandleader und Sänger Roger Melcher mit seiner Mundharmonika, der Autor und Kabarettist Roland Meyer auf der E-Gitarre, Paul „Low B“ Lebrun auf dem Bass und Tom „Tommy Boy“ Lehnert am Schlagzeug. Ihre Welt ist der knallig fetzende und rauchig pfeifende „English Ballroom Style” der 70er und 80er Jahre, der wiederum eine Hommage an die Pioniere des Blues darstellt. Nicht umsonst hat sich Nine Below Zero nach einem Song des Plantagenbarden und Blues-Harp-Virtuosen Sonny Boy Williamson II. benannt.
Nicht Nine Below Zero, dafür aber mit Don’t start me to talking, Checkin’up on my baby und Keep it to yourself singen die Winklepickers auf ihrem Album, das sie kürzlich bei Sacem herausgebracht haben, gleich dreimal Sonny Boy Williamson. Schlicht und einfach Twelve R[&]B Knock-Outs heißt die Scheibe, die neben den Williamson-Nummern neun weitere Titel von Willie Dixon, Kim Wilson, Elvis Presley, Sam Hopkins, Schofield oder Jimmy Reed trägt.
Die Platte ist alles andere als brav abgespulter und ehrwürdiger Rhythm [&] Blues aus vergangenen Tagen. Natürlich sehen sich Melcher, Meyer, Lebrun und Lehnert der alten Schule verpflichtet. Zusätzlich aber geben sie den teils populären, teils weni-ger bekannten Stücken einen neuen, ganz eigentümlichen Touch. Mit seiner matten, bröselnden und durch die Aufnahme etwas verzerrten Stimme zitiert Roger Melcher die großen Alten ohne sie dabei zu imitieren. Das kommt der Originalität der Interpretation nur zugute. Die vier Musiker versuchen erst gar nicht, sich mit Elvis Presley und der Unverkümmertheit von All shook up anzulegen. Bei ihnen kommt der Song mit markanten Rhythmen und schroffen Drums daher. Nummern wie Don’t start me to talking, Good time Charlie oder 29 ways bestechen durch die schrägen Gitarrensoli von Roland Meyer, eigenwillige Klangfarben und zünftige Beats. Ihren Namen hat die Band von den schmalen, spitzen Schuhen der Rock’n’Roll-Generation. Doch diese Winklepickers sind kein tänzelndes Leichtgewicht, sondern Rocker-Schuhe der Größe 47. Doch durch die direkte und ehrliche Art und Weise, mit der sie sich dieser Musik genähert haben, ist ihnen ein inspirierter Rhythm and Blues und ein schwungvoller Rock’n’Roll gelungen.
The Winklepickers: Twelve R[&]B Knock-Outs; Sacem DA08/018