Immer wieder wird die internationale Aktualität dominiert von den Streitigkeiten zwischen Israel und den Palästinensern um den von beiden Völkern beanspruchten Streifen Land, der seit Beginn der geschriebenen Geschichte als Geburtsstätte verschiedener Religionen gilt.
Die Juden behaupten, ihr Gott Jahve habe ihnen das Gebiet zwischen dem Jordan-Tal und dem Mittelmeer anvertraut. Doch die von den Juden geheiligten biblischen Texte belegen, dass Moses nach dem Auszug aus Ägypten kein leeres Land vorfand. Es gab „im gelobten Land“ bereits viele Völker. Die damals besiegt und gar ausgerottet wurden.
Die Thora zeugt von einem rachsüchtigen Gott, der gnadenlos selbst Gefolgsleute mit dem Tode bestraft. Etwa nach der Huldigung des „goldenen Kalbs“. Die Propheten der heiligen Schrift schildern in grausamsten Tönen die vielen Schlachten der jüdischen Stämme gegen die Ansässigen. Laut Steven Pinkers Standardwerk Gewalt enthält die hebräische Bibel „mehr als 600 Passagen, in denen ausdrücklich davon die Rede ist, wie Nationen, Könige oder Einzelpersonen andere angreifen, zerstören und ermorden ...“
Die Autoren der Bibel, so Pinker, „sahen nichts Schlimmes in Sklaverei oder grausamen Bestrafungen wie Blenden, Steinigung oder Zerstückeln eines Menschen“. Sklaverei, unterstreicht Pinker, „wird in der hebräischen wie christlichen Bibel befürwortet, und sowohl Platon als auch Aristoteles rechtfertigen sie als natürliche Institution, die für das Funktionieren einer zivilisierten Gesellschaft notwendig sei“. Die heute wieder angestrebte „Direkte Demokratie“ der Athener funktionierte nur, weil im Zeitalter des Perikles „die freien Bürger“ auf der Agora palavern konnten, da die Arbeit der Frauen und vor allem der Sklaven dies ermöglichte. Immerhin war ein Drittel der Athener Bevölkerung versklavt.
Heute hat die Menschheit eine etwas weniger brutale Konzeption von Zivilisation. Dennoch steht Landraub noch immer auf der Tagesordnung. Wie die aktuellen Konflikte zwischen Indien und China oder um Syrien wie Libyen zeigen. Sowie die von Netanjahu mit dem Segen Trumps angestrebte Einverleibung eines Drittels des palästinensischen Territoriums.
Die Uno wollte zwei Staaten
Israel ist eine Kreation der Vereinten Nationen. Kraft des internationalen Völkerrechts beschloss die 2. Vollversammlung der Uno am 29. November 1947 eine Teilung Palästinas, das seit dem Ersten Weltkrieg unter britischem Mandat stand. Für die Teilung des Landes stimmten 33 Staaten, angeführt von der Sowjetunion. Es gab 13 Nein-Stimmen, vor allem von arabischen Staaten, sowie zehn Enthaltungen, darunter Großbritannien. Neben einem eigenen Staat für damals 600 000 Juden sowie einem Staat für damals 1,3 Millionen Palästinenser sollte Jerusalem wegen seiner Bedeutung für die drei monotheistischen Religionen eine neutrale Enklave werden. Alles vereint in einer Wirtschaftsunion.
Doch weder Juden noch Araber waren gewillt, den Schiedsspruch der Vereinten Nationen anzunehmen. Nach dem Ende des britischen Mandats am 14. Mai 1948 entbrannte ein Krieg zwischen dem neu ausgerufenen Staat Israel und sechs arabischen Nachbarstaaten. Den Israel dank der Waffenlieferungen der Sowjetunion und der Tschechoslowakei gewann. Mit kapitalkräftiger Unterstützung aus den USA.
Die von der Uno herbeigeführten Waffenstillstände zwischen den verschiedenen Kriegsteilnehmern ermöglichten es Israel, sich einen Großteil des umstrittenen Territoriums einzuverleiben. Darunter drei Viertel von Jerusalem. Gleichzeitig wurden 650 000 Palästinenser ihrer Besitztümer beraubt und vertrieben. Die Schaffung des Staates Israel als Heimstatt aller Juden wurde vor allem in Europa und in den USA getragen vom schlechten Gewissen der Siegermächte über Nazi-Deutschland. Zu viele hatten weggesehen bei den Judenverfolgungen durch Hitlers Reich, zu wenige hatten jüdische Flüchtlinge aufgenommen. Diese wurden bestenfalls nach Palästina weitergereicht, leider kein leeres Land.
Die Regierenden in Israel spielen weiterhin mit diesem schlechten Gewissen. Besonders in Deutschland ist jede Kritik an den unschönen Begleitumständen des Vorgehens des israelischen Staates gegen die Palästinenser tabu. Steine werfende Jugendliche im Gaza-Streifen sind automatisch „Terroristen“. Die Bomben-Angriffe von „Tsahal“ sind immer berechtigt. Selbst Israels Aufstieg zur Nuklearmacht wird verdrängt.
Doppelmoral?
Als Putin die Krim heim in sein Reich holte, war die Aufregung groß. Die USA und die EU beschlossen sofort Sanktionen. Im gleichen Moment genehmigte Israel neue Siedlungen auf Kosten der Palästinenser. Die damalige Hohe Außenbeauftragte der EU, Cathy Ashton, rechtfertigte die Bestrafung Russlands wegen „Landraub“, befand aber gleichzeitig, die EU könne Israel nicht mit Sank-
tionen belegen.
Laut dem israelischen Historiker Yuval Noah Harari hat Israel den während des Unabhängigkeitskrieges von 1948 ausgerufenen Notstand nie ganz aufgehoben. Sein Land habe „viele der temporären Maßnahmen von 1948 nicht zurückgenommen“, besonders was die „Landkonfiskation“ anbelangt (Neue Zürcher Zeitung, 24.3.2020). Was erklärt, weshalb die israelischen Regierungen immer wieder die illegalen Landbesetzungen durch radikale Siedler ratifizierten, selbst gegen anderslautende Urteile des Obersten Gerichtshofes.
Nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 hatte Israel Großteile der umkämpften Gebiete besetzt, darunter die Sinai-Halbinsel und Gaza. Was Israel in der Folge eine gewisse Großzügigkeit erlaubte. Es kam zu einem Friedensvertrag mit Ägypten und zur Rückgabe des Sinai. Vor allem eröffnete das Osloer Abkommen von 1994 die Möglichkeit einer Befriedung der Region durch die Schaffung zweier Staaten bis 1999. Die Ermordung von Premierminister Rabin durch einen jüdischen Extremisten am 4. November 1995 warf den Friedensplan über den Haufen. Nach Neuwahlen kam die nationalistische Partei mit Premierminister Begin an die Macht. Der nach Neuverhandlungen mit den Palästinensern durch den Vertrag von Sharm El-Sheik einen eigenständigen Palästinenser-Staat für das Jahr 2000 versprach.
Doch außer der Rückgabe von Gaza unter Premierminister Sharon nutzten die sich folgenden Regierungen jede Gelegenheit, um einen eigenständigen Palästinenser-Staat unmöglich zu machen. So wurden „Schutz“-Mauern um die illegalen Siedlungen gebaut, immer auf palästinensischem Land. Mit dem Resultat, dass über 400 000 Palästinenser in 53 Ortschaften von ihrem theoretischen Staat abgeschnitten sind. Besonders Netanjahu verfolgt eine brutale Politik für die Schaffung eines „biblischen“ Groß-Israels. Es ist diese permanente Vermischung von politischen und religiösen Zielen, welche die Situation in und um Israel so verkompliziert.
Selbst in Israel gibt es kritische Stimmen gegen ein neues „gelobtes Land“ ausschließlich für Juden. Professor Shlomo Sand von der Universität von Tel Aviv unterstreicht, dass sich aus der Vertreibung der Juden vor 2 000 Jahren aus dem „heiligen Land“ keine heutigen Besitzansprüche ableiten lassen. Wie rea-
gierte die Weltöffentlichkeit, so Shlomo Sand, wenn nunmehr die Schaffung eines arabischen Staates in Spanien angestrebt würde? Mit dem Argument, die ehemals muslimischen Bewohner Andalusiens seien vor 500 Jahren durch die katholische „Reconquista“ aus ihrer Heimat vertrieben worden?
Geschichte ist, wie der britische Historiker Arnold Toynbee befand, „nur ein verdammtes Ding nach einem anderen“: eine lose Folge von Ereignissen ohne wirkliche Logik und klares Ziel. Das Resultat ist nachträglich nicht abzuändern. Die Menschheit lebt in der Gegenwart. Die Zukunft bleibt immer ungewiss.
Sollte Israel seine Annexionspläne durchsetzen, entsteht kein Land, wo „Milch und Honig“ fließen. Fließen wird bloß viel unschuldiges Blut.
Die internationale Gemeinschaft und besonders die westlichen Staaten können bei aller Sympathie für Israels Juden und Respekt vor dem Holocaust nicht akzeptieren, dass der Entscheid der Vereinten Nationen zugunsten einer Zwei-Staaten-Lösung Makulatur wird. Reagierte die EU nicht gegen solch massiven Landraub, ginge ihre internationale Glaubwürdigkeit verloren.
Außenminister Jean Asselborn hat sich resolut der Verteidigung des internationalen Rechts verschrieben. Eine gesicherte Existenz Israels kann nur einhergehen mit der Schaffung eines unabhängigen Palästinenser-Staates. Was viele UN-Resolutionen und völkerrechtlich bindende Verträge bekräftigen.
Die einzige Alternative wäre ein gemeinsamer Staat, basierend auf dem demokratischen Prinzip „ein Mensch, eine Stimme“. Eine Perspektive, die gerade den fanatischsten Israeli kaum gefallen dürfte.