Es ist sehr warm, als Vizestaatsminister und Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) am vergangenen Freitag kurz nach 16 Uhr in Remerschen im Hemd und ohne Krawatte bei der World City Miselerland vorfährt, den Ferienaktivitäten der Region. Er soll dort Schulkindern den Bergbau im All erklären, sein Vorzeigeprojekt Space Mining, das er sonst vor internationalen Investoren feilbietet. Das Empfangskomitee, die gewählten (allesamt männlichen) Vertreter des Kinderparlaments, überreicht Schneider zur Erfrischung eine Mehrwegwasserflasche als Gastgeschenk. Auf dem Weg zur Bibliothek, wo Schneider reden wird, lässt er sich zwischen Luftballons und bemalten Blumentöpfen die World City Charta, das Gesetzbuch erklären. Der Bodyguard des Kinderpräsidenten stellt sich vor. Daraufhin stellt Schneider seinen eigenen Bodyguard vor. Dass der eine Waffe trägt, macht mächtig Eindruck bei den Jungs. Im Treppenhaus steckt der junge Vizepräsident dem bewaffneten Polizisten ein paar Bonbons zu.
In der Bibliothek ist es noch wärmer als draußen. Auf Stühlen und auf den Boden gehockt warten ungefähr 60 Zuhörer, müde von einem Tag Ferienaktivitäten und von der Hitze entweder betäubt oder besonders hibbelig. Für die Kameras hockt sich Schneider erst einmal zwischen die Kinder, dann stellt er sich vor ihnen auf, im Rücken die Regale mit Kinderbüchern. Den Jungs von der Weltregierung flankieren ihn. Anschauungsmaterial hat Schneider keines dabei, keine Bilder, kein Video, nichts. Der routinierte Redner legt los und beginnt mit einer historischen Rückblende. Er erzählt von SES und den Satelliten. Soweit deckt sich die Einleitung mit der, die bei jedem Business-Seminar in der Handelskammer gehalten wird.
Schnell wird er unterbrochen. Wie viele Satelliten Luxemburg hat? „Etwas mehr als 60 oder 65“, rechnet Schneider Pi mal Daumen. „Jeeesssusss!“ entfährt es einer beeindruckten Vorschülerin laut, zumal Schneider hinzufügt, dass einer davon 120 Millionen Euro kostet. Das klingt nach viel, aber wirklich etwas anfangen mit dieser Summe kann das Publikum nicht. „Wer von euch hat ein Handy?“ versucht es Schneider anders. Fast alle Hände gehen hoch. „Um eines zu bauen, brauchen die Hersteller seltene Erden. Die heißen so, weil sie selten sind. Diese Mineralien gibt es nicht überall“, – ein bisschen Geopolitik kann nicht schaden. „Wenn die immer seltener werden, dann werden sie teurer und die Handys werden teurer. Dann kann sich von euch niemand mehr ein Handy leisten; dann reicht das Taschengeld nicht mehr.“ Nächste Frage: Ob Satelliten auch Wifi übertragen? Der Wirtschaftsminister muss einen Moment überlegen, meint Nein, obwohl SES dabei ist, eine milliardenschwere Flotte an nicht geo-stationären Satelliten aufzubauen, um Internetdienste rund um den Globus anzubieten.
Eine weitere Hand geht hoch. Erwartungsvoll erteilt Schneider das Wort. „Die Sonne blendet!“, beschwert sich der Junge. Die Jalousien surren, es wird dunkel, Weltraumatmosphäre. „Space Mining ist eigentlich kein ganz richtiger Ausdruck. Das steigen keine Menschen in die Minen wie früher im Minett. Auf den Asteroiden machen das Maschinen und Roboter“, erklärt der Minetter Schneider. Immer auf die Wirtschaftsdiversifizierung bedacht, erläutert er, was das All sonst noch an Geschäftsmöglichkeiten bietet. Zum Beispiel Weltraumreisen; schon heute könne man Tickets für Reisen in die Schwerelosigkeit kaufen. „Da gibt es einen, der das anbietet. Die Flugzeuge gehören Richard Branson.“ Und es gebe auch schon einen Luxemburger, der eine solche Fahrkarte besitze. „250 000 Euro kostet sie. Das ist teurer, als in Urlaub fahren.“ Vom Reisen versucht Schneider auf das Thema Siedlung umzuwechseln. Was man wohl alles braucht, um ein Haus oder ein Dorf auf dem Mond zu bauen? Das ganze Material mitnehmen werde teuer, erklärt Schneider. „Was glaubt ihr, was es kostet, um ein Kilo nach oben zu schießen?“ Nach kurzen Beratungen, klärt Schneider auf. „10 000 bis 15 000 Euro.“ Aber die gute Nachricht, beruhigt der Minister, sei, dass es da oben viel von dem gebe, was man brauche, um dort zu wohnen.
„Kann man da atmen?“, sorgt sich ein Schüler. „Nein“, muss Schneider einräumen, dass es keine Atmosphäre gibt. Eine Diskussion entsteht, ob man aus dem Haus auf dem Mond einfach zur Tür herausgehen kann, oder etwa nur durch einen Tunnel mit Luftschleusen den Nachbar besuchen kann. Schneider bewegt Arme und Beine im Zeitlupentempo um den Space Walk in der Schwerelosigkeit anzudeuten.
Eine neue Diskussion entsteht. Wenn es keinen Sauerstoff gibt, ist denn Trinkwasser vorhanden? Nein, aber darum sei es so wichtig, dass im All Eis gefunden worden sei. Weil es doch so teuer ist, ein Kilo hochzuschicken, erklärt Schneider, dem viele nicht abkaufen wollen, dass es genauso teuer wäre, einen Liter Wasser hochzuschicken. „Ein Liter ist ein Kilo“, behauptet sich der Minister, „und das kostet zwischen 10 000 und 15 000 Euro. Das ist mehr als eine Flasche Viva!“. In der hinteren Reihe veranstalten zwei Kumpels einen Trinkwettbewerb. Ob sie es schaffen, drei Viertel Liter Wasser leer zu trinken, bevor sie nach Hause müssen?
Der Minister lenkt die Diskussion zurück auf die Immobilienpromotion auf dem Mond. Wenn man die Materialien, die man vor Ort vorfinde, vor Ort verwende könne, spare das viel Geld und Aufwand. Und da gebe es doch eine Luxemburger Firma, die 3D-Drucker ins All schicke, fügt er die Standortpromotion nahtlos in seine Erklärungen ein. Was ein 3-D-Drucker ist, behauptet eine Mehrheit zu wissen. Die anderen inspizieren Schmetterlinge, Feen- und Raubtiergesichter, die man ihnen im Face-Painting-Atelier verpasst hat. Ein Mädchen, das seine Schuhe ausgezogen, gönnt sich eine Reflexzonenmassage, indem es die Füße auf einer Wasserflasche mit dem Schriftzug „Let’s make it happen“, vor- und zurückrollt.
Sein Exposé kann Schneider mittlerweile vergessen. Was hier interressiert, ist, ob es Leben auf anderen Planeten gibt. „Meines Wissens nicht“, pariert Schneider die Frage nach den Aliens. Ob der Mond nur aus Staub und Stein besteht, will jemand wissen. „Sonst könnte man einen Baum pflanzen“, schlägt er vor. Ob es in der Bibliothek wohl den Kleinen Prinzen zum Ausleihen gibt? Der Wirtschaftsminister denkt weniger an Baobabs und anspruchsvolle Rosen, als an seinen Förderungsauftrag. „Es gibt da eine Luxemburger Firma“, setzt er erneut an, „die schickt demnächst ein Aquarium hoch.“ Geräusche des Zweifels werden hörbar. Ein wirkliches Aquarium mit Fischen sei es zwar nicht, räumt der Minister ein. „Aber kleine Lebewesen sind drin, um zu sehen, ob das klappt mit dem Kinderkriegen da oben.“
Das mit den Steinen und dem Staub will manchen nicht so recht aus dem Kopf. Deswegen beschwichtigt Schneider, man habe auf Asteroiden auch andere Materialien gefunden. „Gold und Platin“. „Eh eh!“, entfährt es einer Prinzessin ungläubig. Die Kampftrinker in der letzten Reihe haben ihre Flaschen geleert, die sie nun auf dem Kopf balancieren.
Weiter vorne wird die Diskussion immer elementarer, schrammt die Newtonschen Gravitationsgesetze. Um die Erdanziehungskraft zu veranschaulichen, gibt Schneider das Beispiel eines Buches, das aus dem Regal auf den Boden fällt. Nicht jeder kann ihm folgen. „Was passiert dann, wenn ich vom Regal springe?“ Andere denken weiter: Warum überhaupt die Planeten im Weltraum schweben? Der Minister kramt sichtlich angestrengt sein Physikwissen hervor, gibt sich aber keine Blöße. „Wir sagen alle Danke“, leitet eine Betreuerin die letzte Frage ein. Eine halbe Stunde lang hat ein Mädchen ununterbrochen ausgestreckt, um den Minister endlich fragen zu können, ob das im All gefunde Eis von der Erde kommt. „Danke!“, schallt es im Chor. Die Kinder springen auf, drängen zur Tür heraus, wählen zwischen den Space-Resources-Werbegeschenken aus – Buntstifte, Frisbees, Hefte und „ein Lineal aus dem All!!“. Schneider interessiert sie nicht mehr. Mit der Beute geht es ab nach Hause. Während die jungen Vorsitzenden der World City Interviews geben, wischt er sich abseits des Scheinwerferlichts den Schweiß ab. „Das war anstrengender als Venture-Capital-Fonds Rede und Antwort zu stehen!“, sagt er noch RTL. Die Weltraum-Wirtschaftsmission in Remerschen ist vorbei.
Ines Kurschat
Kategorien: Parlamentswahlen 2018
Ausgabe: 27.07.2018