LEITARTIKEL

Zivilisiert?

d'Lëtzebuerger Land vom 06.11.2020

Der slowenische Regierungschef Janez Jansa war der erste EU-Politiker, der Donald Trump zu seinem angeblichen Wahlsieg gratulierte, obwohl noch längst nicht alle Stimmen ausgezählt waren. Der autoritäre und verfassungswidrige Stil kommt bei ihm an. „Man sieht, dass Trump eine wichtige Galionsfigur der Identitären ist. Verliert er, verlieren sie“, kommentierte Jean Asselborn Jansas Vorpreschen verärgert. Der Außenminister warnt seit Monaten vor zunehmenden Spaltungen in der EU.

Asselborn hat eine Vorliebe für Biden und dürfte die meisten EU-Regierungen hinter sich wissen. Biden sei der bessere Partner für gute transatlantische Beziehungen. Aber nicht, weil sich Brüssel von ihm eine Wende in der US-Außen- und Handelspolitik verspricht, sondern weil es sich Verhandlungen auf Augenhöhe statt Bullying erhofft. China wird in den USA als Bedrohung der eigenen Vormachtstellung gesehen. Im Handelskrieg will Trump mit Strafzöllen auf chinesichen Produkte einen besseren Zugang zum chinesischen Markt erzwingen. Weil die Welthandelsorganisation die US-Strafzölle als widerrechtlich einstufte, zog sich die WTO Trumps Zorn zu.

EU-Mitgliedstaaten haben profitable Geschäftsbeziehungen zu China aufgebaut, Deutschland hat vom Handel mit China wie kein anderer Mitgliedstaat profitiert, chinesische Großbanken sind Schwergewichte im hiesigen Finanzsektor, das Luftfrachtgeschäft wurde ausgebaut, die guten China-Beziehungen halfen, wichtige Güter in der Corona-Krise nach Europa zu bekommen. China gilt als wichtiger Akteur, wenn es darum geht, die Klimaziele umzusetzen.

Anders als die USA unter Trump zieht China sich aber trotz der zunehmenden Systemkonkurrenz an keiner Stelle aus internationalen und multilateralen Institutionen zurück. Vielmehr bemüht sich das Land aktiv darum, seinen Einfluss bei den Vereinten Nationen und bei deren Agenturen und Unterorganisationen auszubauen, etwas, das dem Ansatz der Europäer entgegenkommt.

Vor allem die rüde Art des 45. Präsidenten verstörte die Geschäftspartner auf dieser Seite des Atlantiks. Trump trifft mit seiner America first-Agenda den Nerv vieler US-Amerikaner, auch wenn sich darüber streiten lässt, wie erfolgreich die Trumponomics bisher waren. Sein konfrontativer Stil kommt bei einem Großteil der Bevölkerung an. Das betrifft auch Trumps Forderung, die europäischen Partner sollten endlich den Beitrag zu den Nato-Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukt erhöhen, so wie es von ihnen selbst beschlossen. Trotz verbalen Säbelrasselns hat Trump das US-Engagement in der Nato aber nicht zurückgefahren, sondern sogar mehr Soldaten nach Polen verschickt. Und sich damit die andauernde Freundschaft osteuropäischer Staaten gesichert, die in den USA eine Schutzmacht vor Russland sehen.

Mit der US-Wahl werden erneut Stimmen in der EU laut, die Strategische Autonomie voranzutreiben, Trump hin oder Biden her. Europa solle sich nicht mehr auf die USA als Rückversicherung verlassen, sondern die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit mehr Energie vorantreiben, oder, wie es EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union nannte: Die Sprache der Macht lernen. So gesehen, hat die Trump-Ära in Europa zu mehr Ehrlichkeit beigetragen: Der Wettlauf um Marktanteile wird weltweit zunehmend härter ausgetragen.

Die EU hat bislang vor allem über den Handel und multilaterale Verträge versucht, ihren Einfluss in der Welt auszudehnen. Das gelingt ohne einen Verteidigungs- und Sicherheitsapparat immer weniger, wie sich an den Grenzen zeigt. Auch eine EU, die sich gerne als Wertegemeinschaft inszeniert, gründet ihren Wohlstand auf der Ausbeutung anderer Länder und Menschen, und nimmt dafür selbst Tote im Mittelmeer in Kauf. Mit Biden, so Asselborn im Journal, erhoffe er sich eine Rückkehr zu „zivilisierten“ Auseinandersetzungen auf der Grundlage völkerrechtlicher Verträge und internationaler Schlichtungsmechanismen. Wie steht es um die Hausaufgaben, liebe EU?

Ines Kurschat
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