David Mouchtar-Samorai hat sich der weitgehend unbekannten Theaterarbeit Klein Eyolf aus dem Jahre 1894 angenommen und dieses Werk für das Théâtre national du Luxembourg zu Eyolf Trauma umgearbeitet und inszeniert. Zu Recht wundert sich Dramaturg Andreas Wagner über die mangelnde Aufmerksamkeit, die dieses Bühnenstück des Norwegers erfuhr. Ibsen prägte den skandinavischen Naturalismus wohl stärker mit Titeln wie Hedda Gabler und Nora oder ein Puppenheim.
Wer die Vorstellung der Produktion jedoch besuchte, wurde sich der typischen Schwerpunkte des Bühnendichters umgehend bewusst. Die von Mouchtar-Samorai leicht umgearbeitete Vorlage legt die innere und äußere Qual eines Paares frei, dessen Sohn Eyolf in den Wogen des nahen Fjords ertrunken ist. Das physische Leiden der Mutter Rita und die psychisch zutiefst zerrüttete Persönlichkeit des Vaters Alfred liefern den Nährboden für eine sowohl tiefenpsychologisch als auch allegorisch geprägte Austragung eines Ehezwists, in dem nichts mehr schmerzt als das Aufwarten mit nackten Wahrheiten. Die Beziehung ist durchzogen von Schuld, Reue und dem Eingeständnis, dass das Kind auch lebend „wie eine lebende Wand zwischen uns“ stand.
Die allegorische Qualität des Rattenmannes, eng an die Legende des Rattenfängers von Hameln angelehnt, veräußerlicht die Schuld der Eltern, die ihrem Sohn wenig Liebe schenkten und – wie Alfred mit dem Abschluss seines Buches zum Thema Verantwortung – engstirnig an der Selbstverwirklichung festhielten.
Der streckenweise hinter einer rhetorischen Versachlichung verborgene, mental leere Vater (Ulrich Gebauer) und die am selben Ort verweilende Schwester Asta (Nora Koenig) wirken in den ersten Minuten zu sehr vortragend, zu sehr in ihrem Textkorsett gefangen, als dass die Inszenierung die sich im Nachhinein auch als unnatürlich erweisende Geschwisterliebe plastisch darstellen könnte. Hier hilft Christoph Rasche mit seinem spitzfindigen Bühnenbild: Die ständige Bedrohung, die Schuldenlast und das Verharren in einer rückwärtsgewandten Gedankenflucht wird mit dem bläulichen Tunnel einer sich überschlagenden Riesenwelle über den Köpfen der Darsteller angedeutet und verlängert damit den ebenfalls blauen Boden, an dessen hinterem Ende eine Mauer an den Fjord grenzt.
Diese Kulisse wird jedoch mit fortlaufender Handlung durch das sich zusehends in die jeweilige Rolle einfühlende Ensemble verstärkt. Vor allem die in ihrer anfänglichen Aggressivität nahezu kontrapunktisch agierende Mutter Rita (Julia Wieninger) steigert das Konfliktpotenzial. Die grundsätzlich untrennbar wirkenden Bande zwischen Alfred und Asta – deren Darstellerin Schritt für Schritt und schließlich vollständig in ihre Rolle findet – sorgen für eine tabulose Offenlegung dieser psychologischen Auseinandersetzung, die letztlich in einem Chaos ausartet, aus dem die Schwester in letzter Minute zu entfliehen weiß. Ansonsten würde sie wohl Teil dieser seelischen Selbstzerfleischung werden.
Die parallel und in Schüben eingefügte Rolle des Rattenmannes, der die Ratten und Kinder verführt und dabei ständig ein hämisch-verführerisches Grinsen auf den Lippen hat, steigert die Komplexität der Wahrnehmungsebenen maßgeblich: Zum einen nutzt die Regie diese Figur, um das vergangene Schlüsselmoment des Ertrinkens, vor dem übrigens auch die gaffenden Kinder Eyolf nicht retten wollten, mit fantastischen Elementen zu untersetzen. Zum anderen aber spielen diese Szenen parallel zum gegenwärtigen Elternpaar. Sie antizipieren, dass die sagenhafte Figur nur eine Metapher für Verführung, elterliche Nachlässigkeit und Selbstsucht liefert, eine Projektionsfläche also, die eben diese Verfehlungen auf das reale Umfeld zurückprojiziert.
Trotz zäher Anfangsszenen erweist sich Mouchtar-Samorais Bearbeitung als gelungene, gerade späterhin psychologisch und sprachlich präzise Auseinandersetzung mit typischen Mustern des Dramatikers Henrik Ibsen, der ein herausragendes Werk hinterlassen hat. Die Frage, weshalb sich gerade diese Arbeit bisher noch nicht so recht im Repertoire durchgesetzt hat und lediglich in den ersten Jahren nach der Erstaufführung Erfolge verbuchte, bleibt tatsächlich unbeantwortet.