Es gibt keine Zweifel, die heiße Phase im Gemeindewahlkampf hat begonnen. Man merkt es im Briefkasten, wo sich neben den Rechnungen, den gewohnten Angeboten von Wunderheilern, Wahrsagern, Tarotkartenlesern und anderen Medien die Hochglanzbroschüren der Parteien ansammeln. In den sozialen Netzwerken hat man plötzlich Freunde und Fans, die einen im richtigen Leben vor ein paar Wochen noch nicht grüßten. Bei jeder Menschenansammlung, sei es auf dem Wochenmarkt oder bei Sportveranstaltungen, schlagen die Kandidaten Sonnenschirme und Stände auf. Nur um darüber flugs wieder in den sozialen Medien zu berichten.
Dabei ist es mit dem Instant-Wahlkampf ein bisschen wie mit Instant-Kaffee: Er ist ein Ersatzprodukt mit verdünntem Inhalt. Ein besonders gutes Beispiel dafür sind die Stater Sozialisten. Auf ihrer Facebook-Seite gibt es ganze Galerien schlecht belichteter Bilder, die gut gelaunte Kandidaten beim Wochenmarkt zeigen, gut gelaunte Kandidaten beim Tramfahren, ohne dass es dabei die geringste Information über die programmatische Ausrichtung geben würde, zum Beispiel, wie die Sozialisten die Verkehrssituation in der Hauptstadt verbessern wollen. Oft genug erfährt man noch nicht einmal die Namen der Kandidaten, was angesichts der Tatsache, dass die Wähler am Wahltag in der Kabine ihr Kreuz nicht neben ein Passfoto machen, ein wenig unbeholfen wirkt.
Diese Woche gingen sie noch einen Schritt weiter, indem sie statt Bildern einer Wahlveranstaltung nur die Handy-Schnappschüsse vom Umtrunk danach posteten. „Den Owend um Tour mat onser Equipe vun de Stater Sozialisten! .... mir sinn zu Märel am Pacha hänke bliwen;) ” Nach ein zwei waren offensichtlich alle Hemmungen im Umgang mit Facebook so weit unterdrückt, dass die Stater LSAP unbedarft Fotos postete, die mitten in der Runde einen Wort-Politik-Redakteur zeigen, das Partei-Logo prominent im Bild. Der Hinweis, dass der Redakteur, an den vergangene Woche die diskrete und höflich formulierte Bitte seines Verwaltungsrates erging, wenn möglich, doch etwas mehr „Mitte-rechts“ zu schreiben, nicht zu den namenlosen LSAP-Kandidaten in der Galerie gehört, sondern dort war, um ein Interview zu führen, wurde erst tags darauf in Reaktion auf einen Kommentar nachgereicht.
Auch andere Parteien sind nicht vor Missbrauch gefeit, nutzen Facebook, Twitter und Instagram hauptsächlich dazu, um zu dokumentieren, dass sie Wahlkampf machen, ohne wirklich zu sagen wofür. So laden Déi Gréng in Esch alle Fans für heute nachmittag um 17 Uhr zum Pétanque-Spiel in der Kanalstrooss ein. Ob sich daraus schließen lässt, dass die Grünen in Esch sich im Gemeinderat für die besonderen Belange des Kugelsports einsetzten werden?
Die grüne Spitzenkandidatin in der Hauptstadt, Sam Tanson, stellt auf Instagram gerne ihre körperliche Tüchtigkeit zur Schau und zeigt sich als aktive Radfahrerin. Dabei fällt auf, dass die Verkehrsschöffin selbst lieber in gesichertem Umfeld unterwegs ist. Sie testet den neuen Radpark in Cessingen oder zeigt sich mit ihrem Ko-Kandidaten beim verkehrsberuhigten Sonntag auf dem Rad. „Enjoying car free streets today with #françoisbenoy #cycling #newbridge #pontadolphe #lavilleestbelle #mobilitéactive.“ Da kommen auch die letzten Politikverdrossenen nicht umhin, ihren Hut zu ziehen: Sam Tanson hat vollkommen Recht! Ihr vorsichtiges Verhalten ist beispielhaft! Unbedingt sollte man an verkehrsberuhigten Tagen davon profitieren, in der Stadt Rad zu fahren! Denn an allen anderen Tagen ist das Radfahren auf den öffentlichen hauptstädtischen Verkehrswegen lebensgefährlich. Und gerade bei der Zufahrt zur neuen Radbrücke unter dem Pont Adolphe ist das Unfallrisiko derzeit besonders hoch. Respekt demnach vor derart viel öffentlich zur Schau gestellter selbstkritischer Distanz. Dazu sind längst nicht alle Politiker fähig.
Es gibt aber auch jene, die noch 2017 würdevoll auf allzu viele Spielereien in den Sozialmedien verzichten. Die Hauptstadtbürgermeisterin Lydie Polfer (DP) hat auf Facebook rezent überhaupt keine Posts mit Leuten geteilt, die sie nicht zu ihren rund 1 300 Freunden zählt – von öffentlicher Zurschaustellung ist da keine Spur. Lydie Polfer ist auch 2017 ein Symbol an Emanzipation, an fleischgewordenem Feminismus, an Auflehnung gegen das Establishment, das beste Beispiel dafür, wie überholt die gescheiterte Kampagne der LSAP war, die mit Handtasche und Lippenstift versucht hatte, mehr Frauen zur Kandidatur zu bewegen. Denn Lydie Polfer zeigt, dass zu den wichtigsten Accessoires in der Handtasche einer jeden routinierten Wahlkämpferin ein Hammer, ein Spachtelmesser, eine Schere und ein Spaten gehören. Wie sonst könnten täglich mehrere Einweihungen, Grundsteinlegungen und Spatenstiche absolviert werden, bei denen Bändchen durchtrennt, Mörtel verteilt, Boden gehoben werden müssen, ohne dass der enge Terminplan durcheinandergerät? Fairerweise muss man sagen, dass die Bürgermeisterin Rückendeckung erhält. Sie muss zwischen den Terminen selbst keine Bilder twittern, sie lässt ihre wahlkampftauglichen Fotos einfach vom Pressedienst der Stadtverwaltung verschicken.