Als sich CSV-Präsident Marc Spautz in einer parlamentarischen Anfrage nach einer von der LSAP vorgeschlagenen Erhöhung des Spitzensteuersatzes erkundigte, fertigte ihn Finanzminister Pierre Gramegna (DP) Mitte Mai mit der lakonischen Bemerkung ab: „Il n’y a pas lieu de prendre position sur l’une ou l’autre des idées qui alimenteront les discussions en vue de la réforme fiscale“. Diese sei erst für 2016 vorgesehen.
Doch wenige Wochen später beschloss die DP/LSAP/Grüne-Regierung – nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer – die Einführung einer neuen Steuer. Einer Zwecksteuer, die sich, so Erziehungs-, Kindheits- und Jugendminister Claude Meisch (DP) vor 14 Tagen, „auf 0,5 Prozent vom Gesamteinkommen der Haushalte hier im Land beziffern wird, außer den ganz kleinen Einkommen der Haushalte“.
Die Ankündigung dieser „Kindergeldsteuer“ sorgte für einige Überraschung. Dabei sieht schon das am 2. Dezember 2013 unterzeichnete Koalitionsabkommen vor: „Le Gouvernement étudiera la possibilité de pourvoir la CNPF de ressources propres avec une participation de l’Etat.“
Dass die Caisse nationale des prestations familiales (CNPF) nach dem Vorbild der Kranken- und Altersversicherung über Eigenmittel zur Finanzierung des Kindergelds verfügen soll, ist kein neuer Geistesblitz. Diese Finanzierungsform galt vielmehr seit Einführung des Kindergelds als der Normalfall. Das Gesetz vom 20. Oktober 1947 schrieb in Artikel 10 vor: „Les dépenses pour les allocations familiales seront couvertes par des cotisations à verser par les employeurs.“ Doch im Laufe der Jahrzehnte stieg der staatliche Zuschuss, bis 1994 die Unternehmerbeiträge restlos abgeschafft wurden, um die Lohnnebenkosten der Betriebe zu senken.
Auch wenn die Schwerindustrie, Staat und Gemeinden schon zuvor Kinderprämien gewährten, wurde das Kindergeld mit einiger Verspätung auf andere Länder eingeführt, im Rahmen des Aufbaus eines modernen Sozialstaats nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Berichterstatter Emile Colling (CSV), selbst Vater von fünf Kindern, hatte im März 1947 vor dem Parlament Vorwürfe bestritten, dass das neue Kindergeld „dem Staat Soldaten stellen und dem Kapital billige Arbeitskräfte in die Arme werfen“ solle. Vielmehr sollte es die „Unterlegenheit einer Familie ausgleichen gegenüber einer anderen, die weniger Kinder hat. Eine Familie, die Kinder hat, muss leben können wie eine, die keine Kinder hat“.
Wegen dieser „horizontalen“ Umverteilung und ihrer Förderung der Hausfrauenehe galt den Familienzulagen das besondere Interesse der Christlich-sozialen, denen die vertikale Umverteilung zwischen Reich und Arm stets etwas kommunismusverdächtig war. Emile Collings Parteikollege Jean-Baptiste Rock nannte das Kindergeld einen „Familienlohn“, der, so Colling, „dem Arbeiter zusteht aufgrund seiner Arbeit, für die er auch bezahlt werden muss. Er wird bezahlt, weil der Vater gegenüber einem Junggesellen und gegenüber dem Volksganzen dadurch eine Mehrarbeit leistet, dass er eine Familie großzieht“. Außerdem solle der Kinderreichtum gefördert werden, denn „das größte Übel in Westeuropa ist derzeit der Geburtenrückgang“.
Heute scheint dagegen das größte Übel in Westeuropa ein Sozialstaat zu sein, der sich nicht auf die Armutsbekämpfung beschränkt, sondern auch volkswirtschaftliches Einkommen umverteilt. Deshalb haben sich im Zeichen von Sparmaßnahmen alle Regierungen seinen Umbau ins Programm geschrieben, und hierzulande sind die Familienzulagen die bevorzugte Baustelle. Schließlich gab der Staat im Jahr 2012 rund 1,08 Milliarden Euro für Familienzulagen aus bei einem Gesamthaushalt von 11,5 Milliarden Euro. Davon entfielen 711,4 Millionen alleine auf das Kindergeld einschließlich Schulanfangsprämie.
War es während Jahrzehnten üblich, kurz vor den Wahlen das Kindergeld zu erhöhen, um die Wählergunst zu gewinnen, stehen heute Einschränkungen beim Kindergeld und verwandten Zulagen auf dem Programm. Denn sie sind politisch leichter durchzusetzen, weil sie derzeit nicht, wie die Kranken- und Rentenversicherung, durch Beiträge finanziert werden. Dadurch sind die Bezieher keine Versicherten, denen direkte Ansprüche aus ihren Beitragszahlungen zu erwachsen scheinen.
Aus diesem Grund wollte die Regierung sich in den vergangenen Tagen auch nicht richtig auf die Natur der neuen Steuer festlegen, nannte sie lieber schwammig „Abgabe“ oder „Beitrag“. Auch wenn „Abgabe“ der Sammelbegriff für alle Steuern, Beiträge und Gebühren ist und „Beitrag“ der Idee des Sozialversicherungsbeitrags entspricht. Obwohl das Koalitionsabkommen eine Art Sozialversicherungsbeitrag zur Caisse nationale des prestations familiales vorsieht, kündigte Claude Meisch an: „Die Einnahmen werden prioritär dazu dienen, um weiter in Sachleistungen für Kinder zu investieren.“ Etwa „in die Schule“, in die „weitere Verbesserung der Kinderbetreuung“. Im „Kleinkindbereich soll die Orientierung und Vorbereitung auf die Schule noch stärker gefördert werden“, die „Frühförderung soll ganz groß geschrieben werden, unter anderem mit zweisprachigen Kinderkrippen“ – aber selbstverständlich das Ganze auch im Rahmen der „Haushaltssanierung“.
Indexierung → Desindexierung Seit seiner Einführung war das Kindergeld an den Index gebunden. Der erste große Versuch zur Reduzierung des Kindergelds erfolgte mit der nominalen Einfrierung der Kindergeldbeträge und der anderem Familienzulagen nach den Tripartite-Beschlüssen vom April 2006. Durch diese Desindexierung, die dem Staat bei jeder Indextranche über 25 Millionen Euro erspart, fraß die Inflation nach Berechnungen der Salariatskammer bis heute 18,8 Prozent des Kindergelds weg. Aber die Desinflation der vergangenen Jahre und die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank führten dazu, dass diese Form der Kindergeldsenkung offenbar mangels Inflation zu lange dauert.
Kindergeld → Chèques services Deshalb wurden die ohnehin nicht über das Wahlrecht verfügenden rund 150 000 steuerpflichtigen Grenzpendler als nächstes großes Sparpotenzial beim Kindergeld ausgemacht. Der parlamentarische Berichterstatter für den Staatshaushalt 2005, Laurent Mosar (CSV), hatte schon vor zehn Jahren Alarm geschlagen: Die „Explosion der Zahl der Grenzpendler“ koste den Staat „deutlich mehr, als sie ihm einbringt“. Denn sie habe unter anderem dazu geführt, dass die Kindergeldzahlungen ins Ausland inzwischen „275 Mal höher als vor 14 Jahren“ seien. 2009 knallte es auch im Wahlprogramm der DP: „Export von Kindergeld ins nahe Ausland explodiert. Weit über 250 Millionen Euro müssen jährlich aufgrund europäischer Regelungen an Familienleistungen ins nahe Ausland überwiesen werden.“ Unter dem Deckmantel der sozialen Selektivität wurde die nationale Selektivität eingeführt.
Schon als sie 2007 beschloss, die Kinderermäßigung auf der Einkommenssteuer in eine „Kinderbonus“ genannte Kindergelderhöhung umzuwandeln, hatte die CSV/LSAP-Regierung erfolglos versucht, an der „Exportabilität“ des Kinderbonus vorbeizukommen, das heißt, ihn den Grenzpendlern vorzuenthalten. Dann hatte der damalige Premier Jean-Claude Juncker (CSV) in seiner Erklärung zur Lage der Nation 2008 angekündigt, „anstatt das Kindergeld pauschal für jedes Kind zu erhöhen“, wie es offenbar für die bevorstehenden Wahlen fällig war, die Kindergelderhöhung durch Chèques-services zu ersetzen. Diese Schecks können die Bezugsberechtigten bei ihren luxemburgischen Gemeinden gegen Dienstleistungen bei der Kinderbetreuung einlösen – Grenzpendler aber nicht bei ihren lothringischen, wallonischen oder rheinland-pfälzischen Gemeinden. Weil auch das inzwischen zu kostspielig schien, wurden die Schecks durch Tariferhöhungen für Familien mit dem dreifachen oder dreieinhalbfachen Mindestlohn teilweise entwertet – 2012 gleich zweimal innerhalb von vier Monaten. Weitere Kürzungen von werden erwogen.
Kindergeld → Stipendien Aus der gleichen Überlegung heraus schaffte die CSV/LSAP-Regierung 2010 das Kindergeld für Studierende über 21 Jahren ab und ersetzte es durch höhere Studiengelder für Einheimische, während die studierenden Kinder von Grenzpendlern leer ausgehen sollten. Auf diese Weise wollte Premier Jean-Claude Juncker 40 Millionen Euro jährlich sparen, wie er dem Parlament vorgerechnet hatte. Seit der Europäische Gerichtshof die bedingungslose Benachteiligung der Grenzpendler aber für Unrecht erklärte, wurde die Abschaffung des Kindergelds für Studierende zu einem politischen Desaster, das auch die Nachfolger weiter verwalten.
Arbeitgeberbeiträge → Staat → Arbeitnehmerbeiträge Die ökosozialliberale Koalition begnügt sich aber nicht damit, die Abschaffung des Kindergelds für Studierende zu verwalten, sie hat bereits zwei weitere Versuche beschlossen, das Kindergeld zu senken. Das eine ist die Kindergeldsteuer, die nicht so genannt werden darf. Durch sie sollen die rund 105 000 Familien, die Kindergeld beziehen, einen Teil ihres Kindergelds als 0,5-prozentige Steuer auf ihren Einkünften zurück an den Staat abführen. Daneben sollen auf diese Weise, so Claude Meisch, „alle Familien, die Kinder haben, die keine Kinder haben, alle Generationen ihren Beitrag leisten, jedes Einkommen wird auch da herangezogen bei der Berechnung“.
Dabei ist es ökonomisch unwichtig, ob diese Steuereinnahmen direkt an die Caisse nationale des prestations familiales gehen oder indirekt, indem sie die Staatskasse, aus der die Familienzulagen gespeist werden, bei anderen Ausgaben der Kinderbetreuung entlasten. Wobei das Bemühen, „vor allem in Sachleistungen“ zu investieren „und weniger auf Geldleistungen zurückzugreifen“, so Claude Meisch, nicht nur pädagogischen Überlegungen gehorcht, sondern auch dem Bemühen, Grenzpendlerkinder auszuschließen.
Der von Minister Meisch angekündigte „Systemwechsel“ bei den Familienzulagen wird nicht zuletzt in der historischen Perspektive deutlich: Von seiner Einführung 1947 bis 1994 wurde das Kindergeld teilweise aus Unternehmerbeiträgen finanziert. Dann wurde es von 1994 bis 2014 ganz aus der Staatskasse gezahlt. Und ab 2015 soll es teilweise aus den Beiträgen der Erwerbstätigen finanziert werden. Denn auch wenn die neue Steuer voreilig mit der Solidaritätssteuer verglichen wird, besteht der große Unterschied doch darin, dass die Betriebe keine Kindergeldsteuer zahlen sollen.
Staffelung → Einheitsbeträge Als zweite Sparmaßnahme hat die Regierung beschlossen, in Zukunft das Kindergeld für Familien mit mehr als einem Kind zu kürzen. Derzeit ist dem Staat das erste Kind einer Familie 185,60 Euro wert, das fünfte Kind aber 305,28 Euro. War der Kindergeldbetrag ursprünglich für alle Kinder einheitlich, so wurden nach und nach höhere Beträge, erst ab dem fünften, schließlich ab dem zweiten Kind einer Familie eingeführt. Wobei die Erläuterungen zur Reform von 1959 betonten, dass damit weniger der Kinderreichtum gefördert werden als der Tatsache Rechnung getragen werden sollte, dass Familien mit mehreren Kindern höhere Ausgaben entstünden.
Doch nun findet Claude Meisch, „dass der natalistische Aspekt, der in der Regel heute drin ist, dass ich für das zweite, das dritte und das vierte Kind immer mehr Kindergeld zusätzlich bekomme als für das vorige, dass das heute nicht mehr in diese Welt passt und nicht mehr den Bedürfnissen und der Kostenstruktur der Familien mit Kindern Rechnung trägt“. Durch die unter anderem im LSAP-Wahlprogramm angekündigte Senkung des Kindergelds für alle Familien mit mehr als einem Kind auf 186,60 Euro pro Kind spart der Staat laut Generalinspektion der sozialen Sicherheit jährlich 125 Millionen Euro. Da die Regierung aber beschloss, die Regelung nur für nach dem 1. Januar 2015 geborene Kinder anzuwenden, werden die Einsparungen in den ersten Jahren deutlich geringer ausfallen.