Sollten die politischen Parteien weitere Argumente benötigen, um sich im Wahlkampf für den Tiers payant généralisé auszusprechen, so lieferte sie vergangene Woche die CNS. Laut ihrem Jahresabschluss und Jahresbericht 2017 wurden erneut mehr Schecks ausgestellt als im Jahr zuvor und der Rückgriff auf den Tiers payant social nahm weiter zu.
Seit 2009 kann wer zur Begleichung einer Rechnung mehr als 100 Euro vorgestreckt hat und nicht warten will, bis die CNS die Rückerstattung überweist, sich innerhalb von zwei Wochen in einer ihrer Agenturen einen Scheck schreiben lassen. Schon 2009 geschah das 177 000 Mal, was die Kasse überraschte. Aber damals war Krise, das mochte eine Erklärung sein. Irgendeine Krise scheint aber immer noch zu herrschen, denn die Zahl der Schecks wächst stetig: bis auf 235 835 im vergangenen Jahr. Fünf Prozent mehr als 2016 und so viele, als hätten 40 Prozent der ansässigen bei der CNS Krankenversicherten sich 2017 einmal einen Scheck austellen lassen.
Noch stärker – um 16 Prozent – stieg die Inanspruchnahme des Tiers payant social: Für vom Sozialamt als bezugsberechtigt Anerkannte bezahlt die CNS drei, eventuell sechs Monate lang alle Rechnungen direkt. Inklusive Eigenbeteiligungen der Patienten, die der CNS später das Sozialamt erstattet. Wurden 2016 auf diesem Weg 33 116 Rechnungen über insgesamt 2,13 Millionen Euro beglichen, waren es vergangenes Jahr 38 567 Rechnungen über 2,57 Millionen Euro.
Grund zur Annahme, diese Zahlen würden dieses Jahr sinken, besteht nur hypothetisch. Wohl machte im Herbst 2016 die Krankenkassen-Quadripartite ab, von den Überschüssen in der Krankenversicherung 25 Millionen Euro jährlich an die Versicherten auszureichen. Das bezieht sich aber vor allem auf Leistungen, für die die CNS bisher nicht oder wenig aufkam und wofür die Patienten entweder aus eigener Tasche zahlten oder die Kosten an eine Zusatzversicherung weiterreichten. Ob das den Bedarf an Schecks oder die Häufigkeit von Notlagen verkleinert, ist ungewiss.
Der Aufwand um Schecks und Tiers payant social müsste nicht sein, wenn auch in Luxemburg wie in den meisten europäischen Ländern das allgemeine Drittzahlerprinzip gälte: Jede Rechnung ginge an die Kasse, der Patient zahlte nur die Eigenbeteiligung, falls eine besteht. Doch nach der wohlwollenden Diskussion einer Petition Ende Februar im Parlament ist es um den Tiers payant généralisé wieder still geworden – sieht man davon ab, dass der Ärzteverband AMMD eine Grundsatzreform der Krankenversicherung fordert und ihn darin ein absolutes No-Go nennt.
Das ist auch ein Hinweis darauf, wie schwierig Änderungen an dem sehr komplexen System wären und dass man genau wissen müsste, was man politisch will. Hinzu kommt, dass es gegen den Allgemeinen Drittzahler noch andere Argumente gibt als die der AMMD. Das hat die meisten großen Parteien in ein „Sowohl als auch“ gebracht. Nur die LSAP verspricht den Drittzahler unumwunden, die Grünen nur „mittelfristig“. Die DP will die bestehenden Tiers-payant-Regelungen lediglich „ergebnisoffen auf den Prüfstand stellen“. Die literarisch wertvollste Ankündigung macht die Partei mit dem „Plang fir Lëtzebuerg“: Die CSV will sich „einsetzen für die Ausdehnung des ,Tiers-payant‘; der ‚Tiers-payant social‘ wird erweitert; bei hohen Rechnungen über einen zu definierenden Betrag soll er automatisch greifen; bei Langzeiterkrankungen, chronischen Krankheiten und bei chirurgischen Eingriffen soll eine generelle ‚Tiers-payant‘-Regelung spielen können“. Kann-Regeln bestehen allerdings schon heute, und jede „hohe Rechnung“ zu einem Sozialfall zu erklären, wäre absurd. Vermutlich sorgt die nächste Regierung für ein bisschen mehr Sozialmedizin, weil sie wie die aktuelle nicht weiß, was sie will.