„So eine Oppositionspolitik machen wir nicht“, sagt Sam Tanson. Keine wie die CSV, die in der vorigen Legislaturperiode wegen der hohen Energiepreise systematisch gegen Déi Gréng schoss. Doch dann verlangt Joëlle Welfring, die frühere Umweltministerin: „Die Regierung müsste sich für billigen Strom einsetzen!“ Weil für die kleinen Verbraucher/innen der Endpreis im Schnitt 30 Prozent höher sein werde als voriges Jahr. Denn der Strompreisdeckel gilt nur noch zur Hälfte. Hinzu kommt die neue Netztarifstruktur. Die ist seit Anfang des Jahres in Kraft, bezieht sich nicht nur auf die aus dem Netz bezogene Menge an Strom, sondern auch auf die entnommene Leistung über der Zeit. Die 30 Prozent Preissteigerung habe das Statec im Dezember in seiner letzten Konjunkturnote beschrieben, sagt Joëlle Welfring. Mit Sam Tanson und Parteipräsident François Benoy gibt sie eine Pressekonferenz zur Frage „Energiepolitik an der Sakgaass?“ Der Strompreis ist dort nicht das einzige Thema, aber das prominenteste.
Für die Grünen ist die Forderung „billiger Strom“ geradezu historisch. Bisher war ihr Standpunkt, Preiswahrheit sei die Grundlage für nötige Verhaltensänderungen. So setzten sie in der letzten Regierung mit DP und LSAP die CO2-Steuer durch. In ihrem Programm zu den Kammerwahlen 2023 meinten die Grünen noch: „Klar ist: Strom für die Kühltruhe oder das Kochen mit der Familie zu verbrauchen, im Winter zu heizen und moderne Mobilität zu nutzen, darf nicht an der Angst vor der Rechnung scheitern.“ Sie versprachen aber nicht billigen Strom für alle, sondern „gezielt untere Einkommensgruppen noch stärker [zu] unterstützen und attraktive Anreize bereit[zu]stellen, so dass alle ihren gerechten Beitrag zur Energiewende leisten können“.
Ticken Déi Gréng nun anders, weil das unschöne Etikett „Verbuetspartei“ Wählerstimmen gekostet hat? Dass sie in der Opposition soziale Kompetenz beweisen wollen, ist schon länger zu beobachten. Etwa an ihrem Eintreten für einen höheren Mindestlohn. Der Zeitpunkt für die Energie-Pressekonferenz scheint taktisch clever gewählt: In etwa einer Woche werden die Stromversorger ihrer Kundschaft die Rechnungen für den Januar schicken. Dann werden die neuen Preise sich zeigen.
Doch hauptsächlich stört Déi Gréng, dass die Netztarife und der bloß noch halbe Preisdeckel dazu führen könnten, dass weniger Leute sich für eine Wärmepumpe interessieren. In seiner Konjunkturnote vom Dezember hat das Statec vorgerechnet, eine Wärmepumpe würde 2025 in den Betriebskosten „vergleichbar“ mit fossilen Heizungen. 2026, wenn es gar keinen Strompreisdeckel mehr gibt, würden Gas- und Ölheizungen rentabler als Wärmepumpen. Vor allem Ölheizungen, die mit dem großen carbon footprint. Also fordern die Grünen eine „intelligente Netztarifgestaltung, die klimafreundliches und netzdienliches Verhalten belohnt“. Nachlässe oder Boni für Leute mit Wärmepumpe und Elektroauto demnach. Und einen Spezialfonds im Staatshaushalt: Über ihn könnten die Investitionskosten in die Stromnetze, bis 2035 dreistellige Millionenbeträge pro Jahr, über Jahrzehnte hinweg abgeschrieben werden.
Ein wenig Populismus steckt in den grünen Positionen, opposition oblige. Vor allem aber stellen sie die Grundsatzfrage nach der Rolle von Staat und Markt in der Energieversorgung. In der EU gilt seit 30 Jahren: Strom- und Gasversorgung sind auf der Produktseite liberalisiert. Wie zum Beispiel auch Eisenbahn und Telekommunikation. Die Netze dagegen sind reguliert. Die neuen Stromnetztarife setzen eine EU-Verordnung von 2019 um, die über das „Verursacherprinzip“ für eine „effizientere“ Netznutzung sorgen soll. Dass daraus ein politisches Problem für DP-Energieminister Lex Delles wurde, lag vor allem an der ungeschickten Kommunikation der Luxemburger Regulierungsbehörde ILR, die die neue Tarifstruktur ausarbeitete, wie es ihr Auftrag ist. Das begann schon unter Delles’ grünem Vorgänger Claude Turmes. Man hat es ja mit einem EU-Gesetz zu tun.
Was Delles bisher nicht deutlich gesagt hat: Da durch die neuen Netztarife die Endpreise steigen, entsteht implizit Druck für mehr Konkurrenz bei den Preisen für den Strom selber. Für mehr Markt also. Für die kleinen Stromverbraucher, sofern sie nicht Eigenversorger aus einer Solarstromanlage sind, gibt es neben dem Riesen Enovos und seiner Tochter Leo nur zwei weitere Stromversorger. Die Produkte aller Versorger differieren im Preis pro Kilowattstunde wenig. Unter anderem deshalb wechseln nur wenige Leute den Anbieter.
Die unausgesprochene Wette lautet, dass sich das ändert. Dass mehr Konsumenten sich einen Versorger suchen, der bessere Strompreise bietet. Und dass die Versorger neue Tarifmodelle entwickeln. Die CSV-DP-Regierung ringt mit den Erwartungen, die geweckt worden waren, als die Tripartite 2022 die Preisdeckel für Strom und Gas beschloss und sie 2023 verlängerte. Das geschah nicht in erster Linie, um den Leuten einen Gefallen zu tun. Die DP-LSAP-Grüne Regierung griff in die Staatskasse, um Index-
tranchen zu verhindern und die Betriebe zu schonen. Die Entlastung der kleinen Energieverbraucher war ein Nebeneffekt. Er nährte aber die Idee, dass es am Staat sei, auf die Energiepreise Einfluss zu nehmen. Tut er das mit der künstlich niedrig gehaltenen Besteuerung von Diesel und Benzin nicht irgendwie auch?
Es hatte etwas zu bedeuten, dass die DP-Abgeordnete und Vorsitzende des parlamentarischen Wirtschaftsauschusses, Carole Hartmann, im Oktober in einer kurzen Diskussion im Kammerplenum über die neuen Netztarife sagte, „sehr wichtig“ sei der Online-Rechner Calculix auf der Internetseite des ILR. Mehr sagte sie nicht, aber Calculix erlaubt detaillierte Preisvergleiche. In Sekundenschnelle den Stromversorger zu wechseln, erlaubt er ebenfalls.
Dass das bisher selten geschieht, liegt auch daran, dass der Endpreis für Strom im Schnitt nicht wirklich hoch war. Strom wird noch weniger besteuert als Diesel und Benzin. Abgesehen von der TVA zum reduzierten Satz von acht Prozent liegt auf dem Stromverbrauch nur eine kleine Steuer von 0,1 Cent pro Kilowattstunde, die der Pflegekasse zugute kommt. Das ist seit 1999 so. Und so waren laut Eurostat im ersten Halbjahr vorigen Jahres 100 Kilowattstunden, in Kaufkraftparitäten ausgedrückt, nur in Malta mit 14 Euro billiger als in Luxemburg mit 15,34 Euro. In Frankreich lag der so berechnete Durchschnitt bei 25,83 Euro, in Belgien bei 29,89 Euro, in Deutschland bei 35,13 Euro.
Ob diese Verhältnisse sich wesentlich ändern werden, bleibt abzuwarten. Vermutlich bleiben die Preise niedrig genug, um politisch eher Grund für gezielte Unterstützungen zu liefern als für Subventionen für alle oder Nachlässe in den Netzkosten für manche. Das Statec schrieb im Dezember auch, „längerfristig“ sei eine Wärmepumpe sehr wohl rentabler als eine Ölheizung. Und sieht vor allem für Besitzer von Elektroautos höhere Kosten kommen: 600 Euro mehr im Jahr für einen Vierpersonenhaushalt mit E-Mobil. Doch die lassen sich drücken, wenn das Auto über Stunden mit kleiner Leistung geladen wird, statt mit voller Power so rasch es geht. Die interessanteste Entwicklung wäre, wenn demnächst im großen Stil der billigste Strom abonniert würde. Dieser Strom ist nur zum Teil grün. Er kommt auch aus Braunkohle mit viel CO2 und aus Atomkraftwerken. Quellen, aus denen eine Wärmepumpe oder ein Elektroauto eigentlich nicht speisen sollte, wer sich ein ökologisch reines Gewissen bewahren möchte. Dann könnte sich ein neues politisches Problem stellen und die Frage nach Staat und Markt in der Energieversorgung wieder auf den Tisch kommen.